Stolpersteine
Runder Tisch gefordert

Gunter Demnig (li.) beim Stolperstein Projekt in Neunkirchen im Jahr 2014. | Foto: meinbezirk.at/Fasan
  • Gunter Demnig (li.) beim Stolperstein Projekt in Neunkirchen im Jahr 2014.
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INNSBRUCK. "Wir sind fest davon überzeugt, dass ihnen als Bürgermeister einer modernen, offenen undverantwortungsbewussten Stadt, wie es Innsbruck ist, dieses Thema genauso am Herzen liegt, wie
uns. Aus diesem Grund fordern wir Sie dazu auf, als Bürgermeister zu einem Runden Tisch mit allen
Opferschutzorganisationen, der Israelitischen Kultusgemeinde und den betreffenden Vereinen
einzuladen, um dem Auftrag einer lebendigen und vielfältigen Gedächtniskultur in Tirol und Innsbruck
nachzukommen und gemeinsam Lösungen zu finden, auch in der Landeshauptstadt mit
Stolpersteinen an die Geschichte und die Opfer des Nationalsozialismus gedenken zu können."

Aufforderung

Mit einem offenen Brief an Bürgermeister Georg Willi meldet sich Elisabeth Fleischanderl, Vorsitzende der Sozialdemokratische FreiheitskämpferInnen Tirol, zu Wort und meint weiter: "In Innsbruck lassen derartige Beiträge zur Erinnerungskultur leider bislang auf sich warten - und das,obwohl es in der Vergangenheit bereits mehrmals auch in Innsbruck entsprechende Vorstöße im
Gemeinderat gab. Mittlerweile drängen auch private Initiativen dazu, über diesen Weg in der
Landeshauptstadt auf die Gräueltaten des Faschismus aufmerksam zu machen. Wir als
Sozialdemokratische FreiheitskämpferInnen unterstützen alle Maßnahmen, die zur Aufklärungs- und
Gedenkkultur im öffentlichen Raum beitragen. In diesem Sinne unterstützen wir natürlich auch diese Initiativen."

Diskussion

Im Herbst wird sich der Kulturausschuss der Stadt Innsbruck mit Thema Stolpersteine beschäftigen. Ein durchaus vielseitiges Thema. Derzeit gibt es in Tirol in Zell am Ziller (seit 20.9.2019) sowie in Wattens (15. Juli 2020) derartige Mahnmale. Gemeinderätin Irene Heizs, Vorsitzende des Kulturausschusses, hat sich ausführlich mit Thema und seinen Facetten beschäftigt. "Der Kulturausschuss des Gemeinderats hat den Antrag, in Innsbruck „Stolpersteine“ verlegen zu lassen, intensiv und unter Einbeziehung von Fachleuten sowie einem Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde diskutiert und dann entschieden, dem Gemeinderat ein alternatives Gedenkprojekt vorzuschlagen. Letzteres wurde einstimmig angenommen. Mit dem Projekt gedenk_potenziale schreibt die Stadt jährlich einen Wettbewerb aus, der ein Kunstprojekt zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus mit 20.000 Euro fördert. Die gedenk_potenziale finden jährlich am 5. Mai, dem Gedenktag der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen, statt. Die Ausschreibung erfolgt über das Portal Kunst- und Kulturwettbewerbe. Das Stadtarchiv/Stadtmuseum wird mit der Abwicklung beauftragt."

Stolpersteine

"Die „Stolpersteine“ waren eine private Initiative von Herrn Demnig, die er in den vergangenen fast 30 Jahren zu einem europaweit exklusiven Geschäftsmodell entwickelte (bzw. zu monopolisieren versucht hat). Irene Heisz: "Dass sich Herrn Demnigs Projekt derart weit verbreitet hat, ist meines Erachtens gleichermaßen ein Argument für wie gegen „Stolpersteine“ auch in Innsbruck. Dafür spricht der Aspekt eines länderübergreifenden und -vereinenden Zeichens des Gedenkens an Europas dunkelste Stunde. Dagegen spricht, dass es zwar wohlfeil ist, aber wenig Sinn hat, zu tun, was eh schon viele andere getan haben. Anders gesagt: Ich fürchte mich keineswegs vor Diskussion und Irritation, das wäre ja zumindest auch der Sinn jeden Gedenkens. Aber ich fürchte mich vor einem gleichgültigen Schulterzucken."

Umstritten

Irene Heisz weiter: "Die Gründe für unsere Ablehnung von „Stolpersteinen“ sind mannigfaltig: Das Projekt ist bekanntlich europaweit politisch und speziell auch unter Vertreterinnen und Vertretern jüdischer Gemeinden hoch umstritten. Es gibt prominente Gegner und auch Befürworter, beides auch innerhalb der IKG für Tirol und Vorarlberg. Das vielleicht wichtigste Gegenargument: In den Straßenboden eingelassen, werden die Namen der Opfer buchstäblich mit Füßen getreten — im besten Fall nur arg- und achtlos, im schlimmsten Fall verächtlich und böswillig. Diese Symbolik halten wir für höchst fragwürdig, auch wenn stimmt, wie auch IKG-Präsident Günther Lieder argumentiert, dass durch die jeweils von Paten übernommene Pflege der Steine die Assoziation mit dem grauenhafte Bild, dass Juden in Wien mit Zahnbürsten die Straßen putzen mussten, quasi ins Positive verkehrt wird. "Wie vielen Menschen dieser gedachte Zusammenhang tatsächlich ad hoc bewusst ist, weiß ich allerdings nicht. Ich befürchte: nicht (mehr) gar vielen." Dazu kommt, dass mit der Verlegung eines Steins oder von ein paar wenigen Steinen nichts getan wäre. Wenn man das ernsthaft anginge, müssten in Innsbruck jedenfalls Dutzende, eher hunderte Steine für öffentlich bisher namenlose Opfer verlegt werden. Der Akt der Verlegung der „Stolpersteine“ wäre zweifellos dazu angetan, einmalig (regional medienöffentliche) Aufmerksamkeit zu erregen — damit hätte es sich aber dann. Sobald die eigentliche Verlegung abgeschlossen ist, muss sich niemand mehr dazu angehalten fühlen, über die kleinen Bodenplatten zu „stolpern“, sprich: sie überhaupt wahrzunehmen, darüber nachzudenken, sich davon irritiert zu fühlen. Im Gegenteil: Man geht gleich achtlos darüber hinweg wie über einen Kanaldeckel. Hier kommt auch wieder die mangelnde Kontextualisierung von „Stolpersteinen“ und die damit einhergehende Unmöglichkeit für Passantinnen und Passanten, sich ernsthaft mit der Geschichte der genannten Personen zu beschäftigen, ins Spiel. Diese faktische Flüchtigkeit von „Stolpersteinen“ widerspricht laut und deutlich unserem Anspruch eines permanenten, lebendigen Gedenkens an die Gräuel der Nazizeit. Dazu kommt außerdem, dass wir in Innsbruck logischerweise bereits eine ganze Reihe anderer statischer Gedenkzeichen haben — allen voran die Menora explizit in Erinnerung an die vier Toten der Pogromnacht am Landhausplatz — und überzeugt davon sind, dass ein weiteres statisches Symbol nichts Wesentliches dazu beitragen würde, die Erinnerung lebendig und vor allem das Bewusstsein wach zu halten. Fakt ist nämlich, dass mit zunehmender zeitlicher Distanz zu den Ereignissen zwar einerseits die Scheu geschwunden ist, im Schulunterricht, in TV- und Radiodokumentationen etc. etc. über das Grauen zu reden. Andererseits erreicht „politische Bildung“ nur einen verhältnismäßig kleinen Teil unserer jungen Leute, und konventionelle Medien wie eben Fernsehen, Radio und Zeitungen spielen in der Medienwelt heutiger junger Menschen praktisch keine Rolle mehr. Außerdem sterben nach und nach die letzten Zeitzeugen, die authentisch, also entsprechend eindrucksvoll von ihren Erlebnissen erzählen können. Und schließlich leben wir in einer multikulturellen Realität, in der die Shoa für Menschen mit anderen kulturhistorischen Hintergründen nicht nur nicht dieselbe alles überschattende Zäsur darstellt wie für Europäerinnen und Europäer, sondern in der wir auch mit einer (aus europäischer Sicht) neuen Form des muslimisch geprägten Antisemitismus konfrontiert sind. Eine neue Herausforderung, auf die wir wohl auch neue Antworten finden müssen."

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