FPÖ-Erfolg? "Weil wir die NS-Zeit nicht aufgearbeitet haben"
SPÖ-Brigittenau-Chef und Querdenker Erich Valentin über die Versäumnisse nach dem Zweiten Weltkrieg und den Aufstieg der FPÖ. Im Bezirk will er neuen Wohnraum schaffen - unter anderem durch Wohnungsbau über Schulen.
Wie läuft der Wahlkampf? Es wirkt, als hätte die SPÖ noch nicht wirklich den Turbo gezündet.
Den Wahlkampf bröstelt's auseinander - auf unterschiedliche Realitätsebenen. Auf der Straße draußen herrscht mit den Menschen ein durchaus freundliches, konstruktives Gesprächklima. Die veröffentlichte Meinung in den Medien ist aber eine ganz andere, die damit nicht unter einen Hut zu bringen ist.
Sie finden, die SPÖ wird medial unter ihrem Wert geschlagen.
Ich glaube zumindest, es wird eher auf andere fokussiert. Am wichtigsten ist mir momentan aber die grundsätzliche Frage, wohin unsere Gesellschaft in diesem Wahlkampf rutscht. Wenn ein rechter Politiker in der jüngsten Gemeinderatssitzung über Menschen, die im Mittelmeer auf der Flucht vor Krieg und Tod ertrunken sind, sagt, das sei Bootstourismus, dann fällt die Gesellschaft in zwei Teile auseinander.
Der Grüne Abgeordnete Martin Margulies wiederum hat gesagt: "Wenn man Gudenus eine Waffe in die Hand drückt und ihn an die Grenze stellt, würde er nicht zögern abzudrücken." Da fällt die Gesellschaft dann auch in zwei Teile auseinander.
Ja, auch. Diese Aussage unterschreibe ich auch nicht. Wobei man schon sagen muss, dass sich ein Politiker mehr gefallen lassen muss als ein "normaler" Bürger. Es muss niemand in die Politik gehen. Aber wenn sich jemand in den Regen stellt, darf er sich nicht wundern, wenn er nass wird.
Inwiefern fällt die Gesellschaft auseinander?
Sie zerfällt in jene, die sich unsere Zivilgesellschaft weicher, mitfühlender, sozial verantwortlicher wünschen. Und in jene, die sagen "wir sind wir" – und der Rest ist uns egal. Die Auseinandersetzung, die sich jetzt mit der FPÖ abspielt, passiert ja nicht nur zwischen den Parteien. Sondern es ist ein Teil der Zivilgesellschaft – von der Caritas über Pfarrgemeinschaftsausschüsse bis hin zu kleinen Bürgerinitiativen -, der sich gegen die Politik der FPÖ wendet. Dass Menschen sagen, das Boot sei voll, ist übrigens nicht nur in Österreich der Fall. Das wirklich Beunruhigende ist, dass der Trend in Österreich wesentlich stärker ist als in anderen Ländern.
Hat man da als Partei noch die Glaubwürdigkeit und die Kraft, gegenzusteuern?
Ich denke, das alles ist die Rechnung dafür, dass wir die Nazi-Zeit zu unvollständig aufgearbeitet haben. Wir haben die damaligen Strukturen zu stark in die heutige Zeit mit herübergezogen und uns nie so klar abgegrenzt wie etwa Deutschland.
Was konkret hätte passieren müssen?
Man hätte nicht erst seit Vranitzky sagen müssen, dass wir Schuld haben – sondern schon viel früher. Dass wir da mit an den Rädern des Krieges und Rassismus gedreht haben. Und dass es uns nicht gelungen ist, große Teile der Gesellschaft dagegen zu immunisieren.
Wie aber kann man den Aufstieg der FPÖ stoppen?
Die Parteien alleine werden das nicht schaffen. Es bedarf eine Allianz der Guten in der Gesellschaft im Widerstand gegen das Schlechte. Das klingt zwar etwas klerikal, aber das stört mich auch nicht.
Geht sich der erste Platz für die SPÖ noch aus?
Ich kann und will mir nichts anderes vorstellen. Wir arbeiten hart daran, auf dem ersten Platz zu bleiben.
Es wirkt, als wäre Michael Häupl im Wahlkampf wenig bei den Menschen draußen.
Das stimmt nicht. Wir haben einen Bürgermeister, der aktiver und innovativer ist denn je. Er stellt sich all den Fragen, die die Stadt und die Menschen bewegen. Die guten Werte, die er als Spitzenkandidat ausgewiesen kriegt, hat er zu Recht. Interessant ist die Diskrepanz zwischen den persönlichen Werten des Bürgermeisters und jenen der Partei.
Ich spitze das zu: Die SPÖ schadet der Beliebtheit der Person Michael Häupl.
Nein. Aber wenn die Medien ständig suggerieren, dass die Parteien das Krebsgeschwür der Gesellschaft sind, dann dürfen sich die Journalisten nicht wundern, wenn die Leute das am Ende des Tages irgendwann glauben. In anderen Ländern funktioniert das anders: In Spanien etwa fungieren Parteien als Vehikel für die Zivilgesellschaft, ihre Interessen durchzubringen. Bei uns entsteht im Gegenteil der Eindruck, die Parteien verhindern alles. Das ist doch ungesund.
Dann kommen wir doch zu einer positiven Darstellung der Parteien: Sie haben 20 Ideen für den 20. Bezirk vorgestellt. Wenn ich sie zwinge, die wichtigsten Ideen auszuwählen - welche wären das?
Sie haben 20 Ideen für den 20. Bezirk vorgestellt. Wenn ich Sie zwinge, die wichtigsten auszuwählen – welche wären das?
Es geht um die Zukunftsängste der Menschen. Wir brauchen mehr Jobs, von denen man leben kann. Es darf nicht sein, dass man drei Jobs haben muss, um davon gerade mal ein Leben führen zu können.
Von wie viel Euro netto kann man leben?
Gut und vernünftig leben kann man als Einzelperson ab einem Monatsnetto von 1.200 Euro. Es geht ja nicht nur darum, dass man sich Brot, Milch und Miete leisten kann. Leben ist doch mehr – mal ins Kino gehen oder mit Freunden in ein Beisl...
Können sich das viele im 20. Bezirk nicht leisten?
Viel zu viele.
Was können Sie da auf Bezirksebene dagegen tun?
Wenig. Aber man kann mithelfen, dass die Chancen auf vernünftige Jobs größer werden. Es war gut, dass sich die Stadt von einer Stadt der rauchenden Schlote in eine der rauchenden Köpfe verwandelt hat. Aber man darf nicht übersehen, dass viele Jobs verlorengegangen sind. Da müssen wir uns etwas überlegen. Ebenso müssen wir uns überlegen, wo wir zu viel Geld ausgeben. Geld, das wir den Menschen über ihren Nettolohn zurückgeben sollten.
Wo kann man denn einsparen?
Das ist eine lange Liste. Schauen wir uns den Gesundheitsbereich an: Kein Mensch kann mir erklären, dass ein Medikament in einem anderen Land um vieles billiger ist, nur weil es dort einen Markt gibt, der den Preis reguliert. Bei uns zahlt es halt die Sozialversicherung – und keiner merkt, dass es in Wahrheit dadurch erst recht wieder der Bürger zahlt.
Das ist aber keine klassisch rote Position.
Sie haben sich doch wohl nicht mit mir getroffen, um klassische Positionen zu hören. Wir müssen ehrlich sein. Und uns trauen, über den Tellerrand zu schauen und uns ein Beispiel an anderen Ländern nehmen. Auch über die Öffnungszeiten von Geschäften müssten wir reden. Ich kenne viele Studierende, die sich gerne ihre Ausbildung finanzieren würden, indem sie am Sonntag in einer Tourismuszone in einem Geschäft stehen. Da wäre Kreativität gefragt.
Im Wahlkampf geht es auch immer um leistbares Wohnen.
Auch da haben wir einen Konflikt zwischen denen, die Wohnraum brauchen und jenen, die alles haben, was sie wollen. Letztere diskutieren dann über Ziesel und blockieren damit dringend nötige Wohnprojekte. Wir haben in Wien nachgewiesenermaßen eine überhöhte Zieselpopulation. 8000 Tiere sind es. Wenn aber jemand 250 Ziesel auf eine andere schöne Wiese zwangsumsiedeln will, weil Familien Wohnungen brauchen, ist das verboten. Da setzen wir die falschen Prioritäten.
Welche Pläne haben Sie in Sachen Wohnbau?
Wir haben durch den sozialen Wohnbau zufriedenstellende Preise in Wien. Jetzt müssen wir den privaten Sektor in den Griff kriegen. Es kann nicht sein, dass man da für 30 Quadratmeter 500 Euro zahlt. Wer mehr leistbare Wohnungen will, muss aber auch kreativ werden. Wer sagt denn, dass nicht etwa über Schulgebäuden Wohnungen gebaut werden können. Wenn diese bewohnt werden, ist die Schule längst aus. Schulen wollen üblicherweise nur ein- bis zweistöckig bauen, da könnte man darüber mit Wohnungen in die Höhe gehen.
Wo wäre das möglich?
Auf dem Areal des künftigen Nordwestbahnhofs etwa will ich dann keine Gebäude, die ab 18 oder 19 Uhr leer und tot sind. Das kann doch niemand wollen, dass in einem urbanen Viertel am frühen Abend einfach alle Lichter gelöscht werden.
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