Kuhattacke-Urteil regt auf
Nicht nur für Bauer Reinhard Pfurtscheller "unbegreiflich" – mit Video!

Das tragische Unglück von 2014 ist ein großes Thema für Landwirtschaft und Tourismus in Tirol. | Foto: Symbolfoto: Krabichler
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  • Das tragische Unglück von 2014 ist ein großes Thema für Landwirtschaft und Tourismus in Tirol.
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"Das kam für mich wirklich überraschend. Ich hatte auf einen besseren Ausgang gehofft", sagt der Neustifter Landwirt in einer ersten Reaktion gegenüber dem BEZIRKSBLATT. Reinhard Pfurtscheller kündigt Einspruch an.

NEUSTIFT (tk). Insbesondere, weil Sachverständigen-Gutachten eigentlich für ihn gesprochen hätten, fehlen Bauer Reinhard Pfurtscheller nach dem jüngsten Spruch des Innsbrucker Landesgerichts schier die Worte: "Damit habe ich echt nicht gerechnet", sagt er gegenüber dem BEZIRKSBLATT. Pfurtscheller soll den Hinterbliebenen der bei einer Kuhattacke im Pinnistal 2014 tödlich verletzten Deutschen insgesamt rund 490.000 Euro zahlen. Dass er nun in derartigem Maße für den Vorfall haften solle, stößt nicht nur bei ihm auf Unverständnis.

Hechenberger: "Nichts ist mehr wie zuvor"

Der Schuldspruch für den Besitzer des Obersillerhofs ist auch für LK-Präsident Josef Hechenberger "überraschend und nicht nachvollziehbar". In einer eilig einberufenen Pressekonferenz am Freitag stellte er außer Zweifel, dass das Urteil seiner Ansicht nach "praxisfremd und nicht richtig sei". Bei Hechenberger steht das Telefon nicht mehr still: "Mich erreichen laufend Anrufe – die Angst und die Verunsicherung sind groß. Auch ich selbst habe heute schlecht geschlafen und mir Gedanken darüber gemacht, ob ich mein Vieh im Sommer überhaupt noch auf die Alm treiben soll."

Besondere Situation – besondere Maßnahmen

Seine und auch die Reaktionen etwa von LH Günther Platter und LHStv. Josef Geisler – mehr dazu weiter unten – stellen außer Frage, dass das Ganze jetzt ein weitreichendes Nachspiel haben wird. "Das Miteinander von Landwirtschaft und Tourismus wird so nicht nur auf eine harte Probe gestellt, es ist extrem gefährdet! Ab sofort ist nichts mehr wie es war", meinte Hechenberger und kündigte an, so rasch als möglich mit allen Beteiligten neue Regelungen diskutieren zu wollen. Wie die genau aussehen könnten, wollte er noch nicht definieren – von der gänzlichen Sperre von Almen bis hin zu einem Hundeverbot in Weidegebieten oder der Variante, die Kühe überhaupt zuhause zu lassen, ist Vieles denkbar. "Als Interessenvertreter werde ich es jedenfalls sicher nicht zulassen, dass Familien auf diese Art kaputt gemacht werden!", fand Hechenberger klare Worte.

"Bin mit den Nerven am Ende"

Für Pfurtscheller ist indessen bereits klar, dass er das Urteil beeinspruchen wird: "Die Sache wird sicher weitergehen, dann wird man sehen." Für den Landwirt ist das tragische Unglück natürlich in jeder Hinsicht eine große Belastung: "Ich mag schon gar nicht mehr auf die Alm fahren. Dauernd habe ich Angst, dass nochmal was passieren könnte. Andererseits kann ich ja nicht rund um die Uhr präsent sein und aufpassen. Ich sitze den ganzen Sommer über auf Nadeln – und im Herbst fällt mir immer ein Stein vom Herzen, wenn ich das Vieh wieder ins Tal holen kann. Aber damit muss ich jetzt eben leben."

Platter klar auf Seite der Bauern

"Bei aller Tragik – das Urteil ist für mich nicht nachvollziehbar. Sollten auch die weiteren Instanzen diese Rechtsmeinung bestätigen, dann wird das ohne Zweifel tiefgreifende Auswirkungen auf die Tiroler Landwirtschaft und auf die gesamte Freizeitnutzung unserer Tiroler Bergwelt haben – mit allen negativen Konsequenzen sowohl für Gäste als auch für alle Einheimischen", so LH Günther Platter in einem ersten Statement. Für ihn steht auch die in Tirol seit Jahrhunderten praktizierte Form der Almbewirtschaftung auf dem Spiel. "Als Landeshauptmann stelle ich mich in dieser Frage ganz klar und unmissverständlich auf die Seite der Tiroler Bauern und hoffe, dass die Berufung gegen dieses Gerichtsurteil Erfolg haben wird", schließt Platter.

Reaktion LHStv. Geisler: "Katastrophe!"

„Dieses Urteil ist eine Katastrophe für die Alm- und Weidewirtschaft in Tirol und hat verheerende Auswirkungen bereits für den heurigen Almsommer“, ist indessen Bauernbundobmann LHStv. Josef Geisler sicher und führt weiter aus: „Der althergebrachte Almbetrieb wird damit nicht nur in Frage gestellt, sondern existenziell gefährdet. Zu befürchten ist, dass in Zukunft auch die strafrechtliche Relevanz bei vergleichbaren Zwischenfällen neu beurteilt wird.“

"Wanderparadies Tirol gefährdet"

„Das Wanderparadies Tirol ist damit massiv gefährdet", fasst Geisler zusammen. "Als Obmann des Tiroler Bauernbundes fordere ich klare Signale in Richtung Alm- und Weidewirtschaft vom Tourismus, vom Alpenverein und von allen Nutznießern eines funktionierenden Almgebietes. Von Seiten des Gesetzgebers werden die nötigen gesetzlichen Maßnahmen zum Schutz der heimischen Almwirtschaft geprüft und in die Wege geleitet. Letztendlich geht es darum, ob die Almwirtschaft in Tirol überhaupt noch gewünscht ist.“Laut Geisler bleibt unterm Strich nur eine Möglichkeit: "Nachdem man den Bauern nicht empfehlen kann, ihre Rinder zuhause zu lassen, bleibt in letzter Konsequenz, die Wanderwege auf den Almen für Wanderer zu sperren."

Grüne: "Sehr tragisch"

Das hohe Strafmaß des Landesgerichtes Innsbruck zur tödlichen Kuhattacke im Pinnistal ist auch für den Landwirtschaftssprecher der Grünen, Georg Kaltschmid, so nicht hinnehmbar. „Es ist sehr tragisch, dass es zu dieser tödlichen Attacke gekommen ist und das ist für niemanden leicht. Die Schlussfolgerung kann aber nicht sein, dass Bauern ihre Kühe nicht mehr frei auf der Weide halten können bzw. sie ständig überwachen müssen. Die existenzgefährdende Strafe ist gegen jede Vernunft und Lebensrealität im alpinen Raum und gegen eine ökologische Landwirtschaft. Durch die Almwirtschaft pflegen unsere Bauern Gebiete, die ansonsten verwildern würden.“ Kaltschmid warnt vor den Folgen des Urteils und hofft ebenfalls auf eine Aufhebung durch das Höchstgericht.

Hörl ortet fatale Konsequenzen

Als "Urteil mit fatalen Konsequenzen weit für die gesamte alpine Landwirtschaft hinaus" bezeichnet auch Franz Hörl die gerichtliche Entscheidung. „Mit der Begründung, dass aufgrund eines ausgewiesenen Wanderweges eine Umzäunung notwendig gewesen wäre, wird die landwirtschaftliche Nutzung der Freizeitnutzung untergeordnet. Damit klammert das Gericht nicht nur den Wert der Bewirtschaftung unserer Almen, sondern auch die Anforderungen an die menschliche Eigenverantwortung aus. Schließlich wurde mit Hinweisschildern auf wichtige Verhaltensregeln hingewiesen“, so Hörl.

"Alles einzäunen ist unrealistisch"

Wenn das Signal nun dahingehe, sämtliche bewirtschaftete Almen einzäunen zu müssen, wäre dies ein massiver Eingriff in die bäuerliche Tätigkeit unter unrealistischen Vorstellungen. „Wie der Bauer vor Gericht bereits nachvollziehbar argumentiert hat, ist die Umzäunung weder baulich möglich, noch finanziell tragbar.“
Die eigentliche Konsequenz müsste nun sein, künftig keine Wanderwege in unmittelbarer Nähe zu mit Kuhherden bewirtschafteten Almen auszuweisen, erklärt Hörl. Damit steht zugleich die gesamte Wanderkultur Tirols am Spiel. „Mit der aufgrund des Urteils naheliegenden Konsequenz, dass sich Bauern künftig mit Betretungsverboten oder anderen Maßnahmen absichern müssen, wird diese massiv eingeschränkt“, verweist Hörl darauf, dass vom Urteil letztlich jeder Tiroler betroffen sein kann.

Abwerzger und Steiner: „Große Herausforderungen“

„Sollte das Urteil in den Instanzen halten, dann ist die Landespolitik und die Landwirtschaftskammer massiv gefordert“, erläutern Markus Abwerzger und der Zillertaler Bundesrat Christoph Steiner von der FPÖ das Urteil und verweisen zugleich darauf, dass die Almen ein wichtiger Bestandteil des Sommertourismus sind. „Eine Sperre der Almen für externe Personen wäre katastrophal, vor allem für die Hüttenwirte und den gesamten Sommer- und Zwischensaison-Tourismus im Bundesland Tirol“, ergänzt Steiner, der auch darauf verweist, dass gesperrte Weiden auch die einheimische Bevölkerung treffen würden. Der FPÖ-Chef fordert Rechtssicherheit in der Zukunft: „Diese Thematik sollte vom OGH letztinstanzlich entschieden werden, nur so kann es rechtliche Sicherheit geben, denn bei aller Tragik dieses Unglücks, die Folgen – sollte das erstinstanzliche Urteil halten – wären nicht abzuschätzen.“

NEOS fordern "echte Lösungen"

„Die bisherigen Kommentare der Politik zu dem am Donnerstag bekannt gewordenen Urteil zur tödlichen Attacke einer Rinderherde im Sommer 2014 wollen offensichtlich von eigenen Versäumnissen ablenken“, schießt NEOS Rechtsexperte und EU-Spitzenkandidat Johannes Margreiter, wenige Tage später nach. Er sieht nun vor allem LH Günther Platter und die Tourismusverbände in der Pflicht: "Statt Panikmache braucht es aber echte Lösungen!", so Margreiter.
„Das Urteil ist äußerst sorgfältig begründet und Ergebnis der geltenden Rechtslage, wonach einen Tierhalter bestimmte Verpflichtungen treffen, um Personenschäden durch mangelhafte Tierhaltung zu vermeiden“, so Margreiter in Bezug auf das Urteil. Er weist auch darauf hin, dass es sich bei diesem Urteil um ein Einzelfallurteil handle und die jetzt stattfindende Panikmache fehl am Platz sei. „Aus diesem einen Urteil kann nicht gleich das Ende der Almwirtschaft abgeleitet werden. Viel wichtiger ist es, jetzt die richtigen Maßnahmen zu ergreifen“, meint Margreiter.

"Platter als Tourismusreferent gefordert"

Vor allem LH Günther Platter, als für den Tourismus zuständiges Regierungsmitglied, sowie die Tourismusverbände, sieht Margreiter in der Pflicht: „Der zuständige TVB hätte bereits früher mit dem Bauern das Einvernehmen herstellen müssen, damit sowohl eine gefahrlose Benützung der Wanderwege und eine ordnungsgemäße Beweidung der Almen gleichzeitig möglich sind. Genau das ist dann nach dem tödlichen Zwischenfall auf der Pinnisalm auch passiert.“ Dies zeigt, wie wichtig es wäre, dass die TVBs vom Tourismusreferenten Platter dazu angehalten werden, gemeinsam mit der Landwirtschaftskammer ein Einvernehmen herzustellen, damit problematische Stellen mittels eines Zaunes entschärft werden können. „Die TVBs verfügen durch die Zwangsbeiträge über ausreichend Mittel, um die Bauern bei der touristischen Nutzung der Almen zu unterstützen“, meint Margreiter. Denkbar wäre auch, dass die betroffenen Tourismusverbände die notwendigen Haftpflichtversicherungen der Almbetreiber übernehmen.
Weiterführende Links
Kuhfrei Wandern im Stubai-Wipptal
www.meinbezirk.at

Das tragische Unglück von 2014 ist ein großes Thema für Landwirtschaft und Tourismus in Tirol. | Foto: Symbolfoto: Krabichler
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