Armutsforschung in Tirol
Armut zersetzt die Gesellschaft

Andreas Exenberger ist Armutsforscher an der Uni Innsbruck. Er brachte im Oktober 2022 eine 344-seitige Studie mit dem Titel "Armutsbetroffenheit in der Krise" heraus.
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  • Andreas Exenberger ist Armutsforscher an der Uni Innsbruck. Er brachte im Oktober 2022 eine 344-seitige Studie mit dem Titel "Armutsbetroffenheit in der Krise" heraus.
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Die Caritas verzeichnet 40 Prozent mehr Sozialberatungen in Innsbruck und der Ausblick auf den Dezember, der steigende Betriebskostennachzahlungen und Strompreisakontozahlungen mit sich bringen wird, lässt auf keine gute Entwicklung hoffen. 

INNSBRUCK. Unerwartete Kosten – eine Stromrechnung, eine kaputte Haushaltsmaschine – werden zur existenzbedrohlichen Ausgabe: Immer mehr solche Fälle – vermehrt auch aus dem Mittelstand – landen bei der Beratungsstelle der Caritas. Die Zahlen zeigen, dass es 40 Prozent mehr Beratungen im Jahr 2022 gab als noch im "Vorcoronajahr" 2019.

Caritas Online-Wegweiser

Caritas-Direktorin Elisabeth Rathgeb stellte den neuen Online-Wegweiser vor. Er soll ein zusätzliches niederschwelliges Angebot für jene Menschen sein, die Hilfe brauchen.
  • Caritas-Direktorin Elisabeth Rathgeb stellte den neuen Online-Wegweiser vor. Er soll ein zusätzliches niederschwelliges Angebot für jene Menschen sein, die Hilfe brauchen.
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Caritas-Direktorin Elisabeth Rathgeb will alle, die in Schwierigkeiten geraten sind, ermutigen, sich an die Caritas zu wenden:

"Wir stehen für alle offen."

Die Caritas hilft beim Ausfüllen von Formularen, stellen von Anträgen oder auch mit konkreten finanziellen oder Sachleistungen stehen sie zur Seite. Der neue Online-Wegweiser ist ein zusätzliches Angebot und spricht jene Personen an, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht persönlich die Beratung aufsuchen möchten. Per Mausklick wird man durch verschiedene Fragen an die zuständigen Stellen gelotst, wo man sich u. a. per Mail informieren und Onlinetermine/Gespräche/persönliche Beratungen vereinbaren kann.

"Es braucht einen Kulturwandel"

Andreas Exenberger ist Armutsforscher der Universität Innsbruck und weiß, wie wichtig dieses Angebot ist.

"Armut ist oft mit Scham behaftet, viele würden nicht persönlich zu einer Beratungsstelle gehen." Er stellt aber auch klar: "Es braucht einen Kulturwandel. Wenn ich sie brauche, steht mir Hilfe zu, es ist kein Versagen. Die Angebote müssen einladend sein und die Leute nicht als Bittsteller dastehen." Auch die Gesellschaft nimmt er in die Pflicht: "Strukturell tut die Gesellschaft zu wenig, um Leute nicht abzuhängen."

Je gespalteter die Gesellschaft wird, desto mehr Raum gibt es auch für Gewalt, meint Rathgeb in diesem Zusammenhang und verweist auf Krisenherde wie in Brasilien oder Südafrika.

Armutsstudie Tirol

Exenberger hat im Oktober eine großangelegte Studie herausgegeben, die sich mit dem Zusammenhang von Corona und Armut in Tirol beschäftigt. Klar ist geworden, dass mittlerweile 35 Prozent der Haushalte – statt den bisherigen 25 Prozent – armutsgefährdet sind. Tendenz steigend. Armutsbetroffene seien zwar sehr kreativ, um über die Runden zu kommen, diese Fähigkeit können sie aber im Arbeitsleben nicht aktivieren. Das führt zur Perspektivlosigkeit, das wiederum gefährdet den sozialen Zusammenhalt, auf das jede Gesellschaft aufbaut. Einen Königsweg zur Lösung des Problems gäbe es nicht. Einzelne Ansätze der Tiroler Landesregierung – z. B. die Mindestsicherung – seien schon gute Beispiele, aber es braucht treffsicherere Ansätze. Rathgeb ist auch dieser Meinung: "So etwas wie den Klimabonus begrüßen wir sehr, es braucht aber mehr Treffsicherheit. Große Summen mit dem Gießkannenprinzip auszuschütten hat seinen Preis." Sie ist trotzdem zuversichtlich. Der Aufruf der Caritas, den Klimabonus zu spenden, hat seine Früchte getragen: 68.000 Euro sind dadurch bei der Hilfsorganisation eingelangt.

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