Bischof Scheuer
Grundeinkommen – glaube nicht, dass "bedingungslos" richtiger Weg ist

Bischof Manfred Scheuer: "Die Krise ist vielleicht eine Chance, ein Gefühl dafür zu bekommen, was alles abgeht. So wie beim Fasten. Da schmeckt das Essen danach auch immer besser." | Foto: BRS
  • Bischof Manfred Scheuer: "Die Krise ist vielleicht eine Chance, ein Gefühl dafür zu bekommen, was alles abgeht. So wie beim Fasten. Da schmeckt das Essen danach auch immer besser."
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Bischof Manfred Scheuer im Interview mit BezirksRundschau-Chefredakteur Thomas Winkler über das Feiern von Gottesdiensten in Corona-Zeiten, die Lehren aus der Krise, die Bedeutung heimischer Lebensmittel sowie ausländischer Arbeitskräfte, und warum es Anreize fürs Arbeiten statt eines bedingungslosen Grundeinkommens braucht.

Seit Mitte Mai können wieder Gottesdienste gefeiert werden – unter strikten Sicherheitsvorkehrungen. Wie wird das angenommen, wie sind die Rückmeldungen der Priester?
Wir sind froh und dankbar, dass sich stufenweise etwas getan hat. Und wir wissen, dass es bis zur Normalität noch Zeit braucht. Aber die Frage der Verantwortung für die Anderen ist zentral. Auch wenn die Abstandsregeln gewöhnungsbedürftig sind und manche Gläubige deshalb daheim bleiben, weil sie nicht damit umgehen können. Die Masken, das Abstandhalten, das verhindert eine gelöste Stimmung. Bei den Gottesdiensten haben sich die Leute grundsätzlich daran gehalten – und es wurden mit viel Kreativität die Gestaltungsmöglichkeiten ausgelotet. Natürlich geht einer Liturgie ohne Sinne, ohne Händedruck, ohne Kuss, etwas ab. Am deutlichsten habe ich das in der Osternacht verspürt – sie im Fernsehen zu sehen, ist etwas anderes als in der Kirche zu erleben, die Atmosphäre zu spüren. Das ist so wie der Unterschied zwischen einem Live-Konzert und dem Einlegen einer CD im Wohnzimmer. Auch wenn wir für die Fernsehübertragungen positive Rückmeldung bekommen haben.
Was ich für Gift halte, ist die Frage des Vergleichs in der momentanen Situation: Die Regeln in Wirtshäusern, Baumärkten und Kirchen gegenüberzustellen. Und es wäre auch fatal, jetzt in eine Mentalität hineinzukommen, die da lautet: Wo komme ich jetzt rechtlich dazu, mir was zu holen, wo kann ich etwas einklagen?

"Ordnen, wegschmeißen – das tut der Seele gut"


Wie geht es den Pfarrern, die aufgrund des Zölibats ja kaum familiäre Kontakte haben dürfen und deren andere sozialen Kontakte nun so eingeschränkt sind – zumal viele wegen ihres Alters ja auch zu den Risikogruppen zählen?

Die Last der Vereinsamung in der Gesellschaft und speziell der Priester ist eine massive Sache, die Priester leiden darunter. Es gibt natürlich auch die positive Kultur von Einsamkeit – künstlerische, intellektuelle Kreativität ist nicht möglich, wenn man nicht mal alleine ist. Viele Priester haben mir rückgemeldet, dass sie jetzt auch mehr gebetet haben, mal freie Abende haben, etwas weniger zu tun haben im guten Sinne von Muße. Ohne Kontemplation und Konzentration geht es ja nicht. Gleichzeitig gab es auch mehr Kontakte über telefonische und andere Kanäle – etwa mit Altersheimen und Krankenhäusern. Viele haben Archivarbeit betrieben, das ist im therapeutischen Sinne ja nicht schlecht: Ordnen, wegschmeißen – das tut der Seele gut. Ich weiß von einigen, dass sie sehr viel weggeschmissen haben. Aber ich weiß auch von einigen, für die es eine Kränkung und Verletzung war, dass sie wegen ihres Alters zur Corona-Hochrisikogruppe gezählt wurden.

Die Krise ist vielleicht eine Chance, ein Gefühl dafür zu bekommen, was alles abgeht. So wie beim Fasten. Da schmeckt das Essen danach auch immer besser.

Welche Lehren ziehen Sie aus der Corona-Krise mit all den Einschränkungen?
Sie ist vielleicht eine Chance, ein Gefühl dafür zu bekommen, was alles abgeht. So wie beim Fasten. Da schmeckt das Essen danach auch immer besser. Aber ich bin nicht sicher, ob wir einen langfristigen Lerneffekt daraus ziehen. Unser Ökonom Nikolaus Prinz hat gesagt: "Nach den Anschlägen auf das World Trade Center hieß es, dass wir alle weniger fliegen. Nach der Finanzkrise, dass jetzt alles anders wird." Es ist also nicht sicher, dass wir daraus lernen.

Krise für Zusammenhalt der Generationen eher positiv

Positive Entwicklungen hat die Corona-Krise aber gebracht: Der Nachbar, den ich zuvor nicht kannte, hilft mir. Junge Menschen beliefern ältere mit Lebensmitteln – die Solidarität in der näheren Umgebung scheint gestiegen, während wir etwa die Probleme in Flüchtlingslagern wie Moria verdrängen – mit dem Argument, selbst in Schwierigkeiten zu sein ...
Ein Grundwasserspiegel an Zusammenhalt ist in der Gesellschaft da, auch wenn  es immer wieder massive Schübe an Individualisierung gibt. Für den Zusammenhalt der Generationen ist die Krise eher positiv. Auch für die Sozialpartnerschaft, die sich sehr schnell auf die Kurzarbeit geeinigt hat – das ist nicht selbstverständlich, wenn man die Entwicklung der letzten Jahre gesehen hat. Ich hoffe, dass das nicht verschwindet, wenn wir mit wirtschaftlichen Einbrüchen konfrontiert sind. Es ist jedenfalls gut, dass wir eine soziale Grundsicherung haben. In Bezug auf die Menschen in Flüchtlingslagern wäre die Aufnahme eines Kontingents angemessen – auch um Griechenland zu entlasten. Luxemburg und Deutschland sind zumindest kleine Schritte gegangen. Das wäre auch bei uns ein Zeichen für eine Grundhaltung – für eine echte Lösung braucht Europa aber Afrika. So wie im Fußball, da haben ja fast alle europäischen Spitzenvereine ihre Fußballakademien in Afrika.

"Net g'sund für die Viecher und net g'sund fia d' Leit"

Der Blick der Menschen ist aber derzeit aufs Lokale und Regionale konzentriert, auf ihre unmittelbare Heimat.
Es wurde die Bedeutung des Regionalen und Lokalen erkannt – die Versorgung im Ort, mit Lebensmitteln. Hier ist der Bezug zum Heimischen auch nicht ausländerfeindlich. Corona ist keine Frage von inländisch oder ausländisch, von reich oder arm, von bestimmten Hotspots, von Nähe oder Distanz, Abstand oder Berührung. Die Krise hat uns etwa gezeigt, wie wichtig bestimmte Berufe und wie wichtig ausländische Arbeitskräfte für uns sind – in der Pflege, als Erntehelfer. Und wir dürfen diese Menschen nicht nur in den Zeitungen loben, sondern müssen uns auch für entsprechende Gehälter und familiengerechte Arbeitszeiten engagieren. Es kam ja jetzt auch die Forderung nach einer Ausdehnung der Arbeitszeiten, nach Sonntagsöffnungen, um den Schäden durch Corona entgegenzuwirken. Corona war und ist ein Durchlauferhitzer für positive und negative Entwicklungen. Etwa was die Industrialisierung der Landwirtschaft betrifft. Die kann nicht rückgängig gemacht werden. Aber die Massenproduktion mit ihrer Zerstörung der kleinen Strukturen, dem Antibiotikaeinsatz bei den Tieren in Großzuchten und vielem mehr – das ist net g'sund für die Viecher und net g'sund fia d' Leit. Da gibt es ein Umdenken. Die Wertschätzung für die Lebensmittel und die Landwirtschaft ist eine Zukunftsfrage.


Stärkeres Bewusstsein für Bedeutung der Politik


Auf europäischer und internationaler Ebene scheint zunehmender Nationalismus eine der negativen Entwicklungen sein, die durch die Corona-Krise noch beschleunigt wird.

Die Nationalismen haben zugenommen und die Parteien spielen stärker damit. Aber ich würde nicht sagen, dass Corona die nationalistischen Parteien gestärkt hat. Es muss eine Wertschätzung fürs Eigene und zugleich eine Anerkennung fürs Fremde geben. Wir haben in Österreich 75 Jahre Frieden. Nach dem Krieg war Österreich ein Land der Hungerleider. Die Entwicklung seither ist nicht nur Verdienst der Österreicher, ohne Marshallplan wäre sie nicht möglich gewesen. Umgekehrt ist jetzt von uns eine gewisse Solidarität gefordert.
Ich sehe also keine Zunahme der Bedeutung nationalistischer Parteien, aber die Bedeutung der Politik als Gestalter für das Leben ist stärker ins Bewusstsein gekommen, gemeinsam mit der Wissenschaft. Aber die Wissenschaft kann nicht Entscheidungen treffen, es braucht die Politiker für die Abwägung, etwa zwischen Wirtschaft und Gesundheit.


Grundeinkommen: "bedingungslos" nicht der richtige Weg


Durch die stark steigende Arbeitslosigkeit wird im Zuge der Corona-Krise auch immer wieder die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen laut.

Es braucht eine soziale Absicherung für jene Menschen, die keine Arbeit haben, aber auch Anreize. Dass "bedingungslos" der richtige Weg ist, glaube ich deshalb nicht. Die Leute müssen Verantwortung für ihr Leben übernehmen. Natürlich gibt es Menschen, die körperlich oder psychisch nicht in der Lage sind, zu arbeiten – da braucht es eine Basis für das Lebensnotwendige. Die Frage ist: Wie viel ist genug? Der Unterschied zwischen den Arbeitenden und den Nicht-Arbeitenden muss aber gegeben sein, diesen Anreiz braucht es

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