"Jetzt operiere ich nur mehr in der Nacht"

Mittelalterliche Zustände hat Hugo Sauer bei der ersten Besichtigung der damaligen Kinderklinik vorgefunden. Im Gespräch mit der WOCHE zeigt er Bilder von diesem prägenden ersten Besuch. | Foto: Prontolux
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  • Mittelalterliche Zustände hat Hugo Sauer bei der ersten Besichtigung der damaligen Kinderklinik vorgefunden. Im Gespräch mit der WOCHE zeigt er Bilder von diesem prägenden ersten Besuch.
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Nur wenige Grazer Eltern werden den Weg in die Kinderchirurgie am Gelände des Universitätsklinikums Graz nicht kennen. Im besten Fall sind es leere Kilometer, die mit den Worten enden "Alles noch einmal gut gegangen, nichts passiert." In schlimmeren Fällen ist der Weg der Beginn von vielen bangen Minuten, Tagen oder gar Wochen. Doch egal, wie schwer das Kind verletzt sein mag, das die Kinderchirurgie erreicht, es wird mit Sicherheit rundum – medizinisch und technisch – bestens versorgt. Eine Tatsache, die nicht immer so war und an der der Grazer Mediziner Hugo Sauer maßgeblich Anteil trägt.
In seiner kürzlich erschienenen Biografie "Kinderschicksale – Mein Leben als Kinderchirurg" blickt Sauer unter anderem auf den steinigen Weg zurück, der ihn zu jener Grazer Kinderchirurgie gebracht hat wie wir sie heute kennen.

Mittelalterliche Zustände

1975 erreichte den knapp 90-jährigen Sauer der Ruf aus Graz. "Damals war ich noch in Innsbruck als Kinderchirurg tätig und freute mich natürlich mit meiner Familie wieder in meine Heimatstadt Graz zurückzukehren." Bevor sich Sauer entschloss die neu ausgeschriebene Lehrkanzel für Kinderchirurgie samt der Neuaufstellung der Abteilung für Kinderchirurgie am LKH Graz zu übernehmen, "wollte ich mir zuerst ein Bild davon machen, was mich dort erwartete." Und: Er nahm diese Herausforderung an, trotz der "mittelalterlichen Zustände im Haus". Damals war die Kinderchirurgie noch in der Heinrichstraße zwei Kilometer von der Kinderklinik, die 1969 neu am LKH-Gelände gebaut worden war, entfernt untergebracht. "Im Keller stand regelmäßig das Wasser, auf 38 Patienten kam ein Bad, Betten konnten aufgrund der engen Türen nicht aus den Zimmer bewegt werden", erinnert sich Sauer mit Schaudern zurück. "Eigentlich hätte die Abteilung so wie sie war geschlossen werden müssen, aber wo hätten denn dann die ganzen steirischen Kinder operiert werden sollen?"

"Kinder sind keine Wähler"

Für Sauer begann somit wohl die schwierigste Geburt seines Lebens: Erst 1993 sollte die Kinderchirurgie tatsächlich jenen Ansprüchen entsprechen, die Sauer an sich selbst und vor allem an den Standard einer mitteleuropäischen Versorgungseinheit für Neugeborene, Kinder und Jugendliche stellte. Davor lagen Jahre des Klinkenputzens und harter Aufklärungsarbeit bei Politikern und Behörden. "Richtig in Gang gesetzt wurde der Neubau eigentlich durch eine Titelseite in einer Tageszeitung: 'Kinder sind eben keine Wähler'. Daraufhin kam die damalige Landtagspräsidentin Waltraud Klasnic auf Hugo Sauer zu und mit der Bausteinaktion Kinderchirurgie wurde der Grundstein für die heutige Versorgung gelegt.
Ein weiterer Meilenstein war 1983 die Gründung des Vereins "Große schützen Kleine". "Ich habe in meiner Berufslaufbahn so viele verunfallte Kinder behandelt, operiert und teilweise auch verloren, dass mir die Unfallverhütung einfach zu einem Herzensanliegen geworden ist", so der passionierte Kinderchirurg. Dank des Engagements des Vereins zählt die Unfallprophylaxe heutzutage großteils so zum Eltern-Dasein dazu wie das Wickeln.

Lenker vieler Kinderschicksale

Seit 1997 ist Sauer emeritiert, ganz loslassen kann er die Geschichten und Schicksale aber nicht, die er über Jahrzehnte auf die richtige bahn gelenkt hat. "Jetzt operiere ich nur mehr nachts", lacht der Professor, "da kommt schon noch ab und zu vor, dass ich in meine Träumen die eine oder andere OP durchgehe." In der Realität sind es mehrere Schachteln gefüllt mit Briefen von ehemaligen Patienten, die Sauer an seine Tätigkeit erinnern. "Wenn du da liest, dass eine Frau, die eigentlich mit so vielen Missbildungen geboren wurde, dass die Kollegen sie aufgeben wollten, nach unzähligen Operationen heute als 40-Jährige verheiratet ist und ein ausgefülltes Leben führt, weißt du, dass es nicht falsch war, was du gemacht hast."

Mittelalterliche Zustände hat Hugo Sauer bei der ersten Besichtigung der damaligen Kinderklinik vorgefunden. Im Gespräch mit der WOCHE zeigt er Bilder von diesem prägenden ersten Besuch. | Foto: Prontolux
Die Kinderchirurgie am Universitätsklinikum Graz geht in ihrer heutigen Form auf Hugo Sauer zurück. | Foto: LKH-Univ. Klinikum Graz/M. Kanizaj
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