Flüchtlingswelle
Ex-Bürgermeister verfasst Buch "Die große Flucht 2015"

Heinz Schaden mit seinem Buch "Die große Flucht 2015" am Salzburger Hauptbahnhof, der damals Hauptschauplatz war. | Foto: Stadt Salzburg/Alexander Killer
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  • Heinz Schaden mit seinem Buch "Die große Flucht 2015" am Salzburger Hauptbahnhof, der damals Hauptschauplatz war.
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Salzburgs Ex-Bürgermeister Heinz Schaden erinnert sich in seinem Buch "Die große Flucht 2015" an die Flüchtlingskrise 2015 und die Herausforderungen für die Stadt Salzburg.

SALZBURG. Es war die Nacht auf den ersten September 2015, in der rund 1.500 Flüchtlinge am Salzburger Hauptbahnhof "strandeten" – die meisten von ihnen mit dem Ziel, nach Deutschland weiterzureisen. Für mehrere Monate wurde der Hauptbahnhof zur Drehscheibe, rund 350.000 Flüchtlinge passierten via Salzburg die Grenze nach Deutschland und stellten die Stadt vor eine der größten humanitären Herausforderungen.

Prägende Erinnerungen 

Einer der zentralen Entscheidungsträger während dieser Zeit war der damalige Bürgermeister Heinz Schaden. Anhand von Unterlagen aus seiner Amtszeit, privaten Aufzeichnungen und persönlichen Erinnerungen hat er die Geschehnisse jetzt in Buchform unter dem Titel "Die große Flucht 2015" zusammengefasst. Im Interview spricht das frühere Stadtoberhaupt über den Inhalt seines Buches, seine prägendsten Erinnerungen an das Jahr 2015 sowie über die größten Herausforderungen für die Stadt und die Bevölkerung.

Herr Schaden, wann ist bei Ihnen der Gedanke, die Geschehnisse vom Herbst 2015 in Buchform festzuhalten, gereift?
Heinz Schaden:
Ich habe viel dokumentiert aus der damaligen Zeit und viele prägende Erlebnisse gehabt. Gereift ist die Idee gemeinsam mit Sylvia Hahn von der Universität Salzburg, als ich zu diesem Thema Vorlesungen gehalten habe. Ich war selbst im Jahr 2003 auf einer Reise in Syrien und war überwältigt von dem Land und der reichen Kultur. Das hat mich tief bewegt, als im Herbst 2015 so viele Familien aus diesem Land, das eine so reiche Geschichte hat, zu uns geflüchtet sind und hier von vielen als "Bedrohung" betrachtet wurden.

In Ihrem Buch schreiben Sie: "Buchstäblich über Nacht wurde unsere Welt eine andere." Gemeint ist damit die Nacht vom 31. August auf den ersten September 2015, in der Tausende Flüchtlinge am Salzburger Hauptbahnhof waren und nach Deutschland weiterreisen wollten. Wie haben Sie diese ersten Momente erlebt?
Heinz Schaden:
Ich erhielt spät in der Nacht des 31. August einen Anruf des damaligen Magistratsdirektors, dass der Bahnhof voller Flüchtlinge sei. Ich habe umgehend eine Notverordnung erlassen, die Menschen dort brauchten ja Essen, Kleidung, eine medizinische Versorgung. Viele von ihnen waren nach teils monatelanger Flucht in schlechtem körperlichen Zustand.

Zentral war, dass die Logistik, der Transport und die Versorgung funktionierte und eine Abstimmung mit den deutschen Behörden und den ÖBB gegeben war. Wir haben einen Einsatzstab eingerichtet, es gab laufend Besprechungen auch mit den unterschiedlichen Einsatzorganisationen. Während dieser Zeit war ich wohl öfter am Bahnhof als im Büro.

Was war für Sie in Ihrer damaligen Funktion als Bürgermeister wesentlich?
Heinz Schaden:
Eine unserer Handlungsmaximen war, dass in einer Entfernung von hundert Metern vom Hauptbahnhof und später dann vom Asfinag-Gelände möglichst niemand die Krise unmittelbar wahrnehmen sollte. Dass die Bevölkerung in ihrem alltäglichen Leben nicht beeinträchtigt wird. Ich war überzeugt davon, dass das für die Akzeptanz der Bevölkerung enorm wichtig war.

Was für mich, aber auch für die anderen Beteiligten und Entscheidungsträger, von Anfang an zentral war, war, dass persönliche oder politische Eitelkeiten keine Rolle spielen. Darüber herrschte eine unausgesprochene Einigkeit. Die Zusammenarbeit funktionierte unbürokratisch. Da habe ich mir schon öfter gedacht, wenn es wirklich Spitz auf Knopf steht, dann können wir das, dann funktioniert es einfach.

Heinz Schaden in der Tiefgarage am Salzburger Hauptbahnhof. Diese diente 2015 kurzfristig auch als Notunterkunft für die Flüchtlinge.  | Foto: Stadt Salzburg/Alexander Killer
  • Heinz Schaden in der Tiefgarage am Salzburger Hauptbahnhof. Diese diente 2015 kurzfristig auch als Notunterkunft für die Flüchtlinge.
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Wenn man sich die Bilder von damals in Erinnerung ruft, sieht man vor allem auch die vielen Menschen aus der Zivilgesellschaft, die binnen kürzester Zeit am Hauptbahnhof waren und die ankommenden Flüchtlinge mit Essen, Decken, Hygieneartikeln versorgten und ihnen ein Gefühl von Menschlichkeit vermittelten. Wie haben Sie diese Welle der Solidarität und Hilfsbereitschaft erlebt?
Heinz Schaden:
Ich war sehr positiv überrascht und es hat mir gezeigt, dass wir als Gesellschaft damit umgehen können. Es war ein Akt der Menschlichkeit und der Solidarität und das hat mich tief beeindruckt.

Sie führen in dem Buch auch Interviews mit Personen, die damals in unterschiedlichen Funktionen tätig waren. Darunter die damalige Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, ÖBB-Chef Christian Kern, Militärkommandant Heinz Hufler oder die frühere Landesrätin Doraja Eberle. Haben Sie manche dieser handelnden Personen nachhaltig beeindruckt, vielleicht sogar überrascht?
Heinz Schaden:
Manche haben mich stark beeindruckt, es waren durchgehend positive Erlebnisse. Und ja, es gab durchaus auch Personen, bei denen sich das Bild nachhaltig verändert hat und die einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben.

Aber es war generell eine Zeit, in der wir alle in sehr engem Kontakt standen und wer eine Aufgabe übernahm, führte diese auch zu Ende.

Stark in Erinnerung ist mir auch das Bundesheer geblieben. Sowohl die Führungskräfte als auch die Wehrdiener gewannen durch ihren Einsatz bei vielen Menschen hohen Respekt. Mir ist vor allem der behutsame Umgang mit den Flüchtlingen und die Sensibilität gegenüber den Flüchtlingskindern in Erinnerung geblieben. In der Tiefgarage wurde ein kleiner Bereich zu einem Spielplatz für die Kinder umfunktioniert, da waren auch andere Organisationen wie Pfadfinder, Kinderfreunde oder Caritas beteiligt. Dort konnten die Kinder zumindest für eine gewisse Zeit erstmals wieder richtige Kinder sein.

Generell findet sich in dem Buch sehr viel Bildmaterial. Zu sehen sind Familien, Mütter und Väter mit kleinen Kindern, ältere Menschen. War es Ihnen wichtig, den Flüchtlingen ein Gesicht zu geben, zu zeigen, welche Schicksale dahinter stehen?
Heinz Schaden:
Absolut. Hinter jedem Gesicht steht ein menschliches Schicksal, gerade am Anfang waren es sehr viele Familien, die bei uns angekommen sind, Mütter mit Babys, die sie während der Flucht zur Welt gebracht haben. Es muss einem bewusst sein, welches Erbe diese Menschen mitbringen.

Die große Welle der Solidarität in der Bevölkerung ist im Laufe der Monate jedoch weniger geworden.
Heinz Schaden:
Am Anfang war in der Bevölkerung eine große Solidarität zu spüren, das hat dann mit der Zeit abgenommen. Vor allem am Beginn des Jahres 2016 war das deutlich spürbar. Auch aufgrund der Ereignisse in der Silvesternacht von 2015/2016 am Residenzplatz.
Diese Ängste aus der Bevölkerung wurden auch in Form von Mails sichtbar, die wir als Politik erhalten haben. Die Flüchtlinge wurden von vielen als Bedrohung gesehen.

Ich spürte diese Angst auch in meinem eigenen Umfeld, sogar bei sehr liberalen Freunden von mir. Darüber habe ich mir als Bürgermeister natürlich Gedanken gemacht.

Mit Jänner ist die Anzahl der ankommenden Flüchtlinge dann weniger geworden, Anfang März 2016 wurde der Rückbau des Camps bei der Asfinag und eine Art "Rufbereitschaft" bei einer neuen Flüchtlingswelle vereinbart.

Inwieweit glauben Sie, dass die Ereignisse von 2015 die Stadt und die Bevölkerung verändert haben, geprägt haben?
Heinz Schaden:
Österreichweit und europaweit hat politisch ein Rechtsruck stattgefunden, in vielen Ländern. Was uns als Gesellschaft betrifft, glaube ich nicht, dass die Solidarität weg ist, das steckt in uns drinnen. Ich denke, wenn heute etwas Ähnliches eintreten würde,  würde es eine ähnlich große Welle der Menschlichkeit geben.

Heinz Schaden mit seinem Buch "Die große Flucht 2015" am Salzburger Hauptbahnhof, der damals Hauptschauplatz war. | Foto: Stadt Salzburg/Alexander Killer
Heinz Schaden in der Tiefgarage am Salzburger Hauptbahnhof. Diese diente 2015 kurzfristig auch als Notunterkunft für die Flüchtlinge.  | Foto: Stadt Salzburg/Alexander Killer
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