"Es muss sich etwas ändern"

Franz Fischler stand Rede und Antwort.
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ST. JOHANN (niko). Zur ersten öffentlichen Veranstaltung lud der neue AbsolventInnenverein des Gymnasiums St. Johann. Obfrau, BG-Absolventin und Diplomatin Aloisia Wörgetter sprach am Podium mit dem ehemaligen EU-Landwirtschaftskommissar Franz Fischler über die Zukunft der Europäischen Union. Das Publikum in der gut gefüllten Alten Gerberei beteiligte sich an der Diskussion.

"Die EU hat viele Phasen mitgemacht. Ursprünglich wollte Europa sich vor sich selber schützen und nach vielen Kriegen Frieden schließen; schon das war schwierig, denn gleichzeitig begann der Kalte Krieg. Mittlerweile ist die Boschaft vom 'Friedensprojekt' in den Hintergrund gerückt, da der Friede zum Normalzustand wurde", so Fischler.

In den 1960er-Jahren kam das Schlagwort der "Eurosklerose" auf. Als Gegenmittel forcierte Jacques Delors den "Binnenmarkt". "Handel führen bedeutete mehr Wohlstand; und wer handelt, führt keine Kriege", erklärt Fischler.

2008 begann die große Krise, ausgehend vom Bankenchrash in den USA. "Seither reden wir über die Krise, obwohl wir wenig Grund dazu haben. Wir sind die größte Wirtschaftsmacht der Welt und Vorreiter in vielen Dingen (u. a. Soziales); wir haben unser Selbstvertrauen verloren", analysiert der ehemalige Kommissar.

Erweiterung, Vertiefung? Die Erweiterung wurde als Chance begriffen, die ehemaligen Ostblockstaaten demokratisch im Westen zu integrieren; mit dem Chirac-Flop des 'Nizza-Vertrags' wurde verabsäumt, neue Strukturen zu schaffen, um die Vertiefung voranzutreiben, man konzentrierte sich vorwiegend auf die Erweiterung.

"Manche Konzepte gehen nicht mehr, wir können nicht weitermachen wie bisher sondern uns in der Union auf wichtige Projekte konzentrieren und die Frage beantworten, wie und was wollen wir miteinander? Hauptthemen müssen sein: Jobs, Flüchtlinge, Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit, Nachhaltigkeit, Klimawandel. "Darauf muss die EU Antworten geben, sich selber ernster nehmen und wieder selbstbewusster werden", so Fischler.

Kritik übt der Tiroler an so manchem Regierungschef, der bei unangenehmen Entscheidungen die Schuld nach Brüssel abschiebt, obwohl er selbst mitentschieden hatte. "Die Regierungschefs müssen zu ihren Entscheidungen stehen, deren Sitzungen und Abstimmungen sollten öffentlich sein", fordert Fischler. "Dumme Vorschläge aus Brüssel können abgelehnt werden, Kritik muss möglich sein, die Kommunikation mit den Bürgern muss besser werden, da gibt es ein großes Manko; die Bürger fühlen sich übergangen, weil man auf den Dialog vergessen hat", so der EU-Insider.

Antworten auf Fragen

Fischler ging auf Fragen aus dem Publikum ein.
> Jobs können durch bessere Ausbildung ('Export' des dualen Systems in andere Länder), gezielte Investitionsprogramme und mehr Forschung und Modernisierung entstehen.
> Sozialthemen sollen nationalstaatlich bleiben, es brauche jedoch ein Korrektiv bzw. eine Art Umverteilung; das sei vor allem wegen des Euros wichtiger geworden, ein Aufholprozess sei nötig.
> Die EU ist ein Globalisierungsgewinner, im Gegensatz zum Süden.
> Im Energiesektor gibt es zu viele Abhängigkeiten; die EU muss selbstständiger werden und alternative Energien forcieren; auch bei der Digitalisierung bestehe Handlungsbedarf.
> Die Briten werden die wahren BREXIT-Verlierer sein, aber auch die EU wird Probleme, vor allem im Export, bekommen.
> Grenzen der Erweiterung? "Europa ist geografisch nicht abgrenzbar, das geht nur über europäische Werte, die man potenziellen Beitrittsländern abverlagen muss, zu denen man sich bekennen muss. Bei der Türkei ist das heute nicht mehr der Fall."
> Zwei Geschwindigkeiten: Die gebe es bereits (u. a. Schengen, Euro), es funktioniere auch, es dürfe jedoch niemand ausgeschlosen werden. "Es gibt schon zwei Gruppen in der EU - jene die mehr und weiter gehen wollen und jene, die bremsen."

Fotos: Kogler

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