Premiere Theatergruppe Vorderes Ötztal Gegenwind
„Du tust mir weh“ - Bühnenstück zum Thema Demenz tief unter die Haut gespielt

Margit Partl stellt die demenzkranke Maria dar, die sich im Dialog mit ihren Erinnerungen befindet - diese verkörpert eine Handpuppe, die großartig von Tamara Hechenberger geführt und gespielt wurde. Das Freilichttheater Greit bietet den ZuschauerInnen eine imposante Naturkulisse.
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  • Margit Partl stellt die demenzkranke Maria dar, die sich im Dialog mit ihren Erinnerungen befindet - diese verkörpert eine Handpuppe, die großartig von Tamara Hechenberger geführt und gespielt wurde. Das Freilichttheater Greit bietet den ZuschauerInnen eine imposante Naturkulisse.
  • hochgeladen von Alexandra Rangger

UMHAUSEN(alra). Für den Freilichtsommer 2022 hat sich die ambitionierte Schauspieltruppe unter der Leitung und Regie von Lukas Leiter erneut einem großen Thema mit starker gesellschaftlicher Relevanz zugewandt. Die eindrücklich erzählte Geschichte einer demenzkranken Frau ist eine gelungene Eigenproduktion des Teams. In der Spielstätte Greit in Umhausen erfolgte die Uraufführung – schwerer Stoff mit Bravour gemeistert vor sichtlich ergriffenem Publikum.

Als Autor und Autorin stehen Lukas Leiter und Tamara Hechenberger hinter dem aktuellen Programm. Leiter hegte schon lange den Wunsch, das Thema Demenz auf die Bühne zu bringen und damit für die Krankheit zu sensibilisieren. Mit den ersten inhaltlichen Ansätzen gingen Fragen einher, denen der Regisseur auf den Grund gehen wollte: „Wo sind diese Menschen gedanklich, wenn sie nicht mehr wissen, wo sie sind?“ Für die unmittelbare Recherche besuchte der Theaterprofi das Sozialzentrum Münster – dort erhielt er prägende Eindrücke davon, was Demenz für Betroffene, ihr familiäres Umfeld und das Pflegepersonal bedeutet. Zusammen mit Tamara Hechenberger entstand in Folge ein tiefgründiges, zeitgenössisches Stück in innovativer und klarer Inszenierung. Mit dem Titel „Du tust mir weh“ ordnet Leiter dem Inhalt eine Aussage über, die für den Schmerz von beiden Seiten zutrifft – für diejenigen, die vergessen und all jene, die vergessen werden.

Mitten aus dem Leben

Die Handlung basiert auf der tatsächlichen Lebensgeschichte einer Frau aus Brandenberg. Die pensionierte Lehrerin Maria steht im Mittelpunkt. Margit Partl spielt die zeitlebens bodenständige Frau, die ebendiesen plötzlich unter den Füßen verliert – sie verkörpert authentisch einen Menschen, den jeder kennt – die Nachbarin, die Tante oder die Kollegin, die sich in Alltags-Begegnungen abrufen lässt. Eine Frau, deren Leben sich schleichend auflöst, vom anfänglichen Vergessen kleiner Dinge bis hin zum nicht mehr Erkennen der eigenen Familie. Verdrängung, Verzweiflung, Wut, Trauer – eine schier unendliche Bandbreite von Gefühlen begleitet all das Unerklärliche, dem sie sich stellen muss. Von der letzten Lebensstation im Pflegeheim ausgehend finden Rückblenden statt, die diesen Prozess in den wichtigsten und bewegendsten Stationen darstellen.

Gekonnte Puppenspielkunst

Als eindrückliches Element heben sich die Dialoge hervor, die Margit mit einer Handpuppe führt – die Puppe wird von Tamara Hechenberger geführt, gespielt, verkörpert und großartig mit Leben sowie Charakter erfüllt. Von Lukas Leiter selbst gebaut, besetzt die Puppe in gewisser Weise die Position bzw. den unbekannten Ort, in den die Erinnerungen abwandern – den Speicherplatz, der vordergründig nicht mehr abrufbar ist. Für Maria ist sie wie ein Fremdkörper, der mahnend an ihr Vergessen erinnert und zugleich tröstlich ein inneres, von außen nicht wahrnehmbares Abrufen der verlorenen Gedanken ermöglicht. Mit diesem anspruchsvollen Element hat das AutorInnenduo eine bemerkenswerte und bereichernde Komponente in das Spiel eingebracht und die Kommunikationsebene erweitert. Für die versierte Schauspielerin Tamara Hechenberger ist dies der erste Einsatz im sehr schwierigen und fordernden Spezialbereich des Puppenspiels. Auch dafür bringt sie enormes Talent mit – koordiniert und verknüpft Sprache und Spiel hervorragend.

Positionen und Emotionen

Unterschiedliche Perspektiven im Umgang mit Marias Demenz werfen die Szenen des Familienlebens auf. Ehemann Sepp, den Bernhard Gstrein darstellt, verweigert über lange Zeit die Realität rund um den Zustand seiner Frau und stellt sich schützend und verteidigend vor sie. Gstrein berührt in seiner Darstellung besonders in den nachvollziehbar schmerzlichen Momenten, in denen die Demenz vom Vergessen der Dinge auf das Vergessen von emotionsbehafteten Ereignissen übergreift. Manfred Auderer als Sohn Martin – zwar fokussiert auf das eigene Leben, dennoch in Fürsorge für die Mutter – nimmt die Problematik wesentlich früher wahr und versucht immer wieder die dramatischen Veränderung der Mutter hinzuweisen. Ihm zur Seite steht Freundin Claudia, die von Sabrina Cassar dargestellt wird – authentisch vermitteln beide die schmerzliche Erkenntnis, dass Maria die Zukunft des Paares wohl nicht mehr wahrnehmen kann. Nicht zuletzt bezieht das Stück auch Position für die professionelle Betreuung und Pflege, die Demenzerkrankte benötigen. Statements der MitarbeiterInnen des Sozialzentrums Münster flossen inspirierend in diesen Part ein. Abseits der fachlichen Kompetenzen greift hier auch der große menschliche Beitrag, der von den SpezialistInnen rund um die Uhr zu leisten ist.

Bewegender Inhalt mit großer Wirkung

Lukas Leiter hat das Publikum vor der Aufführung gekonnt in die Materie eingewiesen: „Gute Unterhaltung möchte ich euch heute nicht wünschen – vielmehr, dass ihr euch von der Geschichte, die auch herausfordernd an Schicksale im Umfeld erinnert, mitnehmen lasst!“ Dies ist bei der Premiere eindeutig gelungen. Die Theatergruppe Vorderes Ötztal Gegenwind hat große Emotionen auf die Bühne und in die ZuschauerInnen gebracht und sie so authentisch aufbereitet, dass das echte Leben und der Mensch im berührenden Spiel intensiv reflektierten. Der für Publikum und DarstellerInnen gefühlsgeladene Theaterabend in der Greit ging gegen 22.30 Uhr mit viel Applaus und mit dem Prädikat „Besonders sehenswert“ zu Ende.

Tipp am Rande: Für die gut zwei Stunden im Freilichttheater warm anziehen! (die kundigen BesucherInnen in Steppjacken wissen dies bereits) Die klare Julinacht bei der Premiere verlangte mit knapp 11 Grad und leichtem Wind durchaus mehr als Sommerbekleidung!

Darsteller:
Manfred Auderer, Sohn Martin | Bernhard Gstrein, Ehemann Sepp | Tamara Hechenberger, Handpuppe | Margit Partl, Maria | Sabrina Cassar, Freundin Claudia und ehemalige Schülerin Sophie

Was: „Du tust mir weh“ – Aufführung der Theatergruppe Vorderes Ötztal Gegenwind

Wann:
Premiere 8. Juli 2022, weitere Termine: 16., 17., 22., 23., 24., 29., 30. Juli 2022 jeweils um 20.20Uhr

Wo: Freilicht-Spielstätte Greit – Umhausen

Kontakt: +43 664 327 37 54 u. theatergruppe@gmx.at
www.theatergruppe-vorderesötztal.at

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