Fasching
Bella ciao in Gleisdorf
Auch wenn ich selbst nicht zur Maskerade neige, freut es mich, am Faschingsdienstag durch die Innenstadt zu gehen und dabei aufgeregten Menschen in oft skurrilen Kostümen zu begegnen. Speziell die Emotionen der Teenies beginnen schon mittags das Set auszufüllen.
Auf Facebook hatte mich eine Information überrascht: „14 Uhr: Gleisdorfer Fasching 2020 | Mega Open Air Disco - Bella Ciao am Gleisdorfer Hauptplatz“. Das muß ich mir ansehen! Hätte jemand „Ciao bella, come stai!“ gegrüßt, hieße das: „Hallo Schöne, wie geh’s dir?“ Das „ciao bella“ hat aber mit dem „bella ciao“ nichts zu tun.
Bella ciao ist der Titel eines bedeutenden Liedes. Das stammt ursprünglich von italienischen Reispflückerinnen als Statement gegen ihre harten Arbeitsbedingungen. (Dokumente dazu reichen bis 1906 zurück.) Schließlich wurde es adaptiert und zu einem Lied der Partisanen und der Widerstandsbewegung, die gegen den Faschismus standen.
„O partigiano, portami via / O bella ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao / O partigiano, portami via / Ché mi sento di morir“ besagt etwa: „O Partisan, bring mich weg / O Schöne, ciao / Ich fühle, daß ich sterben werde“.
Ich hab bestaunt, daß dieser Titel eine Faschingsveranstaltung ziert. Dazu meinte Bauer Richard Hubmann: „Aber war ‚Bella Ciao‘ 2018 nicht auch der Sommerhit?“ Hätte ich kaum für möglich gehalten. Garagenliebling Gerhard Szamuhely ätzte treffend: „Du gehst zu wenig in die Disco...“ (Wohl wahr!)
Tatsächlich, es gibt einen „HUGEL Remix“ von „Bella Ciao“ der 2018 die österreichischen Charts anführte, aber auch in anderen Ländern Spitzenplätze schaffte. (Findet sich auf Youtube.) Amüsantes Detail, diese Popularität verdankt sich der spanischen TV-Serie „La Casa de Papel“ („Haus des Geldes“), deren Heldinnen und Helden freilich keine Rebellen sind, sondern ganz banale Gangster, die andere Leute ins Unglück stürzen.
Genau das läßt die spanische Bande eher bei den Faschisten als bei Partisanen stehen. Eine merkwürdige Wendung des Themen-Rahmens. Youtube offenbart ferner, daß sich DJ Ötzi 2018 mit „Bella Ciao (Silverjam RMX)“ an diesen Erfolg gehängt hat.
Der treibt die Umdeutung auf die Spitze, bietet uns ein bedeutungsloses Trallala, dessen Hauptbotschaft lautet: „Heute ist die Welt grade so schön, komm, laß uns Party machen, morgen ist eh alles im Arsch.“
Halt! Ich sollte seriös zitieren: „Der Vulkan, auf dem wir tanzen / Der ist kurz vor'm Explodieren / Schönen Gruß an die Welt / Wir haben nichts mehr zu verlieren / So jung wie heute Abend / Sind wir morgen schon nicht mehr / Egal, was wir auch sagen / Ein volles Glas wird zu schnell leer / Komm, lass uns lieben / Komm, lass uns leben / Bella Ciao, Bella Ciao, Bella Ciao Ciao Ciao…“ (Songtext von Bella Ciao, Silverjam RMX © Sony/ATV Music Publishing LLC, Album: „20 Jahre DJ Ötzi - Party ohne Ende“, 2018)
Es ist demnach genau das Gegenteil dessen, wovon das ursprüngliche Lied handelt. Schwamm d’rüber, die Unterhaltungsindustrie dreht Themen eben nach Belieben durch den Wolf und die Grundbotschaft von DJ Ötzi lautet einfach „Her mit Eurem Geld!“ Es geht allerdings in der Popkultur auch anders, falls man will.
Diese bestürzende und irritierende Bereitschaft, sein Leben genau dann einzusetzen, wenn eine anmaßende Macht mit ihren Kräften versucht, allen die Freiheit zu nehmen, hat Leonard Cohen in „The Partisan“ sehr eindrucksvoll beschrieben. (Davon gibt es auf Youtube viele verschiedene Versionen.)
Ein anderer Youtube-Fund erweckt den Eindruck, daß Inhalte gar nicht verändert werden müssen, weil sie völlig egal sind. Hauptsache der Schunkel-Faktor paßt. Ich zitiere: „Ladykryner steht nicht nur für rote Lippen, Sexappeal und fesche Ladies. Die 5 Damen machen vor allem musikalisch was her! Mit ihrem ersten Titel - einer Coverversion von ‚Bella Ciao‘ setzen die Ladies als Vorreiter ein Zeichen in der Schlager- & Volksmusikszene! Man darf gespannt sein, was da noch alles folgt...“
Der Originaltext stört nicht beim Schenkelklopfen, wird also beibehalten: „Una mattina mi son svegliato, / e ho trovato l’invasor.“ („Eines Morgens erwachte ich und fand den Eindringling vor.“) Ein Schuft, wer dabei Böses denkt. Das Partisanenlied ist wieder beim Volk angekommen. Alles amtlich. Oder auch nicht…
Post Skriptum
Ich war inzwischen dort. Es dominiert eine Legion fröhlicher junger Leute, deren Unbeschwertheit bezaubernd ist. Da ist kein Platz für Ideologie und Zeitgeschichte. Die sind von anderen Fragen bewegt.
Das ist ein stürmischer bespielter Rahmen für Aufgeregte und es tönt natürlich viel zu laut für mich. Gut so. Wäre es moderater, würden dort vermutlich rudelweise Boomer herumhängen. So bleiben die Youngsters hauptsächlich unter sich.
Ist noch das Thema einer blühenden Unterhaltungsindustrie in meinem Fokus, die alles plündert, was sich irgendwie bewirtschaften läßt. Aber das ist eine andere Geschichte…
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