Zum „Hoar raffn“ ins Blaue fahren...
Von Josef Fürbass
Vom Flachs zum Leinen ist es ein langer und arbeitsreicher Weg
Früher einmal sah man auf dem Land viele blau blühende Felder. Sie waren der sichtbare Hinweis für den Flachsanbau. „Davon leitet sich auch die Redewendung ‚Die Fahrt ins Blaue’ ab“, weiß Robert Hermann vom Erinnerungshof in St. Nikolai im Sausal. „Um 1950 wurde der Flachsanbau von der Baumwolle verdrängt, auch der große Arbeitsaufwand hat dazu beigetragen.“
Um dem Thema Flachs in unserer Gesellschaft wieder einen Platz zu geben, haben Elfi und Robert Hermann ihren Erinnerungshof von 400 auf 500 Quadratmeter aufgestockt. In der „Hoarstubn“ kann man die vielen Arbeitsschritte „Vom Hoar zum Leintuch“ in einer Ausstellung begleiten. Eine im wahrsten Sinne des Wortes hoarige Evolution...
„Die Flachsbearbeitung war eine reine Frauenangelegenheit“, erzählt Elfi Hermann. „Nur den Brechlofen haben die Männer eingeheizt. Oft schon um drei Uhr in der Früh.“ Was den Flachsanbau betrifft, gibt es eine Faustregel, so Robert Hermann: „Am 100. Tag des Jahres wird gesät, am 200. Tag wird geerntet, und am dritten 100. Tag soll die Brechlarbeit abgeschlossen sein.“
Gearbeitet wurde händisch und fast ausnahmslos mit Holzwerkzeug. Nach dem „Ausraffn“ wurde der Flachs zu Garben gebunden und als Mandl ohne Hut kurze Zeit zum Abtrocknen aufgestellt. Anschließend wurden die Fruchtkapseln, in denen sich der Leinsamen befand, mit einem Eisenriffel abgezogen. Der Samen wurde zur Herstellung von Leinöl und in der Küche verwendet. Robert Hermann nimmt das Öl auch gerne zum Imprägnieren von Holz.
Wenn die Burschen der Hafer stach, schaffte juckender Brechlabfall eine wirksame Abhilfe...
Doch zurück zur Flachsfaser: Diese wurde nun für die Dauer von etwa zwei Wochen zum Taurösten auf der Wiese aufgelegt, um die äußere Hülle aufzuweichen. Kurz getrocknet, ging es in den Brechlofen. Auf dem hölzernen Rost wurden die Flachsfasern bei einer Temperatur von zirka 55 Grad krachdürr. Sie waren somit „reif“ für das Brechln. Dabei wurde die Außenhülle mit ein- oder zweischarigen Brechln herunter geschlagen. Auch das Nebenprodukt erfüllte seinen eigenen Zweck: „Die jungen Frauen haben es den Burschen gerne in den Hemdkragen gestreut, wenn sie allzu neckisch waren“, lächelt Robert Hermann. Mit dieser Art von Juckpulver waren Übermütige ganz leicht zur Räson zu bringen...
Das übrig gebliebene grobe Haar wurde jedoch mit dem Flachsigel gekämmt und in Richtung gebracht. So wurde quasi die Spreu vom Hoar getrennt. Das Werg fand als Dämmstoff oder Fühlmaterial für Matratzen oder den Strohsack Verwendung. Die feinen Haare wurden am Spinnrad nicht zu Gold, sondern zum Faden versponnen. Nach wie vor gilt: „Je feiner der Faden, desto schöner der Leinenstoff“, betont Elfi Hermann.
Zwei wuchtige Webstühle stehen im neuen Ausstellungsbereich des Erinnerungshofs. Einer davon ist bereits 100 Jahre alt. „Früher sind die Störweber ins Haus gekommen“, berichtet Elfi Hermann. Die mit Bachsteinen beschwerte Bügelmaschine Mangel hat rund 160 Jahre auf dem Buckel und funktioniert noch immer. „Diese Bügelwalze war um die Kaiserzeit im Einsatz“, erklärt Robert Hermann. Verschiedene Handarbeitstechniken werden anhand von Musterflecken und -tüchern vorgestellt. Auch Baby- und Kinderbekleidung von anno dazumal wie Hemdchen, Lätzchen, Leib- und Seelhose dekoriert das Schaufenster zur Vergangenheit.
Für alle, die dem Erinnerungshof der Familie Hermann einen Besuch abstatten möchten: Info unter 0650/6241953 oder 0680/2160516
Alle Fotos: Josef Fürbass
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