Streng sein mit Flüchtlingen, aber Hoffnung geben

Primar Kurosch Yazdi, Vorstand der Klinik für Psychiatrie mit Schwerpunkt Suchtmedizin am Kepler Universitätsklinikum – ehemals Wagner-Jauregg. | Foto: gespag
  • Primar Kurosch Yazdi, Vorstand der Klinik für Psychiatrie mit Schwerpunkt Suchtmedizin am Kepler Universitätsklinikum – ehemals Wagner-Jauregg.
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Er betreut ehrenamtlich minderjährige Afghanen, die ohne Eltern nach Österreich geflüchtet sind, psychiatrisch – und kann sie und ihre Motive besser verstehen als viele andere: Primar Kurosch Yazdi, Vorstand der Klinik für Psychiatrie mit Schwerpunkt Suchtmedizin am Kepler Universitätsklinikum – ehemals Wagner-Jauregg. Denn Yazdi spricht als gebürtiger Iraner Persisch und er kennt die Kultur und Gesellschaft, aus der die jungen Afghanen kommen.

Wie ist es überhaupt möglich, dass so junge Flüchtlinge, wie Sie sie betreuen, nach Österreich kommen?
Wenn einer mit 15 zu uns kommt, ist er meist mit 12 oder 13 von zuhause weg, ist von Afghanistan in den Iran in ein Flüchtlingslager mit unvorstellbar katastrophalen Zuständen gekommen, hat sich dann durch den Iran gekämpft in die Türkei, in ein Flüchtlingslager, besser als im Iran aber auch nicht wirklich gut. Danach ging es weiter – bis er dann nach Griechenland kommt und irgendwann zu uns. Man muss wissen: In Afghanistan, wo seit Jahrzehnten Krieg herrscht, gilt ein zwölfjähriger Bub zumindest am Land als fast erwachsen. So einer arbeitet von der Früh bis in die Nacht. Und 70 Köpfe große Familien legen dann all ihr Erspartes zusammen und denken sich: Wenn wir einen nach Europa schicken, der dann dort einen Haufen Geld verdient, kann unsere Familie gut leben, wenn er uns nur einen Bruchteil davon nachhause schickt.

Für jugendliche Flüchtlinge wäre es eine Schande, mit leeren Händen nachhause zurückzukehren

Mit welchen Vorstellungen kommen die Jugendlichen zu uns?
Das Kind muss auf der Flucht unheimlich viel Elend ertragen. Und je mehr Elend, desto großartiger stellt es sich das Ziel vor, das gelobte Land. Und die Mehrheit kommt vom Land, wo Bildung kaum verfügbar ist. Dort geht es darum, einen gesunden Körper zu haben und am Feld gut arbeiten zu können. Sie kommen also hierher und denken: Ich bin gesund, warum kann ich hier nicht arbeiten, ich biete mich billig an. Sie haben keine Ahnung von den Beschränkungen am Arbeitsmarkt oder dass nur qualifizierte Arbeiter nachgefragt sind. Die 15-Jährigen kommen also bei uns an und mit einem Schlag werden all ihre Illusionen zunichte gemacht: Sie sind nicht willkommen, sie dürfen nicht arbeiten oder haben nicht die notwendige Qualifikation. Und jene ohne Bildung, und das ist die Mehrheit, hat noch nie Lesen oder Schreiben gelernt. Dann tue ich mir natürlich wahnsinnig schwer, Deutsch zu lernen. Ich kann nicht einmal gescheit einen Kuli in der Hand halten und verstehe auch das Prinzip von Bildung gar nicht, von in der Früh bis zum Abend vor Büchern zu sitzen und zu lernen. Unter ehrenhafter Arbeit stellen die sich harte körperliche Arbeit vor.

Und das verstehen wiederum viele Österreicher nicht ...
Ja. Wir haben die Vorstellung, dass erst einmal geklärt werden muss, ob sie dableiben dürfen. In Österreich dauert das schändlicherweise Jahre, das ist eine echte Schande, wirklich eine echte Schande. Dabei kann der Jugendliche gar nicht zurück. Denn er hat das gesamte Vermögen der Großfamilie von 70 Leuten aufgebraucht, um nach Österreich zu kommen. Er kann nicht mit leeren Händen zurück, das ist so eine Schande. Er ist also in einer Position, in der er nix zu verlieren hat.

"Lieber Geld in Ausbildung stecken als später in Betreuung jener, die psychisch krank werden, weil sie verdammt sind, nichts zu tun"

Das heißt für die Politik und Gesellschaft in Österreich?
Aus psychiatrischer Sicht: Ein junger Mensch, der arbeitswillig aber jahrelang dazu verdammt ist, nichts zu tun – weder Ausbildung noch Arbeit – der muss fast zwangsläufig psychisch krank werden – zumindest depressiv, wenn nicht Schlimmeres. Sogar wenn er keine Kriegstraumatisierung hätte, was aber viele der jungen Afghanen haben. Oder wenn er nicht durch die lange Flucht traumatisiert worden wäre. Und er kommt natürlich auch auf blöde Gedanken, wenn er nichts zu tun hat aber rundherum sieht: Alle Jugendlichen gehen ständig fort, machen Sport, haben eine Gaudi, ihr eigenes Moped, zwei Handys, einen Laptop. Die haben alles, ich nix. Da wäre ich in dem Alter wahrscheinlich auch auf blöde Ideen gekommen. Alleine schon damit sie psychisch nicht krank werden, muss man dafür sorgen, dass es Sinn gibt in ihrem Leben und Struktur. Dafür sorgt optimalerweise eine Ausbildung. Und da rede ich nicht von zwei Stunden Deutschkurs pro Woche, sondern jeden Tag von der Früh bis zum Nachmittag. Die Leute kennen das ja von zuhause: Entweder ich arbeite oder ich verhungere. Wenn sie nix zu tun haben und psychisch krank werden, wird das Dilemma ja nur größer: Wenn der 20 und depressiv ist und immer noch keine Ausbildung hat, habe ich irre Gesundheitskosten.

Also sollten junge Asylwerber sofort mit einer Berufsausbildung beginnen können – egal wie die Chancen für Bleiberecht stehen?
Entweder muss man die Asylverfahren extrem abkürzen oder, wenn das nicht geht, den Leuten erlauben, in dieser Zeit zu arbeiten und eine Ausbildung zu machen. Wir müssen sowieso Geld investieren. Besser in die Ausbildung als nachher, um sie im Gesundheits- oder Sozialsystem zu versorgen. Der Vorteil, wenn sie sofort eine Lehrausbildung bekommen: Dürfen sie bleiben, können sie sich nützlich machen, Geld verdienen, Steuer zahlen. Müssen sie zurück, dann finden sie etwa als gelernter Maurer oder Mechaniker auch in Afghanistan eine gute Arbeit und können ihre Großfamilie versorgen.

Beste Prävention gegen Terrorismus ist, den Flüchtlingen Sinn durch Ausbildung und Beschäftigung zu geben.

Besteht die Gefahr, dass Jugendliche, die nicht rasch eine sinnvolle Beschäftigung bekommen, extremistischen Einflüssen erliegen?
Ich kann es nicht ausschließen. Bei den Jugendlichen aus Afghanistan, die ich betreue, sehe ich diese Gefahr nicht. Wären sie extremistisch, würden sie jetzt in Afghanistan bei den Taliban kämpfen. Die meisten sind Moslems, aber keiner von denen betet fünf Mal am Tag. Aber ich nehme an, dass es natürlich Menschen gibt, die gezielt junge Flüchtlinge anwerben, die verzweifelt sind, sich sinnlos fühlen, weil sie den ganzen Tag nix zu tun haben. Wenn man gegen den Extremismus Prävention betreiben will, muss man den Leuten Sinn geben, damit sie nicht den Sinn in einer radikalen Religion suchen.
In diesem Zusammenhang muss ich noch eine Lanze für Lichtenberg brechen, wo ich manche der Jugendlichen eines Wohnhauses der pro mente OÖ betreue: 35 unbegleitete jugendliche Minderjährige. Lichtenberg hat es wirklich geschafft, auch mit Initiative der Bürgermeisterin, dass unheimlich viele Menschen sich ehrenamtlich oder Gegenstände zur Verfügung stellen. Angefangen von Fahrrädern, über Freizeitgestaltung, zusätzliche Deutschkurse – also ich bin wahnsinnig beeindruckt, wie viele Menschen dort bereit sind, zu helfen. Und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der pro mente dort sind extrem engagiert.

Junge Flüchtlinge lernen erst hier, dass es möglich ist, Mädchen ohne große Konsequenzen zu begrapschen

Es gibt viel Hilfsbereitschaft aber auch Diskussionen darüber, was man von den Flüchtlingen alles einfordern kann – wie sehr sie sich anpassen müssen und wie weit wir ihnen entgegenkommen sollen.
Ich sage das bewusst als "Ausländer", als jemand, der nicht hier geboren ist: Wenn man in ein anderes Land kommt, dann mit der Einstellung, dass es hart wird. Man hat innere Flexibilität. Man kann von diesen Menschen etwas fordern, verlangen. Das Problem sehe ich ja darin, dass keine Anforderungen kommen. Ich kann sagen: So sind unsere Gesetze und Regeln, daran musst du dich halten. Punkt! Wertschätzung gegenüber anderen Kulturen ist fein. Aber Kultur kann nicht über dem Gesetz stehen. Das Problem ist: Wenn man als 15-Jähriger im Lager in Traiskirchen landet und dort versumpert, lernt man, dass es keine Hoffnung und keine Konsequenzen gibt, wenn Regeln nicht beachtet werden – ganz im Gegensatz zu Afghanistan: Wenn ein 15-Jähriger dort eine Frau belästigt, dann wird er dafür umgebracht, den dort gilt Blutrache. Was in Köln passiert ist, das würde in Afghanistan gar nicht passieren, weil die wären alle tot – noch in derselben Nacht durch die Brüder und die Familie der Frauen. Ich will diese Blutrache auf keinen Fall gutheißen sondern nur klarmachen: Die Afghanen sind gewohnt, sich an Regeln zu halten. Natürlich bleiben die meisten auch ohne Konsequenzandrohung anständig. Die, die etwas anstellen, lernen das erst hier, dass es möglich ist, Mädchen ohne große Konsequenzen zu begrapschen oder mit einer Erzieherin umzugehen, wie sie wollen. Man darf also streng sein, aber ich muss den Jugendlichen von Anfang an klare Regeln und Hoffnung geben: Entweder du lernst die deutsche Sprache oder du wirst hier auf Dauer keinen Platz haben. Dann müssen wir aber auch Deutschkurse anbieten – nicht einen pro Woche sondern verpflichtend jeden Tag am Vormittag. Und ich muss ihm die Hoffnung geben: Wenn du das gelernt hast, dann kannst du in eine Regelschule gehen oder eine Lehrlingsausbildung machen oder wir geben dir Arbeit. Klarheit ist etwas Wertschätzendes. Nicht wertschätzend ist es dagegen, wenn ich die Jugendlichen ihr erstes Jahr in Österreich in Traiskirchen versumpern lasse. Wir wissen ja heute, dass viele junge Flüchtlingsmädchen einfach verschwunden sind – auch aus Lagern wie Traiskirchen. Das ist eine echte Schande für Österreich oder für die EU überhaupt. Diese Mädchen werden jetzt in irgendwelchen Bordellen zur Prostitution gezwungen.

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