Frei im Theater: Schnee Weiß
Eine grandiose Jelinek in den Kammerspielen

Dabei sein erklärt und entschuldigt fast alles: Tom Hospes, Florian Granzner und Christina Constanze Polzer in "Schnee Weiss (Die Erfindung der alten Leier)" von Elfriede Jelinek. | Foto: Birgit Gufler
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  • Dabei sein erklärt und entschuldigt fast alles: Tom Hospes, Florian Granzner und Christina Constanze Polzer in "Schnee Weiss (Die Erfindung der alten Leier)" von Elfriede Jelinek.
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Gemma Jelinek schauen. Man kann sich angesichts der restlos ausverkauften Vorstellung des Eindrucks nicht so ganz erwehren, dass das schon irgendwie mitspielen muss. Und wie zur Bestätigung, aber vermutlich saß ich einfach nur falsch, hör ich die eine Dame hinter mir zur nächsten etwas von Nestbeschmutzerin sagen. Der zugehörige, später erscheinende Mann ätzt über auffallend viel alternatives Publikum, was ja geradezu ideal für das Anbringen des einen oder anderen frauenfeindlichen Witzes sei. Was für ein Epilog! Doch in den nun folgenden 100 Minuten halten sie dann glücklicherweise allesamt den Mund und die Luft an.

Treffsicher bebilderte Inszenierung
Denn genau das macht Jelineks post-investigative, virtuos verknüpfte Reflexionen aus, mit denen sie sich und damit uns Spuren legt mitten hinein in die unheiligen Minenfelder der jüngeren und älteren Vergangenheit unseres Landes: Dass man sich der Wucht und Treffsicherheit ihrer brillanten, zwischen knallharter Analyse und schillernder Selbstironie changierenden Ausführungen nur noch staunend hinzugeben vermag. Wie aktuell in „Schnee Weiß (Die Erfindung der alten Leier)“, das in der nicht minder treffsicher bebilderten Inszenierung von Joachim Gottfried Goller derzeit in den Kammerspielen zu sehen ist - sogar als österreichische Erstaufführung.

Werdeniggs #MeToo-Interview
Ausgangspunkt des Stücks ist bekanntlich Nicola Werdeniggs berühmt gewordenes #MeToo-Interview, mit dem sie eine überfällige Debatte über sexuellen Missbrauch im österreichischen Skisport auslöste. Die überdimensionale nackte weibliche Brust , vor der Gottvater ebenso wie die heilige Jungfrau, ein darüber schaukelnder Engel und sein gekreuzigter Sohn sprichwörtlich die Augen verschließen (Ausstattung: Julia Neuhold), erinnert einen natürlich unweigerlich an zahllose unsägliche Werbeplakate, deren Urheber sich vermutlich nach wie vor für besonders werbe-potent halten.

Die ewig alte Leier
Vom sakrosankten Skisport ist es nicht mal eine Skilänge hin zu den gleichfalls männlichen Machtstrukturen der katholischen Kirche und zu jenem gesellschaftspolitischen Konservatismus, zu dem sich so herrlich unbedarft im Dirndl schunkeln lässt. Wissen wir. Aber das macht es nicht weniger zermürbend. Was bleibt ihr also anderes übrig, unserer nobelpreis-gewürdigten, hellsichtigen Sprach-Göttin, die sich glücklicherweise trotz all der zermürbenden Befunde Humor und Selbstironie erhalten hat, als die ewig alte Leier immer wieder anzustimmen. Ulrike Lasta, Sara Nunius, Christina Constanze Polzer, Janine Wegener, Florian Granzner, Tom Hospes und Stefan Riedl bringen sie jedenfalls begleitet und untermalt von Imre Lichtenberger Bozokis atmosphärischer Musik - mit ernster Leichtigkeit auf grandiose Weise zum Klingen. Und das ist faszinierend, inspirierend: erste Liga!

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