Sinnlose Schnellschüsse
Datenlage glasklar: Griff zur Waffe verschärft Probleme

Die Wissenschaft weiß: Umfassender Herdenschutz ist und bleibt die beste Maßnahme im Umgang mit Beutegreifern. | Foto: Pixabay CC0 via pexels.com
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Wolf tot, Happy End? Von wegen. Allen Jubelrufen aus Kärnten zum Trotz ist mit der wahllosen Tötung einer Wölfin das Problem ganz und gar nicht gelöst. Im Gegenteil: Wie eine US-Studie mit Daten aus 25 Jahren zeigt, sind Abschüsse sogar kontraproduktiv. Wölfe abzuschießen führt nämlich zu einer Verschärfung der Probleme: Mit jedem getöteten Wolf werden im Folgejahr deutlich mehr "Nutz"tiere Opfer von Wolfsrissen, berichten die Forschenden. Bereits ein einziger Abschuss hat zur Folge, dass im darauffolgenden Jahr vier Prozent mehr Schafe und fünf bis sechs Prozent mehr Rinder gerissen werden. Wenn zwanzig Wölfe getötet werden, verdoppelt sich die Verlustrate unter den Weidetieren sogar.

Abschuss führt zu Chaos. Der Grund für den Anstieg der Risszahlen nach Wolfsabschüssen, so die Vermutung der Forschenden, liegt in der Zerstörung eingespielter Sozialstrukturen im Wolfsrudel, wenn plötzlich ein Individuum fehlt. Ganz besonders, wenn ein erfahrenes Leittier abgeschossen wird. In der Folge kann es passieren, dass sich das Rudel unkontrolliert vergrößert, aber auch, dass es sich zerstreut. Für die Tierhalter:innen bedeutet das noch größere Unsicherheit.

Nüchterner Blick auf die Zahlen. Grundsätzlich sind Beutegreifer in Österreich nur für einen Bruchteil der Todesfälle unter den Almtieren verantwortlich. Ein Beispiel: Im Jahr 2019 sind in auf Österreichs Almen laut offiziellen Angaben insgesamt 5.751 Schafe durch Unwetter, Steinschlag und Krankheiten zu Tode gekommen. Das entspricht etwa 5 Prozent der damals gehaltenen Schafe. Solche Zahlen sind keine Ausnahme. Schätzungen zufolge ist Jahr für Jahr mit einer Mortalität in ähnlicher Höhe zu rechnen. Diese Ausfälle sind jedoch offensichtlich keinen reißerischen Artikel in irgendeiner Tageszeitung wert.

Gesamtlösung ist möglich. Im Vergleich dazu ist die Anzahl der Wolfsrisse in Österreich immer noch relativ gering, auch wenn sie am Steigen ist. 490 Schafe wurden im Jahr 2021 in ganz Österreich von Wölfen getötet, 2022 waren es etwas über 700. Warum? Weil der Herdenschutz in Österreich - gelinde gesagt - noch in den Kinderschuhen steckt. Die gute Nachricht ist, dass sowohl Wolfsrisse als auch "natürliche" Todesfälle durch umfassende Herdenschutzmaßnahmen wie Behirtung stark reduziert bzw. weitgehend vermieden werden können. Gerade in diesem Zusammenhang zeigt ein Tiroler Herdenschutz-Pilotprojekt vielversprechende Erfolge: Kein einziger Riss im Almsommer 2022!

Bauchgefühl statt Wissenschaft? Politische Entscheidungsfindung sollte sich an der Evidenz orientieren und nicht an Schießwut und falschen Versprechungen. Österreich braucht in Sachen Herdenschutz das Rad nicht neu zu erfinden, sondern kann sich an Best-Practice-Beispielen aus den alpinen Nachbarländern und anderen vergleichbaren Regionen orientieren.

Populistische Augenauswischerei. Dass die Politik den Landwirt:innen und der Bevölkerung suggeriert, mit Wolfs-Abschüssen sei das Problem gelöst, ist angesichts der Datenlage - und auch angesichts der belegbaren Erfolge im Herdenschutz - skandalös. Deshalb müssen die Entscheidungsträger:innen und die landwirtschaftlichen Interessensvertretungen endlich echte Verantwortung übernehmen und die Tierhalter:innen schnellstmöglich sowohl finanziell als auch organisatorisch beim Aufbau von Herdenschutzmaßnahmen unterstützen. Alles andere ist faktenfremder Populismus.

Quellen:
> Robert B. Wielgus et al. (2014): „Effects of wolf mortality on livestock depredations.” In: PLoS ONE 9(12)
> Wissenschaft aktuell: "Wölfe töten rächt sich"
> Österreichzentrum Bär Wolf Luchs
> "Herdenschutzprojekte im Bezirk Landeck: Oberländer Bodyguards gegen Wolf und Bär". Tiroler Tageszeitung, 11.10.2022
> Statistik Austria, BMLRT

Informationen zum Thema Herdenschutz:
> Herdenschutz-Pilotprojekt Tirol
> LIFEstockProtect: Herdenschutz Österreich, Bayern und Südtirol

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