Vernichtete Vielfalt
Befreiungsfeier 2021 im kleinen Rahmen beim KZ-Denkmal Steyr

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Vor 76 Jahren, am 5. Mai 1945, wurde das KZ-Nebenlager Steyr-Münichholz von US-amerikanischen Truppen befreit. In dem Lager wurden bis zu 3000 Menschen gefangen gehalten, von den Todesopfern sind bisher 226 namentlich bekannt. Häftlinge aus den verschiedensten Ländern mit vielfältigen Fähigkeiten und Begabungen wurden ermordet. „Vernichtete Vielfalt“, das heurige Thema der Befreiungsfeiern, macht darauf aufmerksam.

STEYR. Die diesjährige Befreiungsfeier unter dem Motto „Vernichtete Vielfalt“ konnte nur im kleinen Rahmen stattfinden. Das Mauthausen Komitee Steyr und einige Vertreter anderer Organisationen hielten am 17.Mai 2021 eine Versammlung mit kurzen Gedenkreden ab, bei der auch eine Grußbotschaft des Präsidenten der französischen Lagergemeinschaft Mauthausen Daniel Simon verlesen wurde.

Stellvertretend für alle Häftlinge wurden drei Häftlingsbiografien vorgetragen. Mit Kränzen gedachte man beim KZ-Denkmal der Opfer und erinnerte an die Menschen, die hier gelitten haben und zu Tode gekommen sind. Stellvertretend für die französische Lagergemeinschaft ‚Amicale de Mauthausen’ wurde ein Blumenbukett mit Schleifen in den Farben der französischen Fahne niedergelegt.

Hier die Rede vom Vorsitzenten des Mauthausen Komitees Steyr Mag. Karl Ramsmaier und die Grußworte von Vizebürgermeister Markus Vogl und von Daniel Simon, Amicale de Mauthausen bei der Befreiungsfeier.

Sehr geehrter Herr Vizebürgermeister! Sehr geehrter Herr Pfarrer! Liebe Vertreter der Bundesanstalt Mauthausen! Liebe Komitee-Mitglieder! Liebe Freunde in Frankreich!

Niemand hätte gedacht, dass das Corona-Virus mehr als ein Jahr eine nicht zu unterschätzende Gefahr für unsere Gesundheit darstellt und dass wir uns auch heuer leider wieder nicht persönlich treffen und unsere Befreiungsfeier wie üblich abhalten können. Die vielen Einschränkungen der Freiheit, der Kultur, der Veranstaltungen, der Bildung, vor allem aber die Einschränkungen bei den persönlichen Begegnungen machen uns sehr zu schaffen. Der Atem des anderen ist gefährlich geworden und wir müssen uns durch Masken schützen. Wir hoffen sehr, dass es euch allen gut geht und dass ihr alle gesund seid.

Auch in dieser schwierigen Zeit wollen wir das Gedenken und die Erinnerung an die KZ-Häftlinge, die hier im Außenlagers Steyr-Münichholz gelitten haben und ermordet wurden, hochhalten. Die Hauptursache für die Krankheiten in den Lagern war der Hunger und die brutale Behandlung der Häftlinge. Hungerödeme und Tuberkulose waren die Folge, aber auch viele Arten der Entzündungen aufgrund von Verletzungen und mangelnder Hygiene.

„Hier haben wir viel mehr gelitten, als man sich vorstellen kann. Hier haben wir ein buchstäblich höllisches Leben kennen gelernt und jeder Schritt dieser Pilgerreise ist für mich die Fortsetzung an die Erinnerung des Leids, die Erinnerung an einen „Vorfall“ aus dem Leben des Konzentrationslagers, die Erinnerung an einige gute Genossen, die jetzt verschwunden sind.“ Worte von Charles Bossi bei der Einweihung des KZ-Denkmals Steyr 1953.

Im Außenlager Steyr-Münichholz waren Menschen aus vielen Ländern und Nationen mit einer Vielzahl von Sprachen inhaftiert. Die Befehle der SS wurden nur in einer Sprache, auf Deutsch, erteilt. Einen Befehl nicht zu verstehen und ihn deshalb nicht schnell genug befolgen zu können, war für die Häftlinge lebensbedrohlich. Möglichst viel von der deutschen Sprache zu verstehen, war daher überlebenswichtig. Die Rangordnung unter den Häftlingen wurde durch die verschiedensten Winkel zum Ausdruck gebracht. Der rote Winkel z.B. stand für „politische“ Häftlinge und aus rassistischen Gründen Verfolgte.

Die Vielfalt der Menschen und Weltanschauungen war den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Nein, noch mehr. Sie hassten die Vielfalt und wollten alle unter der Ideologie des Nationalsozialismus vereinen. Wer diesen Kriterien nicht entsprach oder sich widersetzte, wurde gnadenlos vernichtet. „Vernichtete Vielfalt“, so auch das Thema der heurigen Befreiungsfeiern.

Dieser Virus der Menschenverachtung, dieser Virus der Vernichtung der Vielfalt, dieser Virus des Rassismus, dieser Virus des Antisemitismus, dieser Virus des Hasses gegen Andersdenkende war aber mit der Befreiung 1945 nicht zu Ende. 2020 wurden in Österreich 853 rechtsextreme Straftaten begangen, 2005 waren es noch 209, also eine Vervierfachung in den letzten 15 Jahren.

Die rassistischen Vorfälle stiegen 2020 um 55 Prozent. Bei den Demonstrationen der Corona-Gegner spielen Rechtsextremisten und Neonazis eine führende Rolle. Es sollte uns zu denken geben, dass dies für viele offensichtlich kein Problem mehr darstellt. Das Gedenken und die Erinnerung an das Leiden der KZ-Häftlinge lässt uns diese Viren mit großer Klarheit erkennen. Die Erinnerung stärkt uns, diese Viren heute mit all unserer Kraft zu bekämpfen. Unterschätzen wir die zerstörerische Kraft dieser Viren nicht.

Niemals vergessen. Niemals wieder.

Grußworte Vizebürgermeister Markus Vogl

Der Titel „vernichtete Vielfalt“ für die heurige Gedenk- und Befreiungsfeier trifft das Ziel des Naziregimes sehr genau. Mehr als 60 Millionen Tote aus 27 Ländern der Welt hat diese Katastrophe gefordert.

In Ländern wie Polen oder der Sowjetunion wurde fast ein Fünftel der Gesamtbevölkerung vernichtet. Mit den Menschen sind auch deren Kultur und deren Wissen unwiederbringlich verschwunden. Der Auftrag an unsere Generation ist klar: Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass diese schrecklichen Ereignisse und deren Folgen nie vergessen werden.

In diesem Sinne darf ich die besten Grüße der Stadt Steyr an die französische Lagergemeinschaft Amicale de Mauthausen übermitteln. Ich hoffe, wir können dieses Gedenken nächstes Jahr wieder gemeinsam mit unseren Freunden der Amicale de Mauthausen und ihrem Vorsitzenden Daniel Simon in Steyr begehen.

Grußworte Daniel Simon, Amicale de Mauthausen (France)

Liebe Freunde von Steyr,

Euch auch dieses Jahr in Steyr nicht wiedersehen zu können macht uns traurig. Es ist bereits ein Jahr her, da hattet ihr die kameradschaftliche Idee, die französische Amicale trotzdem an diesem Treffen teilhaben zu lassen. Wir sind sehr bewegt.

Diese Situation zeigt die Notwendigkeit für die Gedenkveranstaltungen für das Nazi-Konzentrationslager Steyr, die ein Teil dessen sind, einen gemeinsamen Gedanken zu bekräftigen: nie wieder Faschismus! Das Thema, das vom MKÖ 2021 für vorgeschlagen wurde, ist ein zentraler Teil unsere Überzeugungen: die große Vielfalt der Opfer, und der Wille der Nazis, diese schöne Vielfalt der Menschen zu zerstören zu Gunsten einer vereinfachten und barbarischen Aufteilung in Herren und Sklaven.

Die 9.000 Franzosen, die nach Mauthausen gebracht wurden, danach auf die verschiedenen Arbeitsstäten der Außenlager verteilt wurden, waren selbst kein einheitlicher Haufen: unter ihnen waren 500 Frauen, Intellektuelle, Bürgerliche, Arbeiter, Priester, Soldaten der Rechten und militante Kommunisten, Menschen, die Widerstand leisteten gegen die Besetzung Frankreichs durch die deutsche Armee und andere, die zufällig aufgegriffen wurden und nicht wussten, für welches Verbrechen sie das selbe Schicksal erlitten wie die anderen.

Ich könnte auch noch die Spanier erwähnen, die in Steyr zahlreich vertreten waren. Die 7.000 spanischen Häftlinge, die in Mauthausen ankamen, waren eine viel homogenere Gruppe als jene der Franzosen: alle konnten sie aus Spanien fliehen, als die Republik von den Putschisten Francos, militärische unterstützt von Hitler und Mussolini, bezwungen wurde, alle haben sie für die legal Republik gekämpft, alle waren sie von derselben politischen Gesinnung. Vor einem Jahr konnte ich die spanische Amicale de Mauthausen y otros campos mit Sitz in Barcelona davon überzeugen an den Gedenkfeierlichkeiten in Steyr teilzunehmen. Doch das war leider nicht möglich, aber wir werden alle wiederkommen.

Die Unterscheidung in nationale Gruppen, wie sie von der SS als vorgenommen wurden, war keine aussagekräftige Aufteilung: jede Gruppe hatte spezifische Charaktere, aber in jeder einzelnen waren die Menschen anders und einzigartig. Die große Vielfalt der Opfer des Lagers von Steyr ist typisch für die Vielzahl jener, die die Nazis von der Anzahl der Lebenden auslöschen wollten: eine Verdichtung der Menschheit. So gesehen war Mauthausen nicht der Ort eines gezielten Massakers, sondern eines Verbrechens an einer undifferenzierten Masse. Es ist die Menschheit in ihrer Vielfalt, die abgeschafft werden sollte.

Das in allen Völkern Europas durch die Barbarei der Nazis verursachte Trauma beruhigt sich nicht. Die Lektion geht über den europäischen Kontinent hinaus: es ist ein Zeichen für die gesamte Menschheit, betrifft fundamentale Herausforderungen. Die Menschheit ist divers aber gleichzeitig sie ist ganz und gar gleich. Wir möchten uns bei euch bedanken, dass ihr diese Überzeugung in Steyr am Leben erhaltet, es ist eine sehr aktuelle Auseinandersetzung

Daniel Simon, Amicale de Mauthausen (France)

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