Max Hiegelsberger im Interview
"Proporz bildet Wählerwillen am besten ab"

Max Hiegelsberger (ÖVP) ist seit Oktober 2021 Erster Landtagspräsident in Oberösterreich. | Foto: Hermann Wakolbinger
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  • Max Hiegelsberger (ÖVP) ist seit Oktober 2021 Erster Landtagspräsident in Oberösterreich.
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Der Präsident des OÖ Landtags, Max Hiegelsberger (ÖVP), spricht im Interview mit der BezirksRundSchau über die schwarz-blaue Koalition in Niederösterreich, das Proporz-System in Oberösterreich und die Minderheitenrechte im Landtag. 

BezirksRundSchau: Das Vertrauen der Bürger in die Politik ist derzeit recht überschaubar. Was ist für Sie der Grund dafür?
Hiegelsberger: Wenn man sich die langfristige Entwicklung ansieht, dann war die Corona-Krise eine eindeutige Zäsur. In dieser Zeit gab es politische Eingriffe ins Privatleben der Menschen wie seit 1945 nicht mehr. Und das hat zu einer Lagerbildung geführt, die man immer noch spürt. Man hat es bei der Landtagswahl in Niederösterreich gesehen, man hätte nicht geglaubt, dass das Corona-Thema noch immer so nachwirkt. Es wurde bei allen Landtagswahlen in der letzten Zeit eine Unzufriedenheit, meistens mit den regierenden Parteien, sichtbar.

Wirtschaftliche Folgen der Corona-Krise gibt es defacto nicht mehr, waren es also Lockdown und Co., die das Vertrauen in die Politik erschüttert haben?
Ja, und ob damals, als das beschlossen wurde, viel oder wenig Unterstützung da war, ist im Nachhinein schnell vergessen. Man musste in der Corona-Krise schwierige Entscheidungen treffen – im Nachhinein ist das immer einfacher zu beurteilen. Auch wenn viele in der Situation verstanden haben, warum das notwendig war, haben sie sich in ihrer Lebensführung sehr eingeschränkt gefühlt.

Weil Sie Niederösterreich angesprochen haben: Ein wichtiges Zahlungsmittel des Politikers ist dessen Wort, auf das man sich verlassen können sollte. Wenn man sich die ÖVP-FPÖ-Koalition dort ansieht – trägt das nicht auch zur Verdrossenheit bei? Vorher eine Zusammenarbeit ausschließen und es dann doch machen.
Durch die mediale Überhöhung wird mittlerweile alles auf die Goldwaage gelegt. Und, ein Leitsatz von Michael Häupl gilt schon auch noch immer: „Der Wahlkampf ist die Zeit der fokussierten Unintelligenz“.

Wäre eine FPÖ wie in Niederösterreich ein Partner für die ÖVP Oberösterreich? Ist Politik einfach nur Verhandlungsmasse oder gibt es Grenzen, die man nicht überschreiben darf?
Man muss zur Kenntnis nehmen, dass ÖVP und FPÖ gemeinsam fast eine Zwei-Drittel-Mehrheit haben. Die Wähler haben also entschieden, dass die zwei Parteien die richtigen sind – aus welchen Gründen auch immer. Und die handelnden Personen sucht sich jede Partei selbst aus, da wird sich niemand etwas dreinreden lassen. Schließlich kommt es dann aufs Programm an, das ist eigentlich das Entscheidende. Denn, es muss schon um die Entwicklung eines Landes gehen, bei den Regierungsverhandlungen. Wenn das nicht gewährleistet ist, dann würde die ÖVP in Oberösterreich – egal mit welcher anderen Partei – in keine Zusammenarbeit gehen.

Ist es nicht ein merkwürdiges Signal, mit einem 30 Millionen Euro-Fonds jene zu belohnen, die sich nicht an die Corona-Regeln gehalten haben?
Da bleibt mal abzuwarten, ob das überhaupt rechtlich durchführbar ist – und es ist bis zu einem gewissen Grad eine Verlängerung des Wahlkampfes, so könnte man das wohl beschreiben.

Nach Oberösterreich: Sie und die ÖVP sind für die Beibehaltung des Proporz-System im Landtag. Warum eigentlich?
Ein zentraler Wert des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens ist die Gemeinschaft. Die Corona-Krise hat uns vor Augen geführt, was plötzlich mit Gemeinschaften passieren kann. Daher ist es ein gutes Signal, dass Menschen – mit unterschiedlichen Ansichten – wieder zueinander finden. Es ist einfach eine gewisse Beißhemmung vorhanden, wenn man die Regierungskollegen gegenseitig immer wieder braucht. Die allermeisten Beschlüsse in der Landesregierung fallen einstimmig, das hat auch eine Qualität.

Von der SPÖ heißt es, dass die ÖVP immer mit den gemeinsamen Beschlüssen argumentiert – gleichzeitig hat man die SPÖ bei der Ressortverteilung ziemlich abgeräumt.
Warum die SPÖ jetzt gegen den Proporz ist, kann ich nicht beurteilen. Aber interessant ist schon, dass es das Thema früher nicht gegeben hat. Weil die Sozialdemokraten jetzt nur mehr einen Landesrat haben, soll das System jetzt schlecht sein? Dieser Zugang erschließt sich mir nicht. Ich denke, es hängt eher damit zusammen, dass SPÖ-Chef Michael Lindner an Profil gewinnen möchte. Als politische Maßnahme der SPÖ kann ich den Schwenk verstehen, sachlich aber nicht.

Max Hiegelsberger (ÖVP). | Foto: Hermann Wakolbinger

Ist ein System mit Opposition und Kontrolle nicht besser, als eine Art von Selbstkontrolle, wenn alle in der Regierung sitzen?
Die Frage ist: Geht es darum, besser kontrollieren zu können oder geht es um eine politische Auseinandersetzung? Wir haben bereits viele Prüforgane – der Rechnungshof ist etwa das Prüforgan des Landtags. Wenn man also sagt, man braucht noch mehr Kontrolle, dann suggeriert man damit auch, dass es nicht gut genug ist, was der Rechnungshof macht.
Zudem gibt es auch noch die Anfragen an die Regierungsmitglieder, deren Anzahl ja massiv zunimmt. 

Also, die derzeitigen Kontrollmechanismen des Landtags sind für Sie ausreichend?
Ich denke, die sind sehr gut und werden auch angewendet.

Gibt es eine Möglichkeit für die ÖVP, unter gewissen Bedingungen, einem U-Ausschuss als Minderheitenrecht zuzustimmen?
Ich denke, das hat nur dann einen Sinn, wenn es zu einer Änderung des Systems käme. Jede Partei, die sich für den Landtag bewirbt, hat sicher den Willen zu regieren. Niemand geht in die Politik, um ein Leben lang in der Opposition zu sein. Also bildet das Proporzsystem den Wählerwillen eigentlich am besten ab. Also ein U-Ausschuss als Minderheitenrecht macht nur bei einem Ende des Proporzes Sinn. Dann gibt es eine Regierung und eine Opposition, dann sähe ich eher eine Möglichkeit, die Kontrollrechte auszubauen.

Es wurde auch ein eigener Budgetdienst des Landtags gefordert. Können Sie dem etwas abgewinnen?
Das ist gerade in Diskussion. Aber oft wird da einiges vermischt, denn: Jeder Landtagsklub in Oberösterreich kann in der Finanzabteilung jederzeit anfragen. So etwas gibt es beim Bund nicht, und darum haben die einen Budgetdienst. Es gab sogar den Vorschlag von anderen Parteien, diesen Budgetdienst beim Rechnungshof anzusiedeln – das hat der RH sofort abgelehnt. Eh klar, denn ein Prüforgan kann nicht gleichzeitig Budgetdienst sein.

Ein anderes Thema: Die Parteienförderung in Oberösterreich ist ziemlich hoch. Als Steuerzahler fragt man sich schon, warum Parteien wie die MFG, die nach dem Impf-Thema nun Pressearbeit zur Katzen-Kastration macht, immerhin eine Million Euro bekommt.
Da geht es um eine Grundsatzfrage: Es muss jeder verfassungsrechtlich erlaubten, politischen Gruppierung möglich sein, zu einer Wahl anzutreten. Die MFG in Oberösterreich ist ein Spezialfall, über den viel geschrieben wurde, aber die müssen genauso Miete zahlen für Parteiräumlichkeiten und brauchen auch Personal.

Aber trotzdem: Eine Million Euro ist viel Geld.
Ja, das stimmt. Aber es gibt immer auch eine Geschichte hinter einer Förderung. Alle oberösterreichischen Parteien haben mit diesen Geldern Strukturen aufgebaut, Fachleute angestellt und Organisationen geschaffen. Oft wird diese Debatte unter der Prämisse geführt, dass es ein Problem wäre, Parteien mit Steuergeld zu fördern – wäre das so, dann landen wir schnell beim amerikanischen System. Dann würde sich nur mehr die Partei durchsetzen, die die meisten privaten Financiers hat. Aber wenn man eine saubere Parteiendemokratie möchte, dann muss die auch steuerfinanziert sein.

Was kann der Oberösterreichische Landtag machen, um der Vertrauenskrise der Politik zu begegnen?
Ganz wichtig ist natürlich der persönliche Kontakt, bewusst als Politiker auf die Bevölkerung zugehen. Aber noch wichtiger ist, bei jungen Menschen anzusetzen – wir machen das mit den Schulklassen, mit unserer „Werkstatt für Demokratie“. Darüber hinaus gibt es einen Hochschullehrgang, der von uns mitgestaltet wird – denn es müssen auch die Lehrer gut informiert und ausgebildet sein, wenn sie die Kinder in diesen Bereich hineinbegleiten wollen. Unser demokratisches System ist keine Selbstverständlichkeit, das sehen wir in vielen anderen Ländern. Es kann sehr schnell gehen – und aus einer freien Demokratie wird ein unfreier Staat. Es ist somit eine unserer wichtigsten Aufgaben, den jungen Menschen den Wert der Demokratie zu vermitteln.

Max Hiegelsberger (ÖVP) ist seit Oktober 2021 Erster Landtagspräsident in Oberösterreich. | Foto: Hermann Wakolbinger
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