Michael Lindner im Interview
"Müssen uns beim Asyl-Thema deutlicher äußern"

Der 39-Jährige Mühlviertler Michael Lindner wurde am 1. Oktober zum Landesparteivorsitzenden der SPÖ Oberösterreich gewählt. Seit 10. November ist Lindner Landesrat.  | Foto: Land OÖ/Stinglmayr
4Bilder
  • Der 39-Jährige Mühlviertler Michael Lindner wurde am 1. Oktober zum Landesparteivorsitzenden der SPÖ Oberösterreich gewählt. Seit 10. November ist Lindner Landesrat.
  • Foto: Land OÖ/Stinglmayr
  • hochgeladen von Thomas Kramesberger

Oberösterreichs SPÖ-Chef Michael Lindner ist seit 10. November Landesrat für Kinder- und Jugendhilfe, Tierschutz und die SPÖ-geführten Gemeinden. Im Interview mit der BezirksRundSchau spricht der Mühlviertler über das neue Jugendschutzgesetz, Migration und den Zustand der SPÖ. 

Interview: Thomas Winkler, Thomas Kramesberger

Es kommt ein neues Jugendschutzgesetz in Oberösterreich. Wie weit ist man in diesem Prozess?
Lindner:
Der Fachentwurf wird im Dezember fertig und geht im nächsten Jahr in die Begutachtung. Begleitend dazu gibt es eine Beteiligung von Jugendorganisationen, Jugendlichen und Eltern – das wird im ersten Halbjahr 2023 passieren.

Streitpunkt sind die Fortgehzeiten für Jugendliche, da steht die FPÖ auf der Bremse. Gab es mit den Blauen schon Gespräche?
Bisher noch nicht. Jetzt kommt mal der Fachentwurf, dann geht es in die Begutachtung – aber ich bin optimistisch, dass wir eine Landtagsmehrheit für eine Angleichung an die anderen acht Bundesländer zusammenbringen.

Es wird kolportiert, dass die Zeiten für die Unter-14-Jährigen bleiben könnten, während die Ausgehzeit für die 14- bis 16-Jährigen angeglichen werden.
Mein Ziel ist eine Angleichung bei beiden Altersgruppen und alles Weitere überlasse ich dem Gesetzgebungsprozess im Landtag.

Aber ausschließen würden Sie das jetzt nicht?
Am Ende des Tages muss man in einem Gesetzgebungsprozess immer gesprächsbereit sein und das werde ich auch in dieser Hinsicht bleiben.

Inwieweit spielen die Vorfälle zu Halloween in Linz in diese Debatte rein?
Gewaltausbrüche wie jene in der Halloween-Nacht sind entschieden zu verurteilen, allerdings ist so etwas in Oberösterreich eine negative Ausnahme. Der Großteil der Jugendlichen Oberösterreichs verhält sich sehr vernünftig. Es ist jedenfalls wichtig, dass man Integrationsarbeit vom ersten Tag an macht. Deshalb habe ich ein 10-Punkte-Programm auf den Tisch gelegt. Ich habe vorgeschlagen, dass es einen Jugendbegleiter für jeden unter 18 Jahren in der Grundversorgung gibt – einen Buddy, der die Kinder und Jugendlichen in der Zeit des Asylverfahrens oder sogar bis zum Übergang in den Arbeitsmarkt begleitet.

Wer sollte so ein Buddy sein – ein ehrenamtlicher Helfer?
Da braucht es hauptamtliche Strukturen, aber ich bin dafür nicht zuständig – die Verantwortung liegt bei Integrations-Landesrat Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP). Man muss die Integrations- und Jugendarbeit jedenfalls auf neue Beine stellen und dafür braucht es eine sozialpädagogische Struktur. Das können Migranten sein, die bereits gut bei uns angekommen sind und sich dann um die Nachfolge-Flüchtlinge kümmern. Was man nicht machen kann: Man steckt sie in die Grundversorgung, hat dort „warm, satt, sauber“ und damit hat es sich erledigt.

Was kann man konkret mit den Jugendlichen aus der Halloween-Nacht machen? Abschieben wird aufgrund von Alter und Herkunftsländern in vielen Fällen nicht gehen …
In der Sitzung des Landessicherheitsrats hat Landespolizeichef Andreas Pilsl geschildert, dass es zu einem sehr großen Teil Mitläufer waren. Das heißt: Diesen Jugendlichen kann man mit Streetwork, sozialpädagogischer Begleitung und guter Arbeit in den Schulen eine sinnvolle Perspektive geben. Für den harten Kern wird es eine polizeiliche und juristische Weiterverfolgung geben. Aber ich halte nichts davon, überschießend zu handeln, sondern das Problem nüchtern zu analysieren. Wir werden etwa ein Online-Streetwork entwickeln, da es in allen Bereichen wichtig ist, einen niederschwelligen Zugang zu Jugendlichen zu haben. Wir wollen im digitalen Bereich Andockstellen für Jugendliche anbieten.

Foto: Land OÖ/Stinglmayr

Deutschland will im kommenden Jahr Cannabis legalisieren. Das dürfte viele Konsumenten von Österreich nach Bayern locken, wahrscheinlich auch Jugendliche. Wie soll Österreich dann damit umgehen – auch legalisieren?
Ich sehe keinen Anlass in Österreich diese Debatte zu beginnen. Ich werde im neuen Jugendschutzgesetz zwei Sachen für unter 18-Jährige klar untersagen: Die rauchbaren CBD-Produkte und die tabakfreien Nikotinbeutel , weil es mir um den Schutz der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen geht. Ich sehe da keinen Anlass, dem deutschen Vorbild zu folgen.

Also Ihr Parteikollege Olaf Scholz macht einen Fehler?
Das muss Olaf Scholz für Deutschland bewerten, aber ich sehe in Österreich keine Veranlassung dafür.

Aber ist es nicht merkwürdig, wenn ich in einen Supermarkt gehen kann, eine Flasche Schnaps kaufen  und mich bewusstlos trinken – einen Joint bekomme ich aber nur illegal, anstatt in der Apotheke. Das ist ein Argument, warum in Deutschland jetzt legalisiert wird.
Mir geht es um den Schutz von Kindern und Jugendlichen. Es war eine gute Entscheidung, Rauchwaren für unter-18-Jährige zu untersagen. Und wir sind auch im Alkoholbereich relativ strikt und kontrollieren das immer wieder durch Testkäufe. Ich sehe also keine Veranlassung über eine Legalisierung von Cannabis nachzudenken. Aber Alkohol ist in unserer Gesellschaft ein Problem und natürlich auch eine Droge, dem muss man sich bewusst sein. Deshalb gibt es viele Jugendschutzkampagenen, die genau in diese Richtung – und auf das Suchtverhalten allgemein – abzielen.

Sie sind auch für die SPÖ-geführten Gemeinden in OÖ zuständig. Es gibt mittlerweile ein Gemeindepaket des Bundes, das Land hat ebenfalls 56 Millionen Euro für die Kommunen versprochen. Auf der anderen Seite stehen massive Mehrkosten bei Energie, Personal und die allgemeine Teuerung. Geht sich das mit diesen Paketen aus?
Das Landespaket hilft jetzt die Bundesmittel abzuholen und den enorm steigenden Krankenanstaltenbeitrag 2023 etwas abzufedern. Aber das geht dem Problem nicht auf den Grund – nämlich: Wie können wir als Land unsere Gemeinden langfristig finanziell stärken, durch eine Vereinfachung der Finanztransfers und mehr Geld in den Gemeinden.
Ich möchte mir das Transferverhältnis zwischen Land und Gemeinden genauer ansehen. Denn die Gemeinden zahlen an das Land 300 Millionen Euro mehr an Umlagen, als sie an Unterstützung retour bekommen. Offen gesagt: Der Landesfinanzreferent finanziert sich auf Kosten der Gemeinden das Landesbudget. Das muss dauerhaft gerechter gestaltet werden und nicht mit Paketen Symptombekämpfung betrieben werden.

Sie haben vor Kurzem die Wohnbaupolitik in OÖ kritisiert, was macht Baureferent Manfred Haimbuchner (FPÖ) falsch?
Wir fordern im nächsten Jahr ein Wohnbaubudget, mit dem wieder 2.000 Wohnungen gebaut werden können. Das ist sehr an der Kippe. Denn wir merken durch dein Einbruch der privaten Baubranche wächst der Druck auf den gemeinnützigen Wohnbau, deshalb brauchen wir die volle Bauleistung mit den 2.000 Wohnungen. Sonst können wir den Bedarf nicht decken. Außerdem fordern wir, dass das Land OÖ, aufgrund der strengen Kreditvorschriften, ein zinsloses Eigenmittel-Ersatzdarlehen in der Höhe von fünf Prozent anbietet. 

Also bei der Bank könnte man dann sagen: Ich habe 15 Prozent Eigenmittel und fünf Prozent Ersatzdarlehen vom Land, macht zusammen die geforderten 20 Prozent Eigenmittel?
Genau. Jungen Familien muss es wieder erleichtert werden in Eigentum, Reihenhaus, Einfamilienhaus zu investieren. Denn ich höre aus der Bauwirtschaft, dass der private Bereich im ersten Halbjahr 2023 wegbricht – und das ist ein Problem.

Foto: Land OÖ/Stinglmayr

In manchen Regionen Oberösterreichs, im Zentralraum oder im Seengebiet, sind Baugründe defacto unleistbar geworden.
Ja, das ist mittlerweile ein soziales Problem und führt zu starker Abwanderung, weil junge Familien sich dort das Wohnen nicht mehr leisten können. Deshalb brauchen wir in der Raumordnung, auch für die Gemeinden, wesentlich mehr Möglichkeiten. Da reichen die Baulandsicherungsverträge nicht mehr aus. Es gibt ausreichend unbebautes, gewidmetes Bauland, das mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, nicht mobilisiert werden kann – da wird es um Rückwidmungsandrohungen gehen müssen.

Leere Parzellen, die als Bauland gewidmet, aber nicht bebaut sind, sollen Ihrer Ansicht nach auf Grünland rückgewidmet werden?
Ja, genau.

Die SPÖ hätte derzeit eigentlich gute Bedingungen: Die Bundesregierung geht in Korruptionsaffären unter und FPÖ-Chef Herbert Kickl ist auch nicht sonderlich populär. Trotzdem zerpflückt sich die Sozialdemokratie – Stichwort: Rendi-Wagner gegen Doskozil – selbst. Kein gutes Bild.
Deshalb war ich sehr sauer und entnervt, weil ich es für sinnbefreit halte, diese Fragen immer auf dem Balkon zu diskutieren. Das funktioniert nicht. In Oberösterreich habe ich mich in den letzten Monaten sehr bemüht, in alle Richtungen Vertrauen aufzubauen und einen neuen Boden zu legen. Und die Führungskräfte auf Bundesebene sind aufgefordert das Gleiche zu tun. Mit so einem Verhalten wie zuletzt verlieren wir das Vertrauen der Menschen, das spüren wir dann auch in den Umfragen.

In einer aktuellen Umfrage liegt die FPÖ im Bund schon auf Platz eins.
Es gibt keinen Automatismus, dass bei großer Unzufriedenheit mit der Bundesregierung die größte Oppositionspartei profitiert. Es geht darum, sich das Vertrauen jeden Tag neu zu erkämpfen, das haben wir bei der Teuerung geschafft. Und beim Thema Asyl und Migration müssen wir es wieder schaffen. Die Sozialdemokratie muss sich stärker und deutlicher zu diesem Thema äußern.

Was soll die Linie in der Migrationspolitik sein?
Zunächst: Ich halte es für entbehrlich, wenn die ÖVP dieses Thema kampagnisiert, und gleichzeitig seit 20 Jahren den Innen- und Außenminister stellt. Die haben das Thema nie richtig angegangen, das ist ein Versagen der ÖVP. Die SPÖ hat seit 2018 das Doskozil-Kaiser-Papier, das Asylverfahren an den Außengrenzen in Verfahrenszentren fordert, die innerhalb von drei Monaten erledigt werden müssen. Wir brauchen auch in den großen Herkunftsländern Verfahrenszentren unter UNO-Mission, damit vor Ort die Asylverfahren erledigt werden. Und jene, für die es keinen Asylgrund gibt, können bei uns nicht bleiben.

Was kann Österreich selbst machen? Denn alles von Ihnen genannte wird nicht rasch passieren.
Wir haben es selbst in der Hand, die Asylverfahren zu verkürzen. Davon reden wir seit Jahren. Es braucht Verfahren innerhalb von drei Monaten, damit auch die Antragstellerinnen möglichst rasch Klarheit haben. Was wir jetzt sehen, ist dass der größte Teil der Asylantragsteller weiter will, viele Verfahren werden eingestellt, weil die Menschen weiterziehen. Und jene, die keinen Asylgrund haben, müssen mit Rückführungsabkommen wieder rasch in ihre Länder gebracht werden.

Sollen Asylwerber arbeiten dürfen – oder wäre nicht eine Pflicht zur Arbeit besser, als diese Personen monatelang herumsitzen zu lassen?
Der Linzer Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) und ich haben einen verpflichteten Integrationsdienst für Asylwerber vorgeschlagen – ab drei Monaten Aufenthalt im Land.

Das klingt nicht wie ein Job, sondern wie ein Sozialdienst? Oder kann jemand nach drei Monaten dann irgendwo am Fließband anfangen?
In erster Linie geht es um einen Beitrag, den man an die Gesellschaft zurück gibt. Es können Sozialvereine oder Jugendvereine sein – dort wo Hilfstätigkeiten möglich sind. Es geht um das Erlernen der Sprache, die Gesellschaft kennenzulernen, die österreichischen Werte zu verstehen. Nach den zwölf Monaten wird man auch über einen Arbeitsmarktzugang reden müssen.

Aber warum nicht schon nach drei Monaten einen kompletten Arbeitsmarktzugang? Wäre doch tausend Mal besser, wenn Asylwerber sich selber versorgen müssten und die Integration läuft über die Firma und den Job.
Es geht nach drei Monaten schon auch darum, jemanden in unserer Gesellschaft ankommen zu lassen und Sprachlernmöglichkeiten zu schaffen. Das ist in einem vorgelagerten Integrationsdienst leichter zu machen, es gab ja unter Christian Kern schon den Vorschlag eines Integrationsjahres. Darin orientiert sich auch unser Modell, aber für mich muss das verpflichtend sein. Wir werden natürlich den Arbeitsmarktzugang brauchen, wir werden uns verbessern müssen, wenn es um die Anerkennung von Berufsausbildungen geht. Es gibt einen großen Arbeits- und Fachkräftemangel und wir müssen Interesse daran haben, die Ankommenden für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Wer das nicht macht und sich nicht einfügt, wird nicht auf Dauer bleiben können.

Der 39-Jährige Mühlviertler Michael Lindner wurde am 1. Oktober zum Landesparteivorsitzenden der SPÖ Oberösterreich gewählt. Seit 10. November ist Lindner Landesrat.  | Foto: Land OÖ/Stinglmayr
  • Der 39-Jährige Mühlviertler Michael Lindner wurde am 1. Oktober zum Landesparteivorsitzenden der SPÖ Oberösterreich gewählt. Seit 10. November ist Lindner Landesrat.
  • Foto: Land OÖ/Stinglmayr
  • hochgeladen von Thomas Kramesberger

Also ein Job als Integrationsvoraussetzung?
Ja, genau. Darüber hinaus müssen wir über eine Reform der Rot-Weiß-Rot-Card nachdenken. Wenn jetzt Tunesier und Inder über Serbien zuwandern, warum nicht in diesen Ländern Anwerbebüros eröffnen und schauen, welche Arbeitskräfte für den österreichischen Arbeitsmarkt lukriert werden können. Denn wir brauchen die Leute, derzeit gibt es 60 Mangelberufe, in den nächsten Jahren werden es 100 sein. Dafür braucht es eine gesteuerte und qualifizierte Zuwanderung, aber das muss man organisieren und nicht auf Zufall aufbauen. Da frage ich mich schon: Was für eine Wirtschaftspartei ist die ÖVP, wenn sie das nicht macht?!

Anzeige
Foto: Cityfoto
8

Innovationen von morgen
"Lange Nacht der Forschung“ am 24. Mai

Unter dem bundesweiten Motto „Mitmachen. Staunen. Entdecken.“ bietet Oberösterreich bei der elften Auflage der Langen Nacht der Forschung 2024 (#LNF24) am Freitag, 24. Mai 2024 von 17 bis 23 Uhr ein breit gespanntes LIVE-Programm. In zehn Regionen in Oberösterreich laden rund 140 Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Technologiezentren und innovative Unternehmen dazu ein, einen Blick in die faszinierende Welt der Forschung zu werfen. Auf Entdecker:innen jeden Alters wartet ein...

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

UP TO DATE BLEIBEN

Aktuelle Nachrichten aus Oberösterreich auf MeinBezirk.at/Oberösterreich

Neuigkeiten aus deinem Bezirk als Push-Nachricht direkt aufs Handy

BezirksRundSchau auf Facebook: MeinBezirk.at/Oberösterreich - BezirksRundSchau

BezirksRundSchau auf Instagram: @bezirksrundschau.meinbezirk.at

ePaper jetzt gleich digital durchblättern

Storys aus deinem Bezirk und coole Gewinnspiele im wöchentlichen MeinBezirk.at-Newsletter


Du willst eigene Beiträge veröffentlichen?

Werde Regionaut!

Jetzt registrieren

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.