„Wir haben nun einen Gedenkort“

Der Kölner Künstler Gunter Demnig , Gabriele Siehs- Honzik¸ Karoline Eckl-Honzik und Martin Honzik. | Foto: Wolfram Siehs
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  • Der Kölner Künstler Gunter Demnig , Gabriele Siehs- Honzik¸ Karoline Eckl-Honzik und Martin Honzik.
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Vier „Stolpersteine“ im Gehsteig erinnern an jüdischen
Kaufmann Baumann und seine Familie.

AIGEN, KÖLN (hed). AIGEN, KÖLN (hed). Vier goldene „Stolpersteine“ setzte der Kölner Künstler Gunter Demnig am 21. April in den Gehsteig vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Baumann in Aigen. „Meine erste Kindheitserinnerung an meinen Vater war seine Verhaftung durch zwei Gendarmen. Ich musste schrecklich schreien. Das war im November 1938“, berichtet Elfriede Honzik, Tochter von Hans Baumann.

Vater verhaftet und deportiert
Sie hat, wie ihre Schwester Johanna Wöber, die Zeit des Nationalsozialismus überlebt, musste aber Ausgrenzung erfahren. Im November 1938 hatten Mitbürger die Verhaftung ihres Vaters und dessen Deportation ins KZ Dachau betrieben. Erst im Frühjahr 1939 hatten sie ihn wiedergesehen. Er durfte nach dem Konzentrationslager kurz nach Aigen.

Kurze Rückkehr nach Aigen
„Ich bin sechs Jahre alt. Papa kommt durch die Kirchengasse. Ein gebeugter Mann mit Glatze, im grauen Wintermantel. Eingebundene erfrorene Füße, in Hausschlapfen, den Geruch von Frostsalbe. Das ist meine letzte Erinnerung an ihn“, erzählt Elfriede Honzik.
Mit dem ersten Judentransport Adolf Eichmanns im Herbst 1939 wurde Hans Baumann nach Nisko in Polen deportiert. Er war der einzige lebende Jude in Aigen. Auf der Flucht vor den Nationalsozialisten starb er 1941 im russischen Archangelsk (im nordwestlichen Rußland) an Erschöpfung. Seine Eltern Isidor und Elisabeth Baumann sowie sein Bruder Karl wurden im Konzentrationslager ermordet.

40.000 Steine in Europa
Das Projekt „Stolpersteine hat sich inzwischen mit beinahe 40.000 Steinen in zehn Ländern Europas zum weltweit größten dezentralen Mahnmal entwickelt, das jüdischen Opfern des Nationalsozialismus gedenkt. An der Gedenkfeier in Aigen nahmen die Familie, Freunde und Interessierte teil. Initiiert und auch selbst finanziert haben die Feier die Enkelkinder von Hans Baumann, Karoline Eckl-Honzik, Gabriele Siehs-Honzik und Martin Honzik. „Wir haben nun einen Ort, wo wir gedenken können“, sagt Karoline Eckl-Honzik.
Aigens Bürgermeister Johann Peter begrüßt diese Aktion da sie „aufrüttle“: „Eine gute Aktion, um die Vergangenheit aufzuarbeiten. Auch heute werden Menschen wegen ihrer Herkunft verfolgt und ausgegrenzt. Wir haben scheinbar aus der Vergangenheit zu wenig gelernt.“
Info zu Hans Baumann unter www. bezirksrundschau.com/rohrbach sowie
zur Aktion „Stolpersteine“: www.stolpersteine.com

Interview mit Schriftsteller Peter Paul Wiplinger. Der gebürtige Haslacher ist Kuratoriumsmitglied des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes.
BezirksRundschau: Welche Bedeutung hat die „Stolpersteinsetzung“ in Aigen?
Wiplinger: Das ist eine außerordentlich wichtige, beispielgebende Zeichensetzung des Sich-Erinnerns, des Gedenkens, des Mahnens. Es ist ein Aufruf, sich mit dem jahrzehntelang Verdrängten, Verschwiegenen, schließlich Vergessenen endlich doch noch auseinanderzusetzen; „es“ ins kollektive Gedächtnis der Bevölkerung zu holen und dort zu verankern. Dies auch im Hinblick auf die Zukunft; daß „so etwas“ wie der rassistische Massenmord (an 6 Millionen Menschen!) – nie mehr geschehe.

Wie meinen Sie das?
Diese „Stolpersteine“ sind für mich zugleich so etwas wie Grabsteine - für die Ermordeten, die auf keinem Friedhof ruhen. Man sollte sie aufsuchen, bei ihnen verweilen und in Betroffenheit der Ermordeten, dieser Toten, die einmal mitten unter und mit uns gelebt haben, gedenken.

Was muss jetzt weiter passieren?

Von diesen Gedenksteinen sollte ein Impuls zu einem Prozess einer Bewusstseinsbildung ausgehen, der das ganze Land und seine Bevölkerung erfasst. Denn nur wer über das Grauenhafte der Vergangenheit informiert ist und darum weiß, was an Unfassbarem Menschen ihren Mitmenschen antun können, der kann und wird (und muss!) rechtzeitig gegen jeden neuen Rassismus auftreten. Auch deshalb sind diese Gedenksteine so wichtig. Und wir sollten allen, die dazu beigetragen haben, dass es sie gibt, auch wirklich danken.

Biografie:Johann (Hans) Baumann:

geboren 17. Dezember 1905 – gestorben, September 1941
Hans Baumann wurde am 17. Dezember 1905 in Wien als ältester Sohn in eine jüdische Familie geboren und erlebte hier in Aigen mit seinen drei jüngeren Brüdern eine glückliche Jugend. Seine Eltern, Isidor und Elisabeth Baumann (geb. Müller), betrieben im Ort ein Geschäft für Waren aller Art, das Hans später mit seiner Frau Paula, einer Katholikin, weiterführte. Hans und Paula bekamen zwei Töchter Johanna, geb. 1932 und Elfriede, geb.1933.

Hans, ein assimilierter Jude, war ein sehr aktives Mitglied der Gemeinde:
Er war an der Gründung der Aigner Rettung maßgeblich beteiligt, engagierte sich bei der Feuerwehr (er war einer der wenigen, die einen Führerschein besaßen), hatte eine Gewerbeberechtigung für Fotografie und war leidenschaftlicher Motorradfahrer.

Am 11. März 1938 ergriffen die Nazis in Österreich die Macht.
Am 11.November 1938 wurde sein Haus von Aigner Nazis mit der Aufschrift „Nur ein Schwein kauft bei einem Juden ein“ beschmiert. Weil er die Schrift entfernte, nahm man ihn wegen Beschädigung von Staatseigentum für eine Woche in Aigen in Arrest.

Nach seiner Entlassung verschleppte man ihn in das Konzentrationslager Dachau. Dort hielt man ihn über den Winter fünf Monate lang bei Zwangsarbeit fest.
Mit schweren Erfrierungen durfte er im März 1938 für zwei Wochen seine Frau und die Töchter Johanna (acht Jahre) und Elfriede (sechs Jahre) in Aigen besuchen.

Er musste alles für seine Zwangsübersiedlung nach Wien regeln.
In Wien hatte er sich ab April als jüdischer Bewohner registrieren zu lassen und als ehemaliger KZ-Häftling wöchentlich bei der Polizei zu melden, einer bezahlten Arbeit durfte er nicht mehr nachgehen.

Die Erfassung der Wiener Juden diente der Vorbereitung einer Umsiedlungsaktion nach Nisko in Polen, geplant und organisiert von Adolf Eichmann. Für diese Umsiedlung mussten die Juden alles Hab und Gut zusammenkratzen und den Nationalsozialisten übergeben.

Am 20. Oktober 1939 wurde Hans Baumann mit 911 weiteren Juden mit dem ersten Deportationstransport von Wien nach Nisko in Polen zwangsausgesiedelt. Dort, so versprach man, könnten sich die Juden eine neue Existenz aufbauen. Tatsächlich nahm die SS den Deportierten noch während des Transportes die Personalpapiere ab. In Nisko angekommen, mussten Sie am Bau für ein Arbeitslagers arbeiten.

Aus dem polnischen Nisko konnte er flüchten und über die deutsch-sowjetische Demarkationslinie gelangen.
Von der SS gejagt musste er bei frostigen Temperaturen den Fluß San durchschwimmen und erreichte nach einem Fußmarsch von 180 Kilometer das sowjetisch besetzte Lemberg. Der von Natur aus so kräftige und sportliche Mann holte sich in diesen Tagen ein schweres Rheuma, das ihm das Überleben in der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt sehr erschwerte. Dazu kam, dass ein Weiterkommen in ein für Juden sicheres Land ohne Papiere kaum mehr möglich war.

Im Mai 1940 wurden die Juden in Lemberg neuerlich, diesmal von der stalinistischen Geheimpolizei, verfolgt und eingesperrt. Hans Baumann verschleppte man nach Archangelsk in den Nordwesten Russlands wo er im September 1941 an Erschöpfung starb. (Quelle: K. Eckl-Honzik)

Langform des Interviews mit Schriftsteller Peter Paul Wiplinger.
BezirksRundschau: Welche Bedeutung hat die „Stolpersteinsetzung“ in Aigen?
Das ist eine außerordentlich wichtige, beispielgebende Zeichensetzung des Sich-Erinnerns, des Gedenkens, des Mahnens. Es ist ein Aufruf, sich mit dem jahrzehntelang Verdrängten, Verschwiegenen, schließlich Vergessenen endlich doch noch auseinanderzusetzen; „es“ ins kollektive Gedächtnis der Bevölkerung zu holen und dort zu verankern. Dies auch im Hinblick auf die Zukunft; daß „so etwas“ wie der rassistische Massenmord (an 6 Millionen Menschen!) - nie mehr geschehe.
Wie meinen Sie das?
Diese „Stolpersteine“ sind für mich zugleich so etwas wie Grabsteine - für die Ermordeten, die auf keinem Friedhof ruhen. Man sollte sie aufsuchen, bei ihnen verweilen und in Betroffenheit der Ermordeten, dieser Toten, die einmal mitten unter und mit uns gelebt haben, gedenken.
Was muss jetzt weiter passieren?
Von diesen Gedenksteinen sollte ein Impuls zu einem Prozess einer Bewusstseinsbildung ausgehen, der das ganze Land und seine Bevölkerung erfaßt. Denn nur wer über das Grauenhafte der Vergangenheit informiert ist und darum weiß, was an Unfaßbarem Menschen ihren Mitmenschen antun können, der kann und wird (und muss!) rechtzeitig gegen jeden neuen Rassismus auftreten. Auch deshalb sind diese Gedenksteine so wichtig. Und wir sollten allen, die dazu beigetragen haben, daß es sie gibt, auch wirklich danken.

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