Frei im Theater: Café Schindler
Ein schillerndes Mahnmal

Eine andere Art der Familienaufstellung:  das grandiose Ensemble der Uraufführung von Meriel Schindlers biografischer Erzählung "Café Schindler" im Großen Haus des TLT. V. li. n. re: Marion Reiser, Philipp Rudig, Cansu Şîya Yıldız, Julia Posch, Sara Nunius, Christoph Kail, Tommy Fischnaller-Wachtler. | Foto: Birgit Gufler
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  • Eine andere Art der Familienaufstellung: das grandiose Ensemble der Uraufführung von Meriel Schindlers biografischer Erzählung "Café Schindler" im Großen Haus des TLT. V. li. n. re: Marion Reiser, Philipp Rudig, Cansu Şîya Yıldız, Julia Posch, Sara Nunius, Christoph Kail, Tommy Fischnaller-Wachtler.
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Was für eine Geschichte. Es zieht einen regelrecht hinein in Meriel Schindlers Buch „Café Schindler“, wie sie akribisch und empathisch, glasklar und unmissverständlich in der Benennung dessen, was war, über die Jahrzehnte hinweg die Wahrheit zu ergründen sucht. Über die Menschen auf den Bildern in den dreizehn Familienalben, die ihr neben den zahllosen Erinnerungen an eine unruhige Kindheit und Jugend mit ihrem so exzentrischen und vollkommen aus dem Tritt geratenen Vater Kurt geblieben waren. Womit sie nicht nur die Geschichte ihrer jüdischen Familie nach- und aufpürt, sondern auch jene dieser Stadt und des Holocaust in Tirol. Und diese Geschichte ist eine phasenweise ungemein schillernde und gleichzeitig natürlich zutiefst erschütternde und bedrückende.

Eine schillernde Unternehmerfamilie
Meriel Schindlers Urgroßvater Samuel Schindler hatte eine erfolgreiche Likörfabrik, Brennerei und Fruchtsaftpresserei sowie einen Import von exzellenten Spirituosen und Champagner aufgebaut, ihr Großvater Hugo in den Zwanzigern das legendäre Tanzcafé Schindler in der Maria-Theresien-Straße begründet und damit mondänes Flair in die Stadt gebracht. Der Antisemitismus ist seit der Ankunft ihrer Familie Ende des 19. Jahrhunderts in Innsbruck ständiger Begleiter und wird mit dem Aufstieg der NSDAP – 1933 ist sie bereits stärkste Partei in Innsbruck – zunehmend manifester.

Das dunkle Kapitel des Holocaust
Mit dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich wird Schindlers Familie im Jahr 1938 innerhalb von acht Monaten um die gesamte Existenz gebracht, und Gauleiter Franz Hofer zieht in die Villa ihres Großvaters Hugo am Rennweg ein. Von all dem erzählt Schindler, die in ihrem Hauptberuf Anwältin ist, sachlich und mitfühlend zugleich. Sie berichtet von der Reichspogromnacht, in der ihr Großvater schwerst misshandelt wurde, von der Deportation und dem Tod bzw. der Ermordung ihrer Urgroßmutter, ihrer Großtante und ihres Großonkels. Aber wir erfahren auch von der gelungenen Ausreise ihres Großvaters sowie über jene des Linzer Arztes Eduard Bloch, der Hitlers krebskranke Mutter ebenso wie ihn selbst behandelt hatte, dafür eine Art Sonderstatus genoss, aber trotzdem nicht mehr regulär arbeiten konnte und der über seine Frau Lilli ebenfalls der Familie angehörte.

Der Vater und  der Gauleiter
Und da ist natürlich die wahnwitzige Geschichte ihres Vaters Kurt, der sich seine Restitutionszahlungen direkt bei Franz Hofer in Mühlheim an der Ruhr abholte, wo der ehemalige Gauleiter zunächst versteckt und schließlich sogar unter seinem früheren Namen unbehelligt über Jahrzehnte leben konnte. Über die Aufarbeitung ihrer Familiengeschichte gelingt es Schindler zudem, das Fehlverhalten des eigenen Vaters, der seine (Zahlungs-)Verpflichtungen nie zu erfüllen vermochte und sich gleichzeitig mit allen juridisch anlegte, worunter sie ein Leben lang gelitten hatte, auch als Folge seiner Traumatisierung zu verstehen.

Klug verdichtete Erzählperformance
Mit großer Behutsamkeit haben Regisseurin Jessica Glause, die für ihre recherchebasierten Stückentwicklungen vielfach ausgezeichnet wurde, und Dramaturgin Veronika Maurer diesen faktenreichen und gleichzeitig in einem sehr poetischen Ton gehaltenen biografischen Text ungemein klug gekürzt und gleichzeitig dramaturgisch verdichtet. Vergangenen Samstag erlebte die etwa hundertminütige Bühnenfassung ihre Uraufführung im Großen Haus des Tiroler Landestheaters. Glause legt ihre Inszenierung als Erzählperformance an, in der die sieben Ensemblemitglieder zwar im Laufe des Abends unterschiedliche Figuren darstellen, wofür sie sich übergroße Lätzchen vor die Brust spannen, welche die Kleidung andeuten, die sie auf den vorgefundenen Fotografien getragen haben, aber letztlich immer in Meriels Erzählstimme sprechen.

Schillernde Kostüme, reduziertes Bühnenbild
Mai Gogishvili, die sowohl für das grandios reduzierte Bühnenbild wie für die Kostüme verantwortlich zeichnet, hat für die sieben Darsteller:innen elegant-glänzende, betont weite Anzug-Ensembles in Rot, Magenta und Violett entworfen, wohl auch um das bunt Schillernde dieser Figuren zu unterstreichen, was den einheitsbraunen Nazis natürlich ebenfalls gründlichst missfiel. Über Laubsauger, die plötzlich wie Kanonen auf der Bühne stehen, ebenso wie über eine Putzmaschine und ein riesiges schwarzes Tuch, das alles umwickelt und auslöscht, was nicht ins Gefüge passt, machen Glause und Gogishvili diese Schreckenszeit visuell und emotional erfahrbar.

Grandiose hochkonzentrierte Ensembleleistung
Großartig auch die bewusst lang gesetzten Pausen, etwa nach der Erzählsequenz über die Reichspogromnacht und insbesondere nach den erschütternd verharmlosenden Gerichtsaussagen der Täter, wodurch die Monstrosität des Dargelegten auch entsprechend nachwirken kann. Tommy Fischnaller-Wachtler, Christoph Kail, Sara Nunius, Julia Posch, Marion Reiser, Philipp Rudig, Cansu Şîya Yıldı, die den Text ebenso wie die erzählten Figuren mit spürbarer Ernsthaftigkeit verinnerlicht haben, begeistern allesamt durch ihre respektvolle und bedachte Performance, welche einen von der ersten Sekunde an in den Bann zieht, Sara Nunius übernimmt dabei den ungemein berührenden Erzählpart der Autorin.

Jantschitschs Songs als weiteres Glanzlicht
Ein wahres Glanzlicht dieser Inszenierung sind die eigens für diesen Abend komponierten Lieder von Eva Jantschitsch, der ja schon mit „Rettet die Wale“ eine generationenüberspannende Hymne gelungen ist und mit „Tag Null“, „Innsbruck, immerhin“ „Die Symmetrie des Faschismus“ „von der ziffer zur zahl zur nummer zur 0“ wie selbstverständlich in die Fußstapfen von Brecht, Weill und Co tritt. Jeder Song ist ein poetisch pointiertes Meisterwerk und „Innsbruck, immerhin“  zweifelsohne das coolste und selbstironischste Innsbruck-Lied, das jemals komponiert wurde. Auch bei der Interpretation dieser rhythmisch durchwegs anspruchsvollen Songs beweist das Ensemble große Musikalität.

Ein Stück, das man gesehen muss
Mit einem Wort: ein Stück, das man gesehen haben muss, weil es uns alle angeht. Und eine Produktion, welche garantiert dereinst als Höhepunkt der Intendanz Girkinger bezeichnet werden wird. Sofern wir alle auf der Hut sind und wach genug bleiben.

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