Der Sterbtag - Märchen und Geschichten aus dem Bezirk Steyr - Teil 7

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Meine heutige Geschichte ist eine wahre, wie sie irgendwo in Oberösterreich passiert ist - eine Geschichte von der Gattung, wie man sie ganz selten von völlig Fremden erzählt bekommt, Menschen die sich offenbar eine Last von der Seele reden wollen, in der Hoffnung, dem Gesprächspartner nie wieder zu begegnen. Mich hat diese Geschichte sehr bewegt und deshalb will ich sie, wie folgt erzählen.

Tina stand an der Theke des kleinen Dorfgasthauses und heulte sich die Augen aus. Heute war es wirklich passiert - der Moment, vor dem sie sich lange schon gefürchtet hatte, war gekommen. Dabei hatte sie nicht einmal eine Vorahnung geplagt.

Noch vor einer Stunde war alles eitle Wonne Sonnenschein gewesen. Sie hatte mit ihrem Ensemble die Adventfeier im Gasthof gestaltet und hatte dann, weil der Gig so gut gelaufen war, jede Menge Spaß gehabt - bis, ja bis das Handy läutete. "Du Tina! Komm bitte heim. Die Tante Marie hat angerufen. Der Papa ist gestorben...", informierte sie ihr Mann am anderen Ende der Leitung. Wie, was und warum, konnte sie erst viel später erfassen - viel zu groß war die Leere die sich in ihrem Inneren auftat. Die Tränen flossen unaufhörlich. Mit zittrigen Händen trank Tina den Kaffee, den sie bestellt hatte, um sich zu beruhigen, während ihr der Wirt bestürzt zusah. "Was sollte jetzt bloß werden?" sinnierte sie immer und immer wieder, "würde man sie überhaupt zum Begräbnis einladen?" Gott sei Dank war da noch die Tante, die ihr wenigstens Bescheid gegeben hatte.

Tinas Geschichte war eine ganz Besondere damals. Als Kind einer alleinerziehenden Mutter hatte man es am Land in den 70ern nicht leicht. Die Eltern hatten sich getrennt als sie keine 2 Jahre alt war. Der Vater hatte eine Andere geheiratet und war gar in ein anderes Bundesland gezogen. Dass sie einen kleinen Halbbruder bekommen hatte, erfuhr die 7-Jährige lediglich durch die Windeln, die sie im VW-Käfer des Vaters fand, als er sie wieder einmal besuchen kam. Nur die wenigsten ihrer Klassenkollegen hatten den Vater gekannt, denn er stammte nicht aus der Gegend. Oft wurde sie mit den Worten: "Du hast ja gar keinen Papa", zutiefst verletzt. Trotzdem liebte sie ihn abgöttisch. Und er, er musste sie wohl auch geliebt haben, denn er besuchte sie an jedem Heiligen Abend, der auch Tinas Geburtstag war. Unterm Jahr kam er dann zwar nicht zu oft, brachte aber immer tolle Geschenke mit und nannte Tina dann "sein gescheites, hübsches Mädel!"

Später erfuhr Tina aus den Erzählungen des Vaters, dass sie insgesamt 3 Brüder hatte. Trotzdem nahm er seine Tochter weder mit zu sich nach Hause, noch zeigte er ihr je ein Foto seiner Buben. Das Eigenartige war, dass Tina die Situation nie hinterfragte. Weil sie nichts anderes kannte, hatte sie diese Realität als normal akzeptiert. Ja, der Vater hatte die Spielregeln gemacht. Wie wirr das Netz gesponnen war, sollte sich schon bald herausstellen. Plötzlich fügten sich die vielen kleinen Puzzleteile zu einem Bild zusammen.

"Bauer stürzte beim Tannenreisig-Schneiden 12m in den Tod".

Die mit bangen erwartete Pate flatterte wenige Tage später ins Haus. Wie Papa gestorben war, hatte ihr Tante Marie berichtet: Der schwer herzkranke 70-Jährige hatte sich, als er alleine zuhause war, mit Traktor, Leiter und Säge auf in den Wald gemacht um Tannenzweige abzuschneiden, die er am Markt verkaufen wollte. Doch dann dürfte ihm schwindlig geworden sein... . Die kleine gelbe Säge baumelte noch lange auf 13m Höhe am Baum.

Das Begräbnis

Es war der Tag, an dem sich der Schleier lüftete. Als Tina und ihr Mann die fremde Kirche betraten, hatten sie ein flaues Gefühl im Magen. Wie würde man sie aufnehmen? Wie waren sie, die fremden Brüder und die Stiefmutter, von der sie immer nur das Schlechteste angenommen hatte?

Als die Trauerfamilie die Kirche betrat wurde ihre Anspannung fast unerträglich. Die Brüder entpuppten sich als fesche junge Männer, die alle das dunkle Haar des Vaters geerbt hatten. Ihre Kleidung war elegant und sie umringten ihre Mutter, die völlig anders wirkte, als Tina sie sich vorgestellt hatte.

Und dann kam er auf das Paar zu. Peter, der Ältere hatte sogar Haltung und Figur des Vaters geerbt. Selbst seine Stimme klang verblüffend ähnlich: "Bei uns sitzen Frauen und Männer noch in getrennten Reihen, aber bleibt ihr beide Mal zusammen, das passt schon. Ich bin übrigens der Peter. "

Nach dem Begräbnis kam Gerd, der Jüngere auf das Paar zu und ermunterte die beiden ihm bis zum Gasthof nachzufahren - verblüffend - er hatte sogar das gleiche Auto wie die ältere Schwester.

Alles wird gut

Und dann war endlich Zeit zum Reden. Jedes der Geschwister schüttete sein Herz aus und Tina fand in ihren Brüdern unzählige ihrer eigenen Eigenschaften wieder. Endlich wusste sie, woher sie all die kleinen Facetten hatte, die sie vom Rest ihrer Großfamilie unterschieden.

Weil er die Zügel in der Hand behalten wollte, hatte sich Tinas Vater 2 Welten aufgebaut: die eine, die glaubte, er hätte den Kontakt zur Tochter schon als Kind abgebrochen und die andere die sich sicher war, dass sie von der neuen Familie nicht erwünscht war.

Doch irgendwo da oben muss es eine höhere Führung geben. Denn statt dem Papa, hatte die junge Frau an jenem Weihnachtsfest eine zweite Familie bekommen. Und als kurz vor dem entzünden des Christbaums noch einmal das Telefon klingelte, hörte sie zwar Papas Stimme am anderen Ende der Leitung, ja sogar sein Name erschien am Display. Allerdings war es diesmal der ältere Bruder, der nach dem Vater benannt worden war und ein frohes Weihnachtsfest wünschte.

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Foto: Cityfoto
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