REGIONALPORTRAIT
Helga Plautz und ihre Welt

- Helga Plautz im Interview
- Foto: (c) Hermine Arnold
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Heute bin ich schon ein bisschen aufgeregt, denn ich darf für das nächste Interview Helga Plautz in Gleisdorf besuchen. Beim Betreten ihres Hauses begrüßt sie mich ganz herzlich, die liebenswerte und lebendige Helga Plautz. Sie deutet coronabedingt eine große Umarmung an und bittet mich auf ihre Terrasse, der ein wunderschöner Weinstock Schatten spendet. Von dort aus eröffnet sich ein Blick in ihren gepflegten Garten, der in unterschiedliche Bereiche untergliedert ist und zum Erkunden einlädt. Das Grundstück wird nach unten durch einen Zaun begrenzt, der aus sorgsam übereinander geschichteten langen Holzscheiten besteht: welch tolle Idee für ein Insektenhotel im Großformat!
Ich nehme mit Blick ins stilvolle Wohnzimmer Platz, in dem sich dezent - aber aussagekräftig - zwei zimmerhohe Bücherregale erheben. Literatur ist Helgas Leben, dachte ich. Während unseres Gespräches wird mir aber klar, dass ich mich geirrt habe. Denn es geht bei Helga Plautz nicht um Literatur, sondern vielmehr um Menschen. Oder vielleicht wäre es treffender zu sagen: Literatur ist für sie die Brücke zum Menschen.
Ein neuer Lebensabschnitt
Was alle Leser gerne von Helga Plautz wissen möchten: Wie geht es ihr im Ruhestand? Wer Helga kennt, weiß dass es im jetzigen Lebensabschnitt keinen Ruhestand gibt, sondern vielmehr einen Perspektivenwechsel. Helga erzählt, dass sie jetzt Zeit hat, sich an der Literatur zu erfreuen, sie ohne Zeitdruck zu genießen. Sie kann sich der Literatur ganz aus der persönlichen, ureigenen Perspektive von Helga Plautz widmen.
Früher folgte sie dem inneren Auftrag, Literatur mit 6 Augen und 3 Herzen zu lesen und zu verstehen. Schließlich musste sie ja ein Gefühl dafür entwickeln, was für den Menschen wichtig sein könnte, der zu ihr kam. In der Zeit der Buchhandlung war es ihre Bestimmung, Menschen in ihrer Vielfalt und mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen wahrzunehmen und dabei zu verstehen, was sie benötigten: ein Buch, einen Text, ein gutes Gespräch oder aber auch ganz etwas anderes. Dafür hat Helga in ihrer jahrzehntelangen Buchhandlungs-Zeit alles gegeben, was sie konnte: ihr Menschsein mit ihrer Empathie, ihrer Wärme, all ihrer Kraft und all ihren Ideen. Von 5 Uhr früh bis oft spät in die Nacht.
Der Blick zurück in ihre Kindheit
Aber woher kam diese nicht versiegende Leidenschaft, Literatur den Menschen näher zu bringen?
Nur der Mensch ist wichtig, das hat sie von ihrem Vater gelernt. Er hatte seit den 20er Jahren eine Buchhandlung in Wiener Neustadt betrieben. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde diese und auch die Wohnung komplett zerstört. Ihre Mutter war mit Helga hochschwanger, als sie sich Ende Juni 1945 mit ihren 4 Kindern zu Fuß Richtung München zu ihrem Mann aufmachte, der in Deutschland im Kriegsdienst war. Auf dem Weg dorthin nahm sie neben den Kindern ihre lebenswichtigen Dinge auf einem Leiterwagerl mit. Helgas Geburt war ein Glücksfall. Sie kam durch die Unterstützung eines amerikanischen Soldaten unterwegs zur Welt, der ihre Mutter vom Straßenrand zu einer Hebamme im nahegelegenen Dorf brachte.
Nachdem sich die Familie in Deutschland wiedergefunden hatte, ging es gleich wieder zurück nach Österreich. Aber wohin sollte es gehen? Nach einer vorübergehenden Station bei der Schwester ihres Vaters - sie lebte mit ihren Kindern selbst in einer kleinen Wohnung - wurde ein bescheidenes Quartier für die Familie gesucht. Nach mühsamen und entbehrungsreichen Wochen hatte ein Bauer in Hofstätten / Raab Mitleid und nahm die mittlerweile 7köpfige Familie bei sich auf. Für die Eltern von Helga war es eine äußerst schwierige Zeit, dennoch zeigten sie sich nie verzagt.
Für Helga war es die schönste Zeit, die sie am Bauernhof und im Dorf verbringen durfte. Sie hat viel Liebe und Zuneigung ihrer Eltern und ihrer älteren Schwestern erfahren und Wärme der Menschen in der dörflichen Umgebung spüren dürfen. Sie durfte in dieser Zeit elementare Lebenserfahrung sammeln, aus der sie für ihr späteres Leben maßloses Vertrauen aufbauen konnte.
Seinen Traum verwirklichen
Wie war es möglich, nach so einem Weg voll Leid und Entbehrungen alle Existenzsorgen zu überwinden und den Weg zu einer Buchhandlung einzuschlagen? „Menschen können sich nur frei orientieren, wenn sie freien Zugang zur Literatur haben“, mit dieser Überzeugung folgte der Vater von Helga Plautz seiner Vision von einer Buchhandlung. Die ersten mühsamen Schritte für eine Buchhandlung wurden auf 20 m2 bei minimalen Umsätzen verwirklicht. Das Vermächtnis vom Vater an seine jüngste Tochter Helga: „Schau nicht in die Kassa, schau in die Augen der Menschen. Dort kannst du spüren was nötig ist zu tun“.
Menschen, Begegnungen mit ihnen und die Beziehungen zu ihnen sind für Helga Plautz das Wichtigste. Egal ob in der Rolle als Kunde, als Mitarbeiter, als Autor, Illustrator, Künstler, Verleger oder als Bibiothekar. In der Fachbranche Buchhandlung lebt man miteinander und voneinander. So haben sich aus Geschäftsbeziehungen Geschäftsfreunde und aus Geschäftsfreunden Freunde fürs Leben entwickelt. Viele wunderbaren Kontakte werden noch immer gepflegt. Helga hat viele Autoren begleiten dürfen, einige davon sind sehr bekannt geworden, wie zum Beispiel Maria Lobe, Christine Nöstlinger, Renate Welsch - oder in der Romanliteratur zum Beispiel Peter Esterhacy, Barbara Frischmuth, Tex Rubinowitz, Bodo Hell und Radek Knapp, um nur einige zu nennen.
Traurig erwähnt Helga Plautz nebenbei, dass leider das Gästebuch verschwunden ist, in dem so viele für Helga bedeutsame Menschen persönliche Widmungen in Text- und Bildform hinterlassen haben. Ihr Herz würde springen, wenn sich dieses Gästebuch wiederfinden lassen könnte!
Helga Plautz hat in ihrer Buchhandlung versucht, die Menschen und das was sie gerade benötigen zu finden: in ihren Augen, in ihren Händen. Manchmal war es besser nichts zu verkaufen, sondern nur zuzuhören und ein gutes Gespräch zu führen. Jede Begegnung hinterlässt Spuren in den Herzen der Menschen. So hat Helga zum Beispiel von einem mittlerweile befreundeten deutschen Künstler erfahren, dass eine Besucherin seiner Ausstellung über Helga Plautz erzählt hat: „Mein Gott dort habe ich ja lesen dürfen. Dort war ich einige Tage zum Lesen. Das war für mich so schön, ich erinnere mich wahnsinnig gerne daran.“ Diese Besucherin war die gebürtige Finnin, Marjaleena Lembcke, eine namhafte Kinder- und Jugendbuchautorin in Deutschland.
Helga hat auch großen Wert auf ein harmonisches Team gelegt und sich dafür eingesetzt, dass sich ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickeln, wachsen und einbringen konnten. Es gab keinen Umsatzzwang, sondern nur die Weitergabe von Begeisterung, das Entfachen des inneren Feuers für die Literatur als Brücke zu den Menschen.
Es gibt viel zu tun
Lange Zeit war sie in der Unternehmerinnenrolle. Nun ist es für sie Zeit, sich zurückzunehmen und ihre unterstützende Seite zu leben. Zwischen Haus- und Gartenarbeit - und dem Geständnis „Kochen mag ich gar nicht“ - möchte Helga besonders auch für ihre Familie da sein. Einmal wöchentlich nimmt sie auch die Rolle einer Vorleserin für eine Freundin ein, die nicht mehr mobil ist. Und Helga ist auch nach wie vor in Kontakt mit sehr vielen Menschen aus ihrer Buchhandlungszeit. Da wird genüsslich gelesen, aber auch korrespondiert, geschrieben, getextet und neues konzipiert.
Helga verfolgt auch aufmerksam Veränderungen und Trends in der gesamten Kunstbranche, die durch die Pandemie in große Mitleidenschaft gezogen worden ist. Viele Künstler, Verlage und Bibliotheken kämpfen ums Überleben. Das bereitet ihr große Sorgen.
Der Wunsch für die Zukunft
Helga Plautz wendet sich mit einem Appell an die Leser der WOCHE: „Bitte überlegen sie sich vor dem Drücken des Bestellknopfes in einem beliebigen Internetshop, ob sie dieses Geld nicht lieber in österreichische Händler und in ein österreichisches Produkt investieren wollen, für das in Österreich Steuern abgeführt werden. Mit diesen Steuergeldern können Auswirkungen der Pandemie bekämpft werden. Wenn so viele Betriebe schließen müssen, wohin schickt man dann junge Menschen zur Ausbildung? Mit diesem Geld können Kindergärten, Schulen, Straßen, Schwimmbäder und vieles mehr finanziert werden. – Undenkbar was alles nicht passiert, wenn keine Steuereinnahmen mehr da sind.“
Zum Schluss deutet Helga Plautz noch ihre Mitwirkung in einem bevorstehenden großen Projekt an. Mehr wird noch nicht verraten, wir dürfen aber schon sehr gespannt darauf sein. Und nächstes Jahr findet bereits zum vierten Mal die Privatveranstaltung „Literatur, was sonst?“ in ihrem Literaturwohnzimmer statt.
Die Leser und ich wünschen Helga Plautz viele Begegnungen, viel Freude und Gesundheit und danken ihr, dass sie uns mit diesem Interview sehr berührende Einblicke in ihr überaus großes Menschenherz gewährt hat.
Hermine Arnold
Freie Redakteurin
NEDI Regionalportrait
www.nedi.at


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