Rudolf Anschober
"Das würde ich jetzt gerne selbst entscheiden"
"Wenn ich die Schlagzeilen zur Pflegesituation aus Salzburg lese, ist das fürchterlich. Ich denke aber, das könnte überall in Österreich passieren, weil wir über Jahrzehnte keine Reformen durchgeführt haben", sagt Rudolf Anschober, der ehemalige Bundesminister für Soziales, Gesundheit und Pflege im Interview.
SALZBURG. Für 70 Vorträge und Lesungen tourt der ehemalige Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, Rudolf Anschober, durch Österreich und Bayern. Am Dienstag machte er Halt in Salzburg. "Das ist meine 37. Lesung. Bei 30 Lesungen hatten wir volles Haus", sagt der ehemalige grüne Politiker.
"Innenansicht" aus der Krise
Sein Buch, das er mitgebracht hat, heißt "Pandemia". Es ist international das erste Buch eines Entscheidungsträgers über die Corona-Pandemie. Die erste "Innenansicht" also eines europäischen Gesundheitsministers auf die Krise.
Herr Anschober, wie begegnen Ihnen die Menschen seit Ihrem Ausscheiden aus der Politik?
RUDOLF ANSCHOBER: Ich hatte geglaubt, wenn man die Politik verlässt, sollte man erst mal drei Monate auf Tauschstation gehen. Das Gegenteil war der Fall. Mich habe viele wohlwollende Briefe und Mails erreicht. Die Sympathie ist mir geradeso zugeflogen. Viele haben geschätzt, dass ich Schwäche gezeigt habe. Man kann nicht immer funktionieren.
Danach haben Sie das Buch "Pandemia" verfasst – eine Aufarbeitung dieser Zeit?
RUDOLF ANSCHOBER: Ja, es war ein egoistisches Projekt zur Aufarbeitung dieser Zeit für sich selber. Was es nicht ist, ist eine politische Abrechnung. Ich habe viel recherchiert und mit vielen Menschen über ihre Erfahrungen in der Pandemie gesprochen. Ich wollte für mich selbst schauen, was wir lernen können aus diesen Jahren und was man in Zukunft besser machen kann.
Wer kommt zu Ihren Lesungen?
RUDOLF ANSCHOBER: Ich wollte, dass auch Kritiker kommen, um gut und konstruktiv zum Thema diskutieren zu können. Das passiert auch immer wieder. Es sind viele junge Leute dabei und natürlich auch viele 'Grüne' sowie generell politisch interessierte Menschen, die sich Sorgen um die Gesellschaft machen.
Rückblickend: In einer Megakrise wie der Corona-Pandemie in Regierungsverantwortung zu sein, was macht das mit einem?
RUDOLF ANSCHOBER: Ich habe erst nach meinem Ausscheiden Zeit gehabt, die Dinge aufzuarbeiten. Keine Regierung der Welt machte in dieser Zeit keine Fehler. Das Buch zu schreiben, hat mir bei dieser Aufarbeitung geholfen.
Aktuell stecken wir in einer Vielfach-, einer multiplen Krise. Sind Sie froh, nicht mehr in Regierungsverantwortung zu stehen, oder juckt es manchmal in den Fingern wenn man das Geschehen verfolgt?
RUDOLF ANSCHOBER: Es juckt mich. Im Nachhinein war es natürlich der richtige Moment und die richtige Entscheidung, aufzuhören. Aber ich denke mir heute manchmal: "Das würde ich jetzt gerne selber entscheiden". Aber ich war 18 Jahre lang in Regierungen tätig und habe meinen Beitrag, für die Dinge, die ich als wichtig erachte, geleistet.
Wie ist Ihr (Rück-)Blick auf Salzburg in der Hochphase der Pandemie?
RUDOLF ANSCHOBER: Ich möchte kein Ranking unter den Bundesländern vornehmen. Generell glaube ich aber, dass wir den Weg der Gemeinsamkeit in Österreich verlassen haben, war ein Fehler. Die Menschen verstehen nicht, warum sich Regelungen an Bundesländergrenzen verändern. Ich hätte mir ein einheitliches Vorgehen weiter gewünscht.
Und bei anderen Themen? Verfolgen Sie die Situation in der Pflege in Salzburg beispielsweise?
RUDOLF ANSCHOBER: Die Pflege steckt längst in einer massiven Krise. Wenn ich die Schlagzeilen aus Salzburg lesen, ist das fürchterlich. Ich denke aber, das könnte überall in Österreich passieren, weil wir über Jahrzehnte keine Reformen durchgeführt haben.
Wozu raten Sie?
RUDOLF ANSCHOBER: Wir brauchen eine österreichweite Gehaltsreform in der Pflege. Wir wissen, dass wir bis 2030 rund 100.000 Mitarbeiter in der Pflege im Land brauchen werden. Da muss jetzt schnell gehandelt werden.
Diese Forderungen formulieren sich jetzt wohl leichter, als zu der Zeit, als Sie in Regierungsverantwortung standen.
RUDOLF ANSCHOBER: Stimmt (lacht), ich versuche eh nicht den "G'scheidl" von außen zu geben. Aber ich mache mir da schon Sorgen.
Verfolgen Sie die Personalrochade der Salzburger Grünen?
RUDOLF ANSCHOBER: Ja, ich kenne die handelnden Personen gut. Martina Berthold ist eine hoch engagierte und kompetente Frau. Sie genießt mein Vertrauen.
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