Psychologie / Psychotherapie
Autismus und Asperger bei Erwachsenen

Was sind Autismus-Spektrum-Störungen?

Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) zählen zu den schweren und tiefgreifenden hirnorganischen Entwicklungsstörungen. Menschen mit Autismus erleben sich selbst und die Welt anders als neurotypische Personen dies tun und verarbeiten Informationen anders. Autismus gilt als angeboren und unheilbar. Meist macht Autismus sich bereits in der frühen Kindheit bemerkbar.
Etwa ein Prozent der Gesamtbevölkerung ist von ASS betroffen. Das ist ein hoher Wert.

ASS wird auch innerhalb der Psychotherapieszene vernachlässigt, und häufig finden die Betroffenen keine Psychotherapeut*innen, die mit ihnen arbeiten wollen oder auf ASS spezialisiert sind. Zudem sind viele Helfer*innen davon überzeugt, dass eine Psychotherapie bei ASS nichts bringe und nicht hilfreich sei. Es gibt kaum psychotherapeutische Behandlungskonzepte für Erwachsene mit ASS.

Film: "Autismus Spektrum - Eine andere Art die Welt zu sehen"

Wie erkenne ich Autismus?

Typisch für Autismus-Spektrum-Störungen sind:

  • wenig Interesse an sozialen Kontakten und Interaktionen
  • ein geringeres Verständnis sozialer Situationen
  • sprachliche Besonderheiten und Einschränkungen in der Sprachentwicklung

Um die Diagnose Asperger oder Autismus bei Erwachsenen stellen zu können, müssen die Symptome bis ins Kindheitsalter zurück verfolgbar sein. Dies stellt Diagnostiker*innen vor Schwierigkeiten und mag ein Grund sein, weshalb ASS bei Erwachsenen oft nicht diagnostiziert oder erkannt wird.

Autismus und Asperger-Syndrom - die Unterschiede

Leo Kanner beschrieb erstmals den Autismus, Hans Asperger hingegen leicht ausgeprägte Formen des Autismus, die heute unter dem Asperger-Syndrom bekannt sind. Bei diesem ist das Sprachvermögen weniger beeinträchtigt. Zudem findet sich der atypische Autismus relativ häufig, bei dem in zwei von drei Bereichen

  1. stereotypes Verhalten,
  2. Kommunikation,
  3. soziale Interaktion

Einschränkungen zu finden sind.

Asperger kann auch als Kern des Autismus mit einer leichteren Symptomatik verstanden werden. Die meisten Menschen mit ASS sind übrigens durchschnittlich intelligent.

Symptome des Autismus und Verbreitung

Autismus weist sehr unterschiedliche Symptome auf und hat verschiedene Ausprägungen und Schweregrade.

In der DSM-5, dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders in seiner fünften Auflage vom Mai 2013, werden die Autismus-Spektrum-Störungen in eine Kategorie mit unterschiedlichen Schweregraden zusammengefasst. Es finden sich nämlich fließende Übergänge zwischen den verschiedenen Phänomenen und Ausprägungen des Autismus.

Bei etwa einem Prozent aller Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen liegt eine Autismus-Spektrum-Störung vor. Am weitesten verbreitet ist hierbei der atypische Autismus, dann der frühkindliche Autismus gefolgt von dem Asperger-Syndrom. Weltweit finden sich Menschen mit Formen des Autismus in allen sozialen Schichten.

Theory of Mind und Autismus

Theory of Mind meint Mentalisierung, d.h. die Kompetenz, sich selbst und den Mitmenschen Emotionen, Gedanken und Absichten zuzuschreiben. Ich habe dann Verständnis für meine eigenen mentalen Zustände und diejenigen der anderen.

Neurotypische Menschen haben den großen Vorteil, dass sie rasch die Emotionen anderer Menschen korrekt dechiffrieren und ablesen können. Auf diese Weise können sie Gespräche, Beziehungen und soziale Interaktionen positiv beeinflussen. Menschen mit Autismus haben diese Fähigkeit zum Mentalisieren oft weniger, manche gar nicht, und sie erleben dadurch in ihrem Alltag zahlreiche Nachteile. So tun sie sich dann etwa schwer, Ironie, Sarkasmus oder Metaphern zu erkennen bzw. zu verstehen.

Auch die eigene Mimik der Betroffenen ist manchmal starrer und maskenhafter, flacher, eingeschränkter und der jeweiligen Situation nicht immer angemessen. Die Prosodie der Stimme ist mitunter weniger ausgeprägt, flacher und emotionsloser.

Personen mit ASS sind beeinträchtigt, wenn es darum geht, die eigenen Emotionen zu erkennen, zu identifizieren, zu reflektieren und zu versprachlichen. Gefühle können oft nicht von körperlichen Empfindungen unterschieden werden. Diese Unfähigkeit wird auch als "Alexithymie" bezeichnet und ist eine Ursache für Schwierigkeiten mit dem Regulieren eigener Emotionen.

Fehlender Blickkontakt

Einige Menschen mit Asperger und Autismus weisen einen reduzierten Blickkontakt während sozialer Situationen auf. Ein direkter Blickkontakt löst bei ihnen mitunter Ängste und Überforderung aus und kostet sie viel Kraft und Energie. Der Energieaufwand und die Konzentration sind dabei so stark, dass sich Personen mit ASS dann kaum noch auf den Inhalt einer Konversation fokussieren und keine Aufmerksamkeit dafür mehr aufbringen können.

Weitere Gründe sind, dass die Augen anderer für sie weniger bedeutsam sind, weil die Betroffenen ja weniger aus den Augen ihrer Mitmenschen ablesen können und deswegen weniger Interesse am Blickkontakt haben. Zudem erleben sie direkten Blickkontakt schnell als aversiv, bedrohlich, Angst machend und unangenehm. Das neurotypische soziale Umfeld wertet Menschen mit ASS deshalb gerne ab und unterstellt ihnen Unhöflichkeit und schlechtes Benehmen. Menschen mit ASS werden deswegen bereits während ihrer Kindheit von Eltern, Erzieher*innen, Lehrer*innen und vielen anderen permanent gerügt, weil sie kaum direkten Blickkontakt suchen. Sie werden schon als Kinder dazu aufgefordert, ihrem Gegenüber in die Augen zu sehen.

Manche Betroffene wenden dann folgenden Trick an, um nicht als unhöflich abgestempelt zu werden: Sie blicken ihren Gesprächspartner*innen an eine Stelle zwischen deren Augen.

Was sind die Vorurteile gegenüber Menschen mit ASS?

  • Autismus betreffe nur sehr wenige Personen.
  • Autistische Personen hätten auch Defizite in der Sprachentwicklung.
  • Autismus sei nur unter Kindern verbreitet.
  • Autismus sei eine Modediagnose.
  • Autistische Menschen hätten geistige Behinderungen oder eine verminderte Intelligenz.
  • Autismus gebe es gar nicht.
  • Autismus sei ein Trauma. Die Eltern seien emotional kalt oder psychisch missbräuchlich gewesen. Deshalb sei eine Person nun autistisch.
  • Autismus sei ein Impfschaden.
  • Autistische Personen hätten keine Empathie oder Gefühle für sich selbst oder ihre Mitmenschen.
  • Autismus sei heilbar.
  • Autismus sei fast nur unter Männern zu finden.
  • Autistische Menschen hätten Inselbegabungen oder seien hochbegabt und überdurchschnittlich intelligent.

Neurodiversität statt Pathologie

Wertvoll ist hier auch das Konzept der Neurodiversität. Es versteht ASS nicht als eine Störung, sondern als einen Teil der Vielfalt psychischer und hirnorganischer Phänomene. ASS gehört dann zur neuronalen Vielfalt einfach dazu und stellt keinen Mangel oder ein Defizit mehr dar.

Dies entspricht auch dem Selbsterleben vieler Personen mit ASS, die sich nicht würden verändern wollen, auch wenn das möglich wäre. Sie verstehen ihr anders-Sein als einen wesentlichen und spezifischen Teil ihrer Persönlichkeit und fühlen nur deshalb Leidensdruck und innere Not, weil das neurotypische Umfeld immer und überall von ihnen erwartet und Druck macht, dass sie sich anpassen, verbiegen und etwas vorgeben zu sein, was sie nicht sind. Gesellschaftliche Anforderungen können dann nur mit größerer Anstrengung, einem inneren Kraftakt und viel Überkompensation erfüllt werden, was zu schweren Angststörungen oder Depressionen führen kann. Das ständige Mimen, sich-Verbiegen und Schauspielern führen zu schweren Erschöpfungszuständen, zum Ausbrennen und zu körperlicher Müdigkeit.

In meiner Resonanz und Gegenübertragung erlebe ich als Psychotherapeut Autismus nicht als eine psychische Störung oder als eine Erkrankung, sondern als eine spezifische Veranlagung, die sich besonders, speziell und anders anspürt.

Hilfe für Menschen mit Autismus

Menschen mit ASS haben oft das Gefühl, anders als alle anderen zu sein und nicht recht in diese Welt zu passen. Dieses Phänomen bezeichnen manche Betroffene als "Wrong-Planet-Syndrome".

Sie passen sich oft viel zu sehr an ihr neurotypisches soziales Umfeld an. Dies kostet sie viel Kraft und Lebensenergie und hat oft Depressionen und Angststörungen zufolge. Zudem verinnerlichen Menschen im Autismus-Spektrum schnell, dass sie anders sind. Sie werden nicht selten von neurotypischen Menschen ausgegrenzt, beschimpft, belächelt und abgewertet und können diese maligne Haltung verinnerlichen.

In einer Psychotherapie können Sie lernen:

  • sich nicht an das neurotypische Umfeld überanzupassen und dadurch zu erschöpfen
  • Beeinträchtigungen in sozialen Interaktionen zu reduzieren
  • kommunikative und sprachliche Kompetenzen zu erwerben
  • sich soziale und emotionale Fertigkeiten anzueignen
  • sich anderen Menschen besser mitzuteilen
  • eine gute Selbstfürsorge zu entwickeln
  • sich selbst so anzunehmen und zu akzeptieren, wie Sie sind
  • einen besseren Selbstwert zu finden
  • Stress besser zu managen
  • sich in Partnerschaften und in der Sexualität besser zurechtzufinden
  • sich beruflich zu orientieren
  • mehr Akzeptanz für Ihre ASS zu entwickeln und mehr Selbstwert zu fühlen
  • Ihre Besonderheiten anzunehmen und Ihre Identität zu finden
  • Ihre Emotionen besser zu fühlen und zu regulieren
  • besser auf Ihre besonderen Bedürfnisse zu achten und diese zu erfüllen

Film: "Autismus: Alle Fragen erlaubt!"

Erfahren Sie in diesem Video, wie zwei Menschen mit Asperger-Syndrom sich selbst und ihre Umwelt erleben.

Autismus- bzw. ASS-Selbsttests für Erwachsene

Folgende Selbsttests können Ihnen eine erste Einschätzung geben, ob bei Ihnen möglicherweise ASS vorliegt.

Allerdings ersetzen diese Selbsttests keine sorgfältige psychologische oder psychotherapeutische Diagnostik. Im Besten Fall führen Sie diese Tests mit erfahrenen Psycholog*innen oder Psychotherapeut*innen gemeinsam durch.

Eine eigenständige Selbstdiagnose ist nämlich bei ASS nicht möglich, und es kommt dann häufiger zu falsch-positiven Diagnosen von ASS.

Folgende Tests des Autismus Research Centre der Universität Cambridge können Sie hier herunterladen:

Autismus Quotient von Baron Cohen
Ein Tests zur Selbsteinschätzung, um typisch autistische Verhaltens- und Erlebensweisen zu erheben. Hier ist keine automatische Auswertung dabei.

Empathie Quotient von Baron Cohen
Ein Selbsttest, um die eigene Fähigkeit zur Empathie besser einschätzen zu können.

Reading Mind In The Eyes Test von Baron Cohen
Ein Selbsttest, um herauszufinden, ob Sie die Gefühle Ihrer Mitmenschen gut erkennen und ablesen können.

Zur spezifischen diagnostischen Abklärung empfehle ich Ihnen:
den Dachverband Österreichische Autistenhilfe (Wien)
Autistenzentrum Arche Noah (Wien)
VIA (Salzburg) - Verein Initiative Autismus

Autor: Florian Friedrich
Psychotherapeut in Salzburg / Hamburg
(Existenzanalyse)

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