Innsbrucker Fahrradgeschichten
Eine Frau gewinnt das Bergrennen

Mit zwanzig Jahren und dem legendären Rennrad von Francesco Moser. Radhose aus Schafswolle mit Ledereinsatz und ein Helm aus Leder. Auf diesem Foto sieht man auch gut, wie Charlotte Leitgeb die langen Haare hinterherfliegen.  | Foto: privat
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  • Mit zwanzig Jahren und dem legendären Rennrad von Francesco Moser. Radhose aus Schafswolle mit Ledereinsatz und ein Helm aus Leder. Auf diesem Foto sieht man auch gut, wie Charlotte Leitgeb die langen Haare hinterherfliegen.
  • Foto: privat
  • hochgeladen von Agnes Czingulszki (acz)

Charlotte Leitgeb ist keine Angeberin. Was sie macht, macht sie für sich selbst und trotzdem steht sie plötzlich im Rampenlicht. Durch eine Anzeige auf "willhaben" ist man auf sie aufmerksam geworden.

INNSBRUCK. Eigentlich wollte die pensionierte Architektin nur ein Fahrrad verkaufen. Um es den Käufern attraktiver zu machen, schrieb sie die Geschichte des Rades dazu: 1978 gewann sie damit ein Bergrennen auf die Hinterhornalm – als eine der wenigen weiblichen Teilnehmer. Das Rennrad der Marke "Francesco Moser" war zu dieser Zeit der Ferrari unter den Rennrädern. Sogar die Ganghebel wurden ausgefräst, um Gewicht zu sparen. Das Rad wiegt 6 Kilo und ist legendär. Innerhalb von zwei Minuten war das Fahrrad verkauft. 

Alles ausgemistet im Corona-Lockdown

20 Jahre lang stand das Fliegengewicht in ihrem Keller. "Im Corona-Lockdown habe ich alles ausgemistet", erklärt sie, warum gerade jetzt das Fahrrad unter den Hammer kommen musste. 20 Jahre lang ist sie auch nicht mehr mit dem Rad gefahren, denn es war ihr zu gefährlich, die Reifen zu dünn, der Innsbrucker Verkehr zu wild. Davor ist sie als Studentin zwischen Innsbruck und Rinn gependelt – in Rinn lebten ihre Eltern. "Das war meine Trainingsstrecke, aber heute ist es mit dem Verkehr viel gefährlicher als damals."

Radfahren war in den Siebzigern hip

In den Siebzigern gab es in Innsbruck und Umgebung zahlreiche Radrennen. Bei dem Bergrennen 1978 hat die damals 20-Jährige aus Jux mitgemacht. Ihr Bruder – ein Profi-Rennradfahrer – hat sie überredet in der Jugendkategorie zu starten, da damals kein eigener Wettbewerb für Damen stattgefunden hat. Staffelweise wurden die über 100 Rennfahrer gestartet und sie hatte keine Ahnung, ob sie sich vorne oder hinten in diesem Feld befindet. "Ich bin immer für mich selbst gefahren", wie Leitgeb erklärt. Irgendwann war sie dann am Ziel auf der Hinterhornalm und erfuhr, dass sie Erste geworden ist. Eine Feier gab es nicht, auch kein Foto von der Siegerehrung. "Dieses Understatement fand ich damals cool. Man hat mal beiläufig erwähnt, dass man bei dem Bergrennen gewonnen hat", erzählt sie schmunzelnd.

Rad hat acht Monatsgehälter gekostet

Das Fahrrad hat damals 12.000 Schilling gekostet. Ihr Monatslohn, das sie später als angehende Architektin verdient hat, war 1.500 Schilling. "Ich habe viele Ferienjobs gemacht. Von Postaustragen über Zeitungenverkaufen bis hin zur Arbeit in der Eisdiele. Das Fahrrad war so viel Wert, dass ich es nie draußen stehen lassen habe. Zu meiner Studentenzeit stand es neben meinem Bett und als ich an der Uni unterrichtet habe, nahm ich es mit ins Büro." Ende der Siebziger war Radfahren en vogue – jeder, der cool sein wollte, hat in die Pedale getreten. Für Leitgeb war aber eine andere Sache am wichtigsten: Mobil und von einem Auto unabhängig zu sein. Auch heute als Pensionistin ist ihr das immer noch ein Anliegen.

Tennis statt Radfahren

Ihre Leidenschaft für das Radfahren – die irgendwie auch mit ihrem damaligen Freund zusammenhing – wurde vom Tennisspielen abgelöst. Heute ist sie fast jeden Tag auf dem Spielfeld und hat ihre Erfolge als Tiroler Meisterin unter den Senioren. Radfahren ist nur mehr Genuss: Sie fährt mit ihrem Mann und mit ihrem E-Bike gerne in die Berge. Und was nun aus ihrem Francesco Moser wird? Das Rad kommt von Tirol nach Wien. "Ein Student hat das Rad für seine Freundin gekauft. Ich bin froh, dass es wieder genutzt wird." Das war ihr wichtig: Das Rennrad sollte jemand anderem eine Freude bereiten und nicht im Keller verstauben.

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