Gedanken zur Corona-Krise
Moraltheologe Rosenberger: Die Neuorientierung muss jetzt beginnen!

Michael Rosenberger ist Vorstand des Instituts für Moraltheologie an der Katholischen Privatuniversität Linz:  | Foto: Suzy Stöckl
  • Michael Rosenberger ist Vorstand des Instituts für Moraltheologie an der Katholischen Privatuniversität Linz:
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Das Ausbreiten des Corona-Virus und der Kampf dagegen haben weltweit dazu geführt, dass für das öffentliche Leben die Pause-Taste gedrückt wurde. Die damit verbundene Vollbremsung der Wirtschaft wird nicht nur gravierende ökonomische sondern auch gesellschaftliche Folgen nach sich ziehen – immer wieder ist von einer "neuen Normalität" nach Corona die Rede. Die BezirksRundschau hat deshalb Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher gebeten, ihre Gedanken zur Corona-Krise und dem Leben danach öffentlich zu teilen. Der folgende Text stammt vom Vorstand des Instituts für Moraltheologie an der Katholischen Privatuniversität Linz, Michael Rosenberger:

Die Neuorientierung muss jetzt beginnen!

„Nach der Krise wird nichts mehr so sein wie vorher!“ Das sagen seit Beginn der Corona-Pandemie PolitikerInnen, JournalistInnen, bedeutende Persönlichkeiten und auch Bischöfe. Manche von ihnen meinen es optimistisch und prognostizieren eine Wende zum Besseren – manche meinen es eher pessimistisch und prophezeien dauerhafte wirtschaftliche und soziale Probleme. Aber stimmt das überhaupt, dass nach der Krise nichts mehr sein wird wie vorher? Nach Einschätzung der Experten ist das keineswegs sicher. Viele vorangehende Krisen waren nach wenigen Monaten oder Jahren überwunden, alles kehrte zu „business as usual“ zurück. An den Börsen spricht man vom V-förmigen Verlauf der Krisen: Erst geht es steil abwärts, dann steil aufwärts – wie beim Buchstaben V – und am Schluss ist man wieder da, wo man vor der Krise war.

Wie also gehen wir um mit der gegenwärtigen Krise? Bemühen wir uns vor allem, möglichst unbeschadet durch sie „hindurchzutauchen“ und anschließend zur Tagesordnung zurückzukehren – oder nehmen wir sie als Chance zur Besinnung, zur Umkehr, zum Neuanfang?

1. Aus ganzem Herzen umkehren

„Nach der Krise wird nichts mehr so sein wie vorher!“ Davon ist auch der Prophet Jona überzeugt, eine fiktive Gestalt, die es historisch nie gegeben hat und von der doch eine der schönsten und großartigsten Erzählungen des Alten Testaments handelt. Da wird der Jude Jona von Gott berufen, ins heidnische Ninive zu gehen, eine große, moralisch verdorbene Stadt, und dort radikale Umkehr zu predigen. Ansonsten werde Gott die Stadt vernichten. Jona hat keine Lust auf einen solchen Auftrag – er ist überzeugt, dass sich die Stadt bekehrt und von Gott verschont wird. Am Ende bleibt Jona aber gar nichts übrig als nach Ninive zu gehen, er wird von Gott dazu genötigt. Und es kommt wie er dachte: Ninive tut Buße und bekehrt sich.

Die Jona-Erzählung will deutlich machen, dass die Umkehr der Niniviten keine „gemähte Wiese“ ist, sondern im Grund genommen höchst erstaunlich. Denn in Israel sind schon zahlreiche Propheten aufgetreten und haben zur Umkehr gerufen – und passiert ist rein gar nichts. Nie habe Israel, so liest man zwischen den Zeilen des Jonabuchs, eine fundamentale Krise wirklich als Aufruf zur Umkehr und zum Neuanfang genutzt. Trotz seines Gottesglaubens sei das Volk auf dem Weg der Ungerechtigkeit und Ausbeutung unbeirrt weitergegangen. Daher sei es eine außergewöhnliche Entwicklung, dass in Ninive tatsächlich am Ende der Krise nichts mehr so sei wie vorher.

Mit dem Buch Jona schreibt sich Israel eine fundamentale Selbstkritik ins Stammbuch seiner Bibel: Die Ungläubigen sind eher zur Umkehr bereit als die Gläubigen, die Ausländer eher als die eigenen Landsleute. Sie lassen sich erschüttern und nehmen die Krise als Chance. Sie tauchen nicht einfach durch, um nachher in den alten Trott zurückzufallen. Was also tun wir? Wie verhalten wir uns in Zeiten der Krise? Wie bereit sind wir zu einer grundlegenden Neuorientierung unseres persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens?

2. An einer gerechteren Welt bauen

Gerade noch haben wir gejubelt, weil den Höhenflügen unseres Wohlstands scheinbar keine Hindernisse im Weg standen. Kaum aber kommt so ein winziges Virus, und schon sehen wir, wie zerbrechlich unser Wohlstandsmodell ist. Es steht auf tönernen Füßen. Es berücksichtigt zu wenig seine natürliche Basis, das materielle Fundament, auf dem es steht: Eine gesunde Umwelt und ein gutes Miteinander von Pflanzen, Tieren und Menschen. Trotz mehr als einem Jahr der Klimastreiks unserer SchülerInnen war diese Erkenntnis vor Corona noch nicht in unseren Köpfen und Herzen angekommen. Eine Neuorientierung unseres persönlichen Lebens wie auch des Zusammenlebens und Wirtschaftens in unserer Gesellschaft steht weiterhin aus. Die Kontaktbeschränkungen dieser Wochen geben uns Gelegenheit, darüber nachzudenken:

  • Bezogen auf mein eigenes Leben: Was soll sich in meinem Leben nach der Krise verändern? Welchen Beziehungen und Aktivitäten möchte ich in Zukunft mehr Raum geben, weil sie mir jetzt viel wertvoller erscheinen als vorher? Und welchen Beziehungen und Aktivitäten möchte ich in Zukunft weniger Raum geben, weil sie mir jetzt weniger wichtig erscheinen als vorher? Von welchen Konsumgütern merke ich, dass ich gut auf sie verzichten kann?
  • Bezogen auf unsere Gesellschaft und unser Wirtschaften und Konsumieren: Auf welche unterbezahlten HeldInnen bin ich in den letzten Wochen schon aufmerksam geworden, weil sie „systemrelevante Berufe“ ausüben? Und welche HeldInnen in Österreich und im Ausland sollte ich noch entdecken? Vielleicht die Näherinnen in Südostasien, die jetzt unsere Masken nähen? Oder die osteuropäischen ErntehelferInnen, deren Bedeutung wir bisher kaum beachtet haben? Was würde es heißen, all diesen Menschen gerechte Löhne zu zahlen?
  • Schließlich bezogen auf unsere Umwelt: In den Monaten der Krise bekommt die Erde eine kleine Verschnaufpause. Aber was müssten wir, was müsste ich nach der Krise ändern, um tatsächlich klimaverträglich zu leben? Welche meiner Konsumgewohnheiten und Mobilitätsansprüche müsste ich zurücknehmen, damit auch unsere Kinder und Enkel eine lebenswerte Erde vorfinden? Wo muss ich lernen, dass weniger Konsum mehr Lebensqualität bedeutet?

Die seit Jahrzehnten geplanten Strukturveränderungen hin zu einer ökosozialen Marktwirtschaft müssen jetzt geplant und ab dem ersten Tag nach Corona umgesetzt werden.

Diese Fragen gelten jedem und jeder Einzelnen von uns. Sie müssen aber auch das politische Handeln in unserem Land leiten, damit sie Wirkung entfalten können. Die seit Jahrzehnten geplanten Strukturveränderungen hin zu einer ökosozialen Marktwirtschaft müssen jetzt geplant und ab dem ersten Tag nach Corona umgesetzt werden. „Nach der Krise wird nichts mehr so sein wie vorher!“ So hören wir es gegenwärtig fast jeden Tag. Noch ist es mehr Wunsch als Wirklichkeit. Aber es kann eine gute Wirklichkeit werden.
Michael Rosenberger

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