Frei im Theater 47

Eingeholt vom Wahnwitz

Die Vorzeichen des Lockdowns, der die Kultur grad wieder brutal niederfährt, zeigten sich dort zuletzt immer augenfälliger. Etwa daran, dass sich von Woche zu Woche mehr Menschen mit Maske ins Theater setzten. Oder daran, dass Vorstellungen gar nicht mehr stattfinden konnten, wie etwa die von Paolo Baccarani künstlerisch angeleitete kollektive Kreation „Wahnwizzi“.

„Unsere kleine Katastrophe“, schrieb Baccarani dieses Wochenende auf FB. Drei von fünf Aufführungen sind OFFTANZ Tirol ausgefallen. Dabei führt(e) einem gerade dieses tänzerische Vor- und Ausführen von persönlichen Grenzerfahrungen nicht nur die eigene Fragilität, sondern auch den gerade erlebten kollektiven Wahnwitz ungemein plastisch vor Augen. Mit Baccarani und Christine Riegler als Dance Ability Trainerin und Rollstuhlfahrerin haben sich sieben weitere faszinierende Tanzpersönlichkeiten dieser sprichwörtlichen Wahnsinnsaufgabe gestellt, eine körperlich-tänzerische Ausdrucksform für bereits leibhaftig erfahrenen Kontrollverlust zu entwickeln.

Da ist vieles erkennbar, das einen gerade auch jetzt ungemein einfährt, wie etwa das verzweifelte Japsen nach Luft. Sehr berührend auch jene Sequenzen, in denen die Tänzer:innen in die Bewegungsmuster der anderen ‚einsteigen‘. Was einen unwillkürlich an jenen weisen Spruch erinnert: „Gehe hundert Schritte in den Schuhen eines anderen, wenn du ihn wirklich verstehen willst.“

Was OFFTANZ Tirol noch auszeichnet, sind zweifelsohne die Publikumsgespräche im Anschluss an ihre Aufführungen. Paolo Baccarani ließ da etwa mit der Aussage aufhorchen, dass er für diese Produktion nur Tänzer:innen über 30 eingeladen habe, weil sich in deren Körper schon bestimmte leidvolle Erfahrungen eingeschrieben hätten.

Und tatsächlich habe ich trotz aller Chiffrenhaftigkeit, die modernen Tanzproduktionen immer eigen ist, selten ein wahrhaftigeres Stück gesehen.