WALDMEISTER. Märchen und Geschichten für Kinder, Kindsköpfe und Kindgebliebene - Teil 56

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"Man sollte hauptsächlich Lebensmittel essen, die im Umkreis von 30km vom Wohnort produziert worden sind", hat mir ein Heilpraktiker einmal erzählt. Trotzdem liebe ich asiatisches Essen. Und so führte mich mein Mann zum Hochzeitstag in ein China-Restaurant aus, das ich schon lange ausprobieren wollte.

Obwohl ich nicht gerne Süßes esse, war diesmal die Nachspeise mein absoluter favourite: Green Jelly mit Waldmeistergeschmack. Ich liebe diesen Geschmack seit ich denken kann - nur einmal bescherte mir die Schwiegermutter mit getrockneten Waldmeister, den sie mir mitgebracht hatte, ungewollt starke Kopfschmerzen. Schuld war das darin enthaltenen Cumarin, das in geringer Dosis gegen Kopfschmerzen und Migräne hilft, zu hoch dosiert aber durch den bloßen Geruch Kopfschmerzen verursacht.

Aber zurück zum Waldmeister-Wackelpudding: Wie lange hatte ich so etwas nicht mehr gegessen?! Gleich kehrten viele Kindheitserinnerungen zurück und mit ihnen die folgende Geschichte, die sich diesmal nicht mit den bekannten Verwendungsmöglichkeiten wie Maibowle, Anti-Motten-Kissen, oder als Maria Bettstrohkraut beschäftigt, das man früher Wöchnerinnen ins Bett gelegt hat, sondern mit der färbenden Kraft der Waldmeister-Wurzeln.

WALDMEISTER, oder die chinesische Lösung

Wieder einmal saß Walter bei seinem Lieblingschinesen um die Ecke, und starrte nachdenklich in seinen grünen Waldmeister-Wackelpudding hinein - gerade so, als handle es sich um einen Großbildfernseher. Eine einzige Frechheit war das! Eben erst hatte er gehört, wie sein Vater seiner Mutter von der gestrigen Gemeinderatssitzung berichtet hat. Unter anderem sprach er auch von Walters Lieblingsnachbarin, der alten Frau Böhm, der er so oft die schweren Einkaufstaschen heimtrug. Als Gegenleistung Verwöhnte sie ihn mit ihren leckeren Kuchen und erzählte ihr von der alten Heimat, der Flucht und den Abenteuern die sie erlebte, als sie als junges Mädchen im fremden Land Fuß fassen musste.
Die alte Witwe Böhm war gebürtige Siebenbürgerin, die sowohl ihren Ehemann als auch ihren Sohn überlebt hatte. Ihr ganzer Stolz war das kleine Häuschen mit dem sauberen Blumengarten, das sie und ihr Mann in Eigenregie gebaut hatten. Alle in der Nachbarschaft mochten die fleißige Mutter Böhm - und sie, sie mochte besonders unseren verträumten Walter.
Allerdings gab es da jetze offensichtlich ein Problem. Baulöwe Stiebke wollte ihr das Grundstück abluchsen. Immerhin blockierte das Häuschen die Einfahrt zu den geplanten Büroblöcken, die der schlaue Geschäftsmann gleich hinter Mutter Böhms Häuschen geplant hatte.
Mit Kennermiene fiel ihm sofort der Stuck auf, der von der Untersichtschalung des Daches auf den Gehsteig bröckelte. Und im Winter, da waren es die Eiszapfen, die offensichtlich eine Gefahr für die Passanten darstellten.

"Nr. 14 ist eine Gefahr für die Fußgänger!", brachte Stiebke in den Gemeinderat ein. Die alte Frau muss dringend renovieren, bevor noch ein Unglück passiert! Und seht euch nur das Dach an... wenn da Ziegel herunterbröckeln, könnte es ebenfalls Verletzte geben. Entweder die Alte renoviert, oder sie verkauft das Haus. Im neuen Altenheim sind Plätze frei. Da hätte sie es sicher besser!"

Als Walter am nächsten Tag Mutter Böhm seinen gewohnten Besuch abstattete, war die gerade dabei einen Brief zu öffnen, der per Einschreiben gekommen war. Nachdem sie ihn studiert hatte, schob sie ihn mit zitternden Händen Walter hin und plumpste kraftlos auf den Küchenschemel. "Der ist vom Gemeindeamt. Sie wollen, dass ich renoviere und ein neues Dach machen lasse, weil das Haus angeblich eine Gefahr für die Passanten ist. Aber wie soll ich das bloß bewerkstelligen? Ich bin fast 90 und für ein neues Dach reicht meine Rente bei weitem nicht! Nächste Woche wollen sie mit einem Sachverständigen vorbeikommen. Ach Walter, was soll ich bloß tun?"

Die Alte begann bitterlich zu weinen und Walter fühlte sich so hilflos, wie nie zuvor in seinem Leben. Den ganzen nächsten Tag über, brütete der Installateurlehrling vor sich hin und sein Geselle musste sich zum ersten mal so richtig über ihn ärgern. Am Abend traf er sich mit seinem Freund Rudi auf ein Bier. Rudi arbeitete bei Stiebke als Maurerlehrling. "Mann oh! Ist unser Chef abergläubisch. So weltmännisch wie der sich normalerweise gibt, würde man das nie für möglich halten." Dem Rudi kamen jetzt noch die Tränen vor lauter Lachen. "Wieso denn", horchte Walter interessiert auf, "was hat er denn gemacht, der Stiebke?" "Also, gut, lass dir erzählen..."

Und so berichtete Rudi seinem besten Kumpel, wie der olle Stiebke heute morgen kreidebleich geworden ist, als er versehentlich unter einer Leiter durchgegangen ist und gleichzeitig eine schwarze Katze von links kam. "Ach, welcher Tag ist heute eigentlich?", fragte der irritierte Baulöwe. "Freitag der 13."

Als Walter am Abend wieder mal unfreiwillig dazu verdonnert wurde, mit seiner kleinen Schwester "Ritter Trenk" zu schauen, kam ihm eine geniale Idee: was im Mittelalter gewirkt hat, könnte doch auch heutzutage noch wirken. In der Geschichte färbte ein falscher Mönch Brunnenwasser mit Waldmeisterwurzeln blutrot, um so den guten Ritter Hans von seiner Burg zu vertreiben. "Wenn der Stiebke wirklich derart abergläubisch ist, dann könnte man so etwas ähnliches zumindest probieren", beschloss Walter.

"So wie ich den Stiebke kenne, wird er sicher in den nächsten Tagen vorbeikommen, und dir ein Angebot machen, Mutter Böhm. Ruf mich am Handy an, wenn er an der Haustür klingelt und halte ihn mit einem Tässchen Tee hin. Aber mach den Tee mit Mineral. Ich sag dir jetzt was du dem Stiebke dann erzählst... Na der soll was erleben! Ich bin nicht umsonst Installateurlehrling!"

Walter sollte recht behalten. Kurze Zeit später fuhr der erwartete Besucher schon im nagelneuen Jaguar vor Mutter Böhms Häuschen vor.

"Guten Tag liebe Nachbarin!", heuchelte Stiebke Sorge und Mitgefühl. "Ich habe von den Problemen mit Ihrem schmucken Häuschen gehört und wollte Ihnen meine fachliche HIlfe anbieten."

"Kommen Sie nur rein", antwortete die alte Frau und legte das Schnurlostelefon zur Seite. Bei einem Tässchen Tee können wir alles Notwendige besprechen.

Als sie vor Stiebkes Augen das Mineralwasser in den geblümten Emailtopf goss, begann sie, offensichtlich schwer besorgt, zu erzählen: "Ja wissen Sie, Herr Stiebke, ich habe ja eigentlich vor Jahren schon mit dem Gedanken gespielt, das Häuschen zu verkaufen. Aber ich kriege es einfach nicht an den Mann. Sie kennen doch die alte Legende, dass es bei uns im Erlengrund spukt. Angeblich hört man heute noch die Stimmen der Zwangsarbeiter, die damals hier durchgetrieben und ins KZ verfrachtet worden sind. Nun ja, bei mir sind's nicht nur die Stimmen. Auch das Wasser färbt sich immer wieder mal blutrot, wenn es aus der Wasserleitung kommt. Das war bei unserem alten Hausbrunnen so, hat aber auch nicht aufgehört, als wir an die Ortswasserleitung angeschlossen worden sind." Und wirklich - als sich Mutter Böhm umdrehte und plakativ den Wasserhahn in der Küche aufdrehte, schoss blutrotes Wasser ins Waschbecken.

Stiebke war kreidebleich geworden. Auf seine Stirn waren Schweißperlen getreten. Nach einem kurzen Blick auf die Rolex an seinem Handgelenk, nuschelte er etwas von einem vergessenen Termin und dass er sich wieder melden würde, dann schoss er, wie der Blitz zur Tür hinaus.

"Wie hast du das nur wieder angestellt?", strahlte die alte Frau, als Walter nach der Arbeit vorbeikam". "Das bleibt mein Geheimnis", grinste der Junge. Und biss hungrig in die Hausgemachte Bratwurst, die ihm Mutter Böhm zur Feier des Tages zubereitet hatte. Als Nachspeise gab es sogar einen "Baumstamm". "Eins ist gewiss, ihr Siebenbürger könnt wirklich gut kochen!" sagte Walter.

An jenem Abend saßen die Beiden noch lange beisammen und berieten, wie Walter und Rudi es am besten anstellen sollten, um das Nötigste am Haus auszubessern.

Unser abergläubischer Baulöwe Stiebke hatte jegliche Lust an einem Kauf verloren und verwirklichte sein Projekt schließlich auf einem anderen Grundstück.

Da sieht man wieder mal, dass wirklich ehrlich gemeinte Nächstenliebe und selbstlose Hilfsbereitschaft nicht immer leer ausgehen. Mutter Böhm bezahlte Walter und Rudi natürlich für die geleistete Arbeit bei der Renovierung. Nach ihrem Tode aber, vererbte sie ihr Häuschen an Walter, der darin mit seiner Familie sehr glücklich werden sollte. Im Küchenkästchen fand er das alte Siebenbürger-Kochbuch mit dem ihm seine Frau noch viele Jahre verwöhnte.

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