ZAUNWINDE. Märchen und Geschichten für Kinder, Kindsköpfe und Kind gebliebene - Teil 48

Bis in den Herbst hinein konnte man immer noch die wunderschönen weißen Blütenkelche der Zaunwinde an Sträuchern, Zäunen, Brückengeländern und Bäumen emporranken sehen. Da ich nigends eine passende Geschichte zur Kletterpflanze mit dem magischen kleinen Blütenkelch finden konnte, hab ich mir die folgende selbst ausgedacht. Erkennen Sie den Ort der Handlung wieder? Er ist auf jedenfall eine Wanderung wert!

Zaunwinde

Tief drinnen im Hintergebirge, dort wo sich der Reichramingbach anmutig mit seinen silbern glitzernden Wassern dahinschlängelt, wohnte einst ein mächtiger Bergkönig namens Saigerin. Sein Palast war über und über mit funkelnden Edelsteinen übersät. Von Saigerins Schätzen und Reichtümern sprach man nicht nur in Reichraming, nein, Menschen aus nah und fern versuchten immer wieder, Saigerins Schätze zu finden und sich anzueignen. Die meisten von ihnen wurden jedoch nie wieder gesehen.

Saigerins Gefolgsleute waren zwar die Zwerge, aber auch Feen, Elfen und Naturgeister beugten sich seinem Willen. Weil aber ein einzelnes Wesen so viel ungeteilte Macht selten gut vertrug, wurde Saigerin anfänglich so liebevolles und gütiges Wesen von Jahr zu Jahr härter, unnahbarer und gebieterischer – bis es schließlich vollends von purer Gier und Machthunger verdrängt wurde.
So mussten bald seine Diener, die Zwerge, wie die Zwangsarbeiter schuften, während seine Gelehrten berechneten, wie er noch mehr aus seinen Arbeitern herausholen konnte. Schließlich konnte man freies Potential an Arbeitskraft nicht einfach so versanden lassen.

Saigerin selbst wurde indes immer dicker, behäbiger und missmutiger. Schon bald war das Essen das einzige, das ihn freute. Die Tische bogen sich vor jeder Mahlzeit, Wein und Bergkristallwasser wurden ihm in einem Becher aus hochkarätigen geschliffenen Edelsteinen gereicht, den russische Zwerge nach den höchsten Richtlinien der Zwergenkunst eigens für ihn angefertigt hatten.
Eines Tages aber geschah ein furchtbares Missgeschick. An jenem Tag war der tagträumerische Zwerg Hirschmugl an der Reihe, dem König seinen liebsten rubinroten Wein im edelsteinernen Pokal zu kredenzen, da fiel genau in jenem Augenblick sein Blick nach draußen auf den Blaberg, als er den wertvollen Kelch auf den Küchentisch stellen wollte.

Draußen hatte er die Blumenfee Cordula erblickt, die gerade dabei war, sündhaft süßen Waldhonig einzusammeln. Cordula gefiel dem Zwerg besonders gut. Am liebsten hätte er ihr stundenlang bei der Arbeit zugesehen. Ihre Bewegungen wirkten wie ein Tanz – so eines Anblicks konnte man einfach nicht müde werden! Dummer Weise hatte sie ihn bisher noch nie bemerkt. Bis… Potz… Blitz…, hatte ihm die Cordula wirklich gerade zugewinkt? Hirschmugl strich sich über die Augen und schüttelte verwirrt den Kopf. „Klirrrrrrrrr“ Tausend Splitter rollten und sprangen über den geschliffenen schiefersteinernen Boden, als ihm der wertvollste Kelch der Welt aus der Hand glitt und am Boden zerschlug.
Hirschmugl wurde kreidebleich vor Verzweiflung. Was sollte er jetzt bloß tun. Gleich würde der Bergkönig nach ihm rufen und dann war guter Rat teuer. Wenn Saigerin herausfand was Hirschmugl mit seinem Kelch angerichtet hatte, würde er den Unglücksraben mit Sicherheit in den tiefsten und finstersten Stollen verfrachten, um dort bis zu seinem Lebensende zu schuften – und wenn man bedenkt, dass Zwerge mehr als 1000 Jahre alt werden, war diese Strafe für unsern frohsinnigen, herzensguten Hirschmugl schlimmer als der Tod.
Da strich ihm eine hauchzarte Feenhand wie ein Windhauch über die Stirn, um dann seine Tränen wegzuwischen. „Was ist los mit dir, mein Freund, und warum weinst du so bitterlich? Erzähl wir was dich so sehr quält und ich will dir gerne helfen!“

„Oh Cordula!“ seufzte Hirschmugl kaum hörbar. „Mir kann keiner helfen, denn ich habe Saigerins Kelch aus puren geschliffenen Edelsteinen zerbrochen. Ich Dummkopf hab ihn einfach fallen lassen, als ich dir bei der Arbeit zugeschaut habe!“

Täuschte er sich, oder überzog da ein leicht rosa Schimmer die Wangen der wunderhübschen Fee? „Aber egal, es ist ohnehin aus mit mir!“
„Warte hier, sprach Cordula und schon war sie zum Fenster hinaus. „Ja, ja, lass mich du auch noch alleine. Für mich gibt’s ohnehin keine Rettung mehr!“
Da hörte er Saigerin auch schon ungeduldig seinen Namen rufen: „HIIIIIRRRRRRRSCHMUUUUUUGLLLLLL! Wo bleibst du schon wieder, du Taugenichts! Bring mir sofort meinen Wein!“ In diesem Moment schwebte die Blumenfee wieder zum Fenster herein – wie ein Funken Licht in tiefster Finsternis. In ihren zarten Händchen hielt sie einen großen weißen Blütenkelch der über und über mit Tautropfen behangen war, die wie 1000 Diamanten glitzerten.

„Halte dich dicht hinter mir Hirschmugl und sag kein Wort, ich werde dir alles auf dem Weg zum König erklären…“ und schon war sie in Richtung Thronsaal unterwegs.

„Was soll das? Wo ist mein Kelch und wo treibt sich dieser nichtsnutzige Zwerg wieder herum? Wenn er schon wieder etwas ausgefressen hat, wird er sich beim ersten Morgengrauen im tiefsten und dunkelsten Stollen wieder finden!“
„Aber Bergkönig, so hört mir doch erst zu was ich euch zu sagen habe! Ich bin die Blumenfee Cordula, Tochter der Feenkönigin Melinda. Als Melinda heute Morgen diesen wunderschönen Kelch hier entdeckte, war sie der Meinung, dass Ihr allein das einzige Wesen seid, dem ein solch prächtiger Kelch gebührt. So schickte sie mich zu euch, euch darin diesen Feentau zu kredenzen. Ich bitte euch, Saigerin, erweist mir die Ehre, daraus zu trinken!“
Dem tiefgründigen Lächeln der wunderhübschen Fee konnte selbst der griesgrämige Bergkönig nicht wiederstehen und so trank er das Wasser aus dem Blütenkelch. Kaum aber hatte er den ersten Schluck genommen, glätteten sich seine Gesichtszüge. Die tiefen Furchen die Härte und Habsucht gegraben hatten, waren wie durch Geisterhand verschwunden, an ihrer statt waren die alten Lachfältchen und Grübchen, an die sich nur mehr die ältesten Zwerge erinnern konnten, zurückgekehrt.

In dem weißen Blütenkelch der Fee hatte sich nämlich Wasser aus dem Großen Bach befunden, entnommen an der Stelle, wo er durch Weißwasser fließt. Weißwasser, so erzählt die Sage – soll ein Ort der reinen Unschuld sein. Alles Wasser, das diesen sagenumwobenen Ort durchfließt, hat die Fähigkeit, die Reinheit und Gefühle der uralten Vergangenheit in seinen Wasserkristallen zu speichern und sie wieder ans Tageslicht zu bringen. Denn zu Anbeginn der Zeit war alles noch von Reinheit, Liebe und purem Frieden erfüllt. Offensichtlich hatte das Weißwasser dieses Wunder auch bei Bergkönig Saigerin bewirkt: „Lieber Hirschmugl, warum versteckst du dich hinter der hübschen Blumenfee mit den Seegrünen Augen? Hast du wieder etwas angestellt?“ fragte der Bergkönig völlig verwandelt.

Da fasste sich der Zwerg ein Herz und begann zu beichten. „… und hier sind sie… die Überreste Eures wertvollen Kelchs… zerbrochen in 1000 Splitter!“ Völlig gebrochen kniete der Zwerg vor Saigerin und erwartete das Schlimmste.
„Hmmm, der Kelch war ja schon ziemlich altmodisch. Ich finde es spannend, dass die Edelsteine ihre Farbe gewechselt haben. Siehst du… sie glitzern jetzt wie tausend Diamanten, nicht mehr so bunt wie zuvor! Hol mir die Goldschmiede! Sie sollen versuchen den funkelnden Blütenkelch der Feen aus Weißgold nachzubilden. Die Diamanten eignen sich hervorragend für die Darstellung der glitzernden Tautropfen. Ich finde es ist höchste Zeit für Veränderungen!“

Unendlich erleichtert zogen Zwerg Hirschmugl und seine Blumenfee Cordula von dannen. Hinter ihren Rücken hielten sie verstohlen Händchen. Wenn schon Zeit für Veränderungen war, konnten zur Abwechslung doch auch einmal ein Zwerg und eine Blumenfee heiraten.
Die Sage von König Saigerin aber, ging wie so vieles mit der Zeit verloren. Denn als die Leute im Hintergebirge aufhörten, Bergbau zu betreiben, wurden auch die alten Sagen nicht mehr weiter erzählt. Lediglich in den magischen Wasserkristallen von Weißwasser sind sie und viele andere Geheimnisse bis zum heutigen Tag gespeichert.

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