Vor 100 Jahren im Bezirk Kitzbühel

St. Johann in der Zeit um 1918 – der Talboden war noch weitgehend unverbaut. | Foto: Museum St. Johann
5Bilder
  • St. Johann in der Zeit um 1918 – der Talboden war noch weitgehend unverbaut.
  • Foto: Museum St. Johann
  • hochgeladen von Klaus Kogler

BEZIRK KITZBÜHEL (niko). Nachdem im Herbst 1918 die Monarchie des Hauses Habsburg, die viele hundert Jahre lang gewährt hatte, zusammengebrochen war, geriet Österreich in den Wirbel von Neuordnung und politischer Umschichtung.

Zunächst wurde das Staatsgebiet Österreichs von den verbliebenen Abgeordneten des Reichsrats, in Anlehnung an die deutschsprachigen Gebiete Österreichs, Deutschösterreich genannt. Die Republik Österreich wurde am 12. November 1918 gegründet, der offizielle Name Republik Österreich wurde jedoch erst am 21. Oktober 1919, beim offiziellen Inkrafttreten des Vertrages, eingeführt.

Die Umbrüche und Folgen des Ersten Weltkrieges waren natürlich auch in den Gemeinden und Regionen stark spürbar. Als Beispiele greifen wird mit Waidring eine Kleingemeinde an der Peripherie und St. Johann als Zentralort im Bezirk Kitzbühel heraus und fassen einige Vorgänge der Jahre 1918/19 zusammen.

St. Johann

> Der Weltkrieg hatte St. Johann 130 Opfer gekostet. Hauptaufgabe von Gemeinderat und -vorsteher Josef Reiter bestand darin, die darniederliegende Gemeinde finanziell und wirtschaftlich rasch aus der allgemeinen Notlage herauszuführen. Dazu bedurfte es einer strengen Steuereinhebung, die während der Kriegszeit vernachlässigt worden war. Zudem wurde bei der örtlichen Raiffeisenkasse ein Kredit von 50.000 Kronen aufgenommen.

> Der "Wehrmann in Eisen" in St. Johann war eine Aktion, bei der die Holzstatue eines Ritters mit bezahlten Opfernägeln beschlagen und dadurch zum "Eisenmann" wurde. Die Spenden kamen den Kriegswitwen und –waisen zugute. Die Figur ist nicht mehr erhalten.

> Zur Linderung der Not mussten Sonderinteressen hintangestellt werden; die Zusammenarbeit aller war gefordert. Säumigen Milchlieferanten musste wiederholt mit dem Entzug des Mehlbezugsbuches gedroht werden. Um säumige Bauern zur Ablieferung von Getreide zur Broterzeugung zu bewegen, gab es sogar einen Hilfs-Appell an die Bezirkshauptmannschaft. Die Versorgungslage in St. Johann wurde durch Ansuchen anderer Gemeinden (z. B. Innsbruck) verschlimmert, die Fleischlieferungen verlangten.

> Wegen der mangelnden Versorgung der eigenen Bevölkerung und der Wohnungsnot wandte man sich gegen den Zuzug von Sommerfrischlern. Die Lage wurde auch dadurch verschärft, da viele Flüchtlinge um Heimatrecht in St. Johann ansuchten. Aufnahme in den Heimatverband fanden nur österreichische Staatsbürger.

> Schon nach dem Krieg gab es – wie heute – vielfältige Verkehrsprobleme. Diese betrafen den schlechten Zustand der Straßen und die Verkehrsverbindungen als solche. Ein Subventionsansuchen an den Staat und die Wiederaufnahme der Autobuslinie sollten die Lage verbessern.

> Im Lauf des Jahres 1919 kehrten Kriegsgefangene in kleinen Gruppen heim. Im Oktober waren noch 49 Gefangene ausständig. Ein Heimkehrerfest wurde am 9. November gefeiert.

> Im Juni 1919 wurde der Verschönerungsverein wiederbelebt. Besondere Ziele: Wiedereröffnung des Schwimmbades und der Vorkriegs-Anlagen.

> Nach dem Krieg bestanden drei Pflichtschulen (Dorf, Jodler/Winkl, Oberndorf); im Juni 1919 wurde der Kindergarten feierlich eröffnet.

> Im November 1919 wurde ein neuer Gemeinderat gewählt. Am 7. 12. 1919 wurde der Kaufmann und Landtagsabgeordnete Josef Hofinger zum Bürgermeister gewählt.

Waidring

> Fast alle Männer vom 15. bis zum 60. Lebensjahr waren in Waidring vom großen Weltkrieg betroffen. Letztlich kostete der Krieg 34 Waidringern das Leben, viele Heimkerher waren ihr Leben Lang von Kampf und Gefangenschaft gezeichnet.

> Die anfängliche Kriegsbegeisterung endete in Hunger, Not und Elend. Durch Lieferverpflichtungen (Vieh, Kleidung, Getreide, Wolle etc.) wurde eine große Notlage der ländlichen Bevölkerung ausgelöst. Sogar die Kirchenglocken mussten für Kriegszwecke abgeliefert werden.

> Ein Beispiel besonderer Kriegs-Perversion war die "Nutzung" von Kriegsgefangenen. In Waidring mussten rund 400 Gefangene – hauptsächlich Russen – für Infrastrukturarbeiten unter schwersten Bedingungen Frondienst leisten. So entstand z. B. der "Russenweg" zur Steinplatte.

> Nach dem Krieg setzte der Überlebenskampf ein. Es gelang in kurzer Zeit, neue Strukturen aufzubauen. Mit Notverordnungen wurde die Ordnung aufrecht erhalten. Neben dem Mangel an Lebensmitteln war das Geldproblem gravierend, das in unvorstellbare Inflationsraten gipfelte und schließlich zur Währungsumstellung 1924 (10.000 Kronen = 1 Schilling) führte.

> Bald nach dem Krieg setzte eine starke Entwicklung in Infrastruktur, Landwirtschaft, Straßen- und Wohnbau sowie bei der Elektrifizierung ein. Auch im Bereich Handel, Gewerbe und Motorisierung ging die Entwicklung voran. Vorerst beherrschten aber noch Pferde, Kühe und Ochsen als Zugtiere, Holzschlitten, Rauchsäulen vom Pech- und Kohlebrennen das Bild.

> 1917 hatte Josef Clemens Kienpointner das Anwesen "Zassenmühle" gekauft. In kurzer Zeit wurden Planung und Konzessionserteilung für ein E-Werk abgewickelt. Mit Eigenleistung und hohem Finanzeinsatz erfolgte der Bau des Werks, aus dem dann der "Geisl-Strom" geliefert wurde.

> Schon 1911 wurde ein Ansuchen an das Land zum Ausbau der Pillerseetraße gestellt. Der Krieg verhinderte die Umsetzung. Erst 1926 fiel eine Entscheidung; es dauerte weitere zehn Jahre, bis der Gesamtausbau von Waidring bis zu den "Öfen" fertiggestellt wurde.

> Waren bis zum Krieg vor allem Bauernhöfe (mit "Zuhäus'ln") dominant, gingen die Arbeiterfamilien in der Nachkriegszeit daran, sich eigene Wohnräume in Form von sogenannten Einfamilienhäusern zu schaffen.

Fotos: Museum St. Johann (4), Gemeindearchiv Waidring (1)

Du möchtest regelmäßig Infos über das, was in deiner Region passiert?

Dann melde dich für den MeinBezirk.at-Newsletter an

Gleich anmelden

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

Folge uns auf:

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.