Weltbeschreibung von Leonhard Millinger
Die Welt, wie sie ein Bauer vor 200 Jahren sah...

Noch heute besteht der Pommerhof in Waidring. Hier verfasste Leonhard Millinger seine Weltbeschreibung. | Foto: Kogler
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  • Noch heute besteht der Pommerhof in Waidring. Hier verfasste Leonhard Millinger seine Weltbeschreibung.
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Die Betrachtung der Welt des „Pomerbauern zu Waidring“, Leonhard Millinger, vor über 200 Jahren.
WAIDRING. Am 3. April 1753, vor 268 Jahren, wurde am „Pommerhof“, Gemeinde Waidring, Viertel Kirchdorf, Leonhard Millinger als ältester Sohn von Stephan Millinger und Catharina Piechl geboren. Nach ihm kamen weitere elf Geschwister zur Welt. 1784 übernahm Leonhard den Hof; er heiratete 1785 und hatte zwölf Kinder. 1809 übergab er wiederum den Pommerhof an seinen Sohn. Am 20. Septermber 1834 verstarb der Altbauer an der Ruhr.
Millingers „Weltbeschreibung“, entstanden vor über 200 Jahren, sollte einige Bekanntheit erlangen. Das Werk findet sich heute im Metzgerhaus in Kirchdorf.
Zuletzt wurde Millingers Werk in der Disseration von Peter Andorfer (Uni Innsbruck) mit dem Titel „Die Weltbeschreibung des Leonhard Millinger. Ein Schlüssel zum Weltbild eines Bauern um 1800“ untersucht und gewürdigt.

Bildungsvorsprung

Millinger beschreibt in dem 1.000-seitigen Konvolut alle Kontinente, ohne jemals dort gewesen zu sein. Das während der Tiroler Freiheitskämpfe verfasste Buch gilt als bedeutender historischer Fund. Es lässt auch Rückschlüsse auf das Weltbild all jener Bauern zu, deren wirtschaftliches und kulturelles Umfeld jenem von Millinger ähnelt.
Millinger war Waidringer Viertel- und Kompanieschreiber. Er repräsentierte gutes sozioökonomisches Mittelmaß, verfügte aber über einen Bildungsvorsprung. Er wurde wie folgt beschrieben: „Leonhard Millinger, Pomer Sohn Von Waidring, des Alter in den 21. Jahr, bei den Hofmark Schreiber, Mesner, und Schuelmaister in Dienste, um obige Zeit 1773“ (orig. zit).

Sein Werk, das „Weltbild“, ist außergewöhnlich in Umfang, Inhalt und Aufbau, seine Interessen waren ebenso außergewöhnlich, sein Leben und Umfeld entsprach hingegen der Norm. Er arbeitete mit damals allgemein zugänglichen Informationen. Er verfasste mindestens drei Konvolute Predigtmitschriften (180 Seiten), die Weltbeschreibung 1790er-Fassung (ca. 700 Seiten), die Weltbeschreibung 1815er-Fassung (1.014 Seiten) und einen Briefwechsel mit seiner Frau (1797).
Die Originalfassung (1790) gilt als verschollen. Das Werk aus 1815 ist in Kirchdorf ausgestellt.

Großes Wissen

Wie konnte Millinger all die Dinge wissen? „(..) Verfasser dies hat es nicht selber erdacht: oder erdicht, sonder er hat es genommen auß unterschiedlichen Büchern (...)" (orig. zit.) – entnommen  etwa aus katholischer Erbauungsliteratur, Volksaufklärungswerken sowie Georgrafika und Historien.
Über seine Motivation schreibt Millinger: „Und habe ich (...) in Jahre ao: 1790 miesam mit meinem Flaiß zusamen geschrieben: und kurz verfast, (... In Hofnung, ein: und mehr Puncten und Sachen, über kurz: oder lang, nutzlich zu sehen, zu lesen, und etwaß daraus zu nemmen. Auch hoffe ich dieses Buch würd mir niemand für ibel aufnehmen. (...). Es ist zum Nutzen deß Leser (...) auch zu Nutzbarkeit der Seele (...) ist dieses Buch verfasst worden“.

Das gesamte Buch ist in rund 1.800 „Artikel“ gegliedert, optisch markiert samt Seitenglossen. Ein Großteil der Texte sind Auflistungen, teilweise über mehrere hierarchische Ebenen. Millinger zitiert dabei vielfach explizit, z. B.: „Auß der Heiligen Schrift, in den ersten Buch Geniß ist zu lesen (...).“
Er unterteilt in Kapitel: „Gott hat alles erschaffen“, „Hölle“, „Sternzeichen“ etc., Länder und Orte, wie z. B.: „Norwegen – wird in 6 Profinzen eingeteilt und über diese noch 6 Innsuln; die Stavanger Profinz“ etc.
Neben seinen eigenen Erfahrungen zog er 19 Bücher als Quellen heran. Bemerkenswert für die damalige Zeit. Er trug alles ihm verfügbare Wissen über die Welt in enorm zeitaufwändiger Lese- und Schreibarbeit zusammen, ordnete und strukturierte es. Er schrieb sozusagen über „Gott und die Welt“, wie er sie kannte. Er schrieb über Religion, Geschichte und Geografie (rd. 5.000 Orte auf der ganzen Welt kommen vor!), über Astronomie, den Buchdruck, Physikalisches und Chemisches und Kurioses zwischen Himmel und Hölle: „Von Erdboden biß Mitten der Höll“ (sind es) „900 deutsche Meilen.“
Millingers Werk gilt heute auch als wichtige Primärquelle zu den Geschehnissen im Tiroler Unterland während der Koalitionskriege und der Kämpfe 1809. Er war selbst an Kriegshandlungen beteiligt.

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