Natur am Friedhof | Spazierbericht
Mit Krähe & Co. am Grab in Ottakring
Ein spätherbstlicher Tag. Die Sonne gleitet über die bunten Baumblätter und macht die kühle Luft so erträglich. Die Blumenstanderln am Eingang zum Friedhof Ottakring erinnern daran, was sich am Friedhof gehört: eine Kerze, eine Blume oder gar ein kleiner Kranz als Besuchsgabe am Grab. Die freundlich lächelnden Verkäufer:innen bilden das Empfangskomitee und so nimmt man den etwas steilen Weg hinauf gern in Angriff.
Ordnung muss sein
Nach dem im k.u.k.-Baustil anmutenden Eingangstor erschließt sich ein reihenweise gemustertes Ökosystem aus Wegen, Steinen und Bäumen die sich auf einen Hügel ausgebreitet haben. Sorgfältig nummerierte Gruppen und Zeilen begleiten am Weg zum Bankerl auf der Anhöhe. Pflastersteine, Asphalt, Pflastersteine, Asphalt... Während man sich Schritt für Schritt empor arbeitet wird man längst schon beobachtet. Wie andere Friedhofsbewohner haben sich auch die Krähe entlang der Reihen und Gruppen postiert. Sie bewachen heimlich die strikte Raumordnung. Ihrer Aufmerksamkeit ist nicht entgangen, dass ich einen Apfel esse. Als ich mich auf Anhöhe auf einem Bankerl niederlasse, wartet schon oberhalb eine Nebelkrähe bis der restliche Apfelpatzen seinem Schicksal überlassen wird. Auch eine neugierige Blaumeise schaut vorbei.
Zwischen Himmel und Erde
Zwei Parzellen weiter hat eine Krähe schon einen Leckerbissen gefunden und wird vom Radau sämtlicher Artgenossen verfolgt. Die Neider sitzen auf jedem Zipfel und schreien laut durcheinander: Krrah-Krrah, Grah, Kraah, Grah, Kraah, Krrah... Sie findet keinen freien Ast. "Eigentum verpflichtet" hat auch in diesem Schar eine gewisse Gültigkeit und so muss auch die Krähe teilen.
Den Weg entlang der Reihe geht ein älterer Herr, ein Gentlemander alten Schule. Ruhigen Schrittes mit einem Blumenstrauß in der Hand hat er sich für den Grabbesuch schön gemacht. Als hätte er eine Verabredung mit der Angebeteten, bei der er gern auftrumpfen würde. Nur sein Blick ist vielsagend: Wie kann man nur mit einem Fotoapparat vagabundierend durch den Friedhof gehen? Für eine Dame drei Bäume weiter wäre das überhaupt ein unnötiger Balast. Sie macht etwas vom Bergaufstieg erschöpft eine Rast und scheint zu hoffen, dass ein Gärtner mit seinem Trolley vorbeikommt und sie ein Stück mitnimmt. Während des Wartens gleitet der Blick über die Gräber-Landschaft. Die Denkmäler und erst recht die Grabdeckel glitzern in der Sonne. Sie wirken wie ein Teppich aus Solarmodulen, der den Verstorbenen auch unter dem Erdreich ein gemütliches und obendrein ökologisches Zuhause bieten möchte. Wo es keinen Grabdeckel gibt, sind die Grabflächen besuchsfertig frisiert. Kaum ein Grashalm zu viel, kaum eine verwelkte Blume oder gar ein verwachsener Grabstein. Die Gedichte, Lebensweisheiten und Botschaften der Nachwelt sollen durch jedermann zu lesen sein. Ein schlichtes "Warum?" und "Auf Wiedersehen".
Mensch-Natur-Kultur
Ein kleiner drahtiger Besucher fliegt zwischen den Grabsteinen. Er scheint der Einzige zu sein, der sich in die penibel aufgeräumte Grablandschaft fügt. Als er auf einem Grabstein landet muss man zwei Mal schauen, um ihn nicht mit einer Keramikfigur zu verwechseln. Doch sein ungeduldiges Wippen verrät ihn. Er ist ein Spezialist - spezialisiert auf Orte, an denen Menschen selbst die Natur streng reglementieren. An einem Friedhofsende geht der Rasenmäher durch die Gräber, in einer Zeile werden die Bäume gestützt und an dem Weg stadtwärts werden die Baumäste gesägt. Der trockene Laub ist ja schon gekehrt. Die tierische Friedhofspflege spielt sich einstweilen in Baumwipfeln ab. Gut versteckt hämmert ein Buntspecht unermüdlich vor sich hin. Und da kraxelt ein mutiger Winzling die Baumrinde hinauf während er sich mit dem Schwanz am Baumstamm abstützt. Kaum hätte man ihn von der Rinde unterscheiden können, hätte er sich nicht kurz bewegt. Von ein paar Meisen begleitet verarztet er gerade eine Föhre. So wird auch das Baumdach des Friedhofs für Gräber und ihre Besucher anständig gepflegt.
Inspiration am Grab
Und wer weiß, vielleicht wird man an Gräbern irgendwann tatsächlich Solarpanele aufstellen, Erdbeeren anbauen oder ein Vogelhäuschen aufhängen. Die Natur jedenfalls inspiriert und hat die Kraft selbst Orte wie Friedhof zu beleben. Sie gibt Hoffnung dort, wo man das die Vergänglichkeit des Lebens, das eigene Vergehen nicht stärker spüren kann. Ein Hinspüren, ein Verweilen und ein Betrachten sind alles, was man dafür braucht, um die Lebensfülle zu entdecken. Gerade zu Allerheiligen haben wir die einzigartige Möglichkeit gemeinsam diese Übung zur Lebens- und Selbstliebe zu machen.
Dieser Artikel erscheint in der Reihe 'Natur am Friedhof'. Den ersten Teil "Mit Specht & Co am Grab" in Friedhof Gersthof und Hernals können Sie hier lesen.
Mehr über Friedhof Ottakring finden Sie hier.
Du möchtest selbst beitragen?
Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.