Der "verpflanzte" Räuchergang – Märchen und Geschichten aus dem Bezirk Steyr – Teil 10

- hochgeladen von Anita Buchriegler
RÄUCHERN.
Das Räuchern ist eine Tradition, die fest in unserer Kultur verankert ist. In den Raunächten wird der uralte Brauch bis heute in vielen Gegenden Österreichs durchgeführt. Um Haus und Wohnung zu segnen und von störenden Energien zu befreien, erfreut sich das Räuchern auch im modernen Haushalt steigender Beliebtheit. Sei's traditionell überliefert, mit Weihrauch; mit Beifuß, Wacholder und Salbei oder mit der Räuchermischung aus dem Naturladen; Räuchern bringt Geborgenheit und Wohlgeruch ins Haus.
Von uralten Räuchertraditionen am Schieferstein und dem Versuch, diese raus ins Flachland zu verpflanzen…
Grundsätzliches zum überlieferten Brauchtum
Im Elternhaus meines Mannes auf dem Schieferstein wird noch immer stark an Jahrhunderte alten Bräuchen und Traditionen festgehalten. Geräuchert wird am Heiligen Abend (24. Dezember), am Silvesterabend (31. Dezember) und in der Dreikönigsnacht (5. Jänner).
Während die Manderleut mit Räucherpfanne, Laterne und Weihbrunnkessel durch Haus und Stall gehen und auf jede Tür mit Kreide 3 Kreuzerl zeichnen, sitzen die Frauen betend am großen Tisch in der finsteren Stube. Nur eine Kerze auf dem Tisch spendet etwas Licht. Gebetet wird der Rosenkranz, den hier noch jeder beherrscht. Erst wenn die Männer wieder in die Stube zurückkommen, kann das Christfest beginnen.
In der Dreikönigsnacht gibt es einen besonderen Brauch. Am Schluss des Räuchergangs stellt sich die ganze Familie im Kreis zusammen. Ein jeder hält einen Hut in der Hand, während der Opa noch einmal ordentlich Rauch aufsteigen lässt, dann werden die Hüte aufgesetzt, wobei ein jeder versucht, darin etwas Rauch einzufangen. Dies soll für Glück und Gesundheit im kommenden Jahr sorgen.
Danach wird auf dem Küchentisch eine Schüssel mit frischer Kuhmilch und Brotbrocken aufgestellt. Ein Jeder darf einmal kosten und steckt dann den Löffel wieder in die Schüssel mit der „Brotsuppn“. Aber Achtung! Dabei gilt es sich genau zu merken, wem welcher Löffel gehört. Denn wer am nächsten Morgen den meisten Rahm auf seinem Löffel findet, dem soll im kommenden Jahr der größte Geldsegen beschieden sein.
Wie man - wie die Jungfrau zum Kind - ganz ungewollt, jedoch mit unzähligen Turbulenzen - über das Räuchern stolpern und es trotzdem lieben lernen kann, will ich in der folgenden Geschichte erzählen:
Bei uns zuhause ist nie geräuchert worden, oder zumindest seit 3 Generationen nicht mehr. So kam es, dass ich das Räuchern schlichtweg nicht kannte.
Als ich mit meinem Mann zusammenkam, sollte sich das schnell ändern. Nur was sollte ich bloß mit diesem "Hokus Pokus" anfangen? Für mich war das ein richtiggehender Clash der Kulturen. Man stelle sich vor: finstere Stube - die Frauenzimmer sitzen betend am Stubentisch (wer kann heutzutage schon noch den Rosenkranz?) - die Männer laufen mit Weihrauch und Laterne durchs Haus und malen 3 Kreuze an jede Tür (so viel zur Emanzipation!) - hinterher soll man gar noch einen Hut aufsetzen und wird abgeräuchert!?! Ich empfand diese Erfahrung damals als ziemlich "heftig".
Heute ist Räuchern für mich zum Ritual geworden – etwas, das Jahr für Jahr wiederkehrt, etwas, auf das man sich freuen kann.
Räuchern in Rohr
Als mein Mann und ich frisch verheiratet waren, hatte ich mir in den Kopf gesetzt, den Brauch des Räucherns zumindest am Heiligen Abend auch bei uns zu installieren – ein edler Gedanke, der in einem heillosen Durcheinander, gespickt mit heißen Tränen, endete.
Mein Geburtstag ist am 24. Dezember. Aus diesem Grund war dieser Tag bei uns schon immer ziemlich geschäftig. Am Vormittag kommen die Nachbarn auf einen Sektbrunch vorbei. Ab und zu gratulieren auch noch Freunde. Natürlich muss auch das Friedenslicht vom Bahnhof geholt werden. An jener ersten „Räucherweihnacht“ war noch mehr los als sonst. Zum Brunch kam auch noch Bandkollege Walter mit der neuen Demo-CD. Am Nachmittag saßen wir noch mit Freunden zusammen. Dabei wurde es später und später.
Während es draußen zu dämmern anfing, wartete in der Stube die bettlägerige Oma schon ungeduldig auf die Verwandtschaft, denn wir feierten Weihnachten seit jeher gemeinsam im Kreise der Großfamilie. Als wir gerade mit dem Räuchern beginnen wollten, kamen, etwas früher als sonst, die beiden Söhne meiner Cousine an. „Okay“, dachte ich, „Die Jungs nehmen wir jetzt einfach beim Räuchern mit“. De facto gesellte sich dann auch noch Hund Axel dazu.
Gebete ließen wir bei diesem Erstversuch weg. „Einfach mit Laterne und Räucherpfanne durchgehen und etwas Segen ins alte Gemäuer bringen“, lautete die Devise. Aber irgendwie sollte nichts so klappen, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Der zwölfjährige Thomas hatte Räuchern anscheinend mit „Halloweenparty“ verwechselt. Er versteckte sich hinter jedem dunklen Winkel, dessen er fündig wurde, und sprang mit lautem Geheule hervor, um uns zu erschrecken.
Zu allem Unheil sperrten wir dann auch noch den Hund versehentlich im Heuboden ein, der natürlich in Panik ausbrach und ebenfalls wild zu jaulen begann.
Mein Nervenkostüm – gesponnen aus viel zu hohen Erwartungen – war am Ende des Räuchergangs so ausgefranst wie ein ausgedientes "Presstuch". Als ich dann, dem Heulen nahe, mit meiner Räucherschar in der Küche ankam, platzte als Draufgabe auch noch meine Freundin ins Haus (es war jetzt ca. 19.30 Uhr): "Hey, Angel, ich will dich gar nicht lange aufhalten! Kannst du mir die neue Demo-CD gleich mitgeben?"
Meine Fassung reichte gerade noch so weit, um meine Freundin höflich hinauszukomplimentieren, dann entließ ich meine unerfüllten Erwartungen in Form von heißen Tränen im Wohnzimmer.
Jetzt, 10 Jahre später, ist das Räuchern zum fixen Ritual geworden und gehört zum Heiligen Abend wie das Amen im Gebet. Während meine Mutter mit unserem kleinen Sohn in der Stube bei einer brennenden Kerze wartet, gehen mein Mann und ich mit Laterne und Räucherpfanne durch Haus und Stallungen. Zusätzlich zum geweihten Weihrauch verwende ich auch noch Schutz und Reinigungsräucherungen vom Naturladen oder von einer lieben Bekannten. Gebetet wird beim Rundgang – aber nur das Vater Unser und das Gegrüßet seist du Maria.
Die Wiederaufnahme dieses alten Brauches bereue ich heute keine Sekunde lang. Das Wichtige dabei ist, dass man die Form und die Intensität findet, die zu einem passt. Denn Rituale sind wichtig in unserer gestressten Zeit. Sie geben uns Halt und die Möglichkeit, einmal innezuhalten.


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