Der Gefangene von Theresienstadt

- Gregor Mayer: Verschwörung in Sarajevo. Triumph und Tod des Attentäters Gavrilo Princip
Residenz Verlag, 160 Seiten - hochgeladen von martin krusche
Ganz egal, welcher Aspekt des Großen Krieges Sie gerade interessiert, es lohnt auf jeden Fall, eine düstere Schlüsselfigur in unseren Legenden rund um den Ersten Weltkrieg etwas kennenzulernen, den Österreicher und ethnischen Serben Gavrilo Princip.
Princip ist in unseren nationalen Narrativen prominent aufgestellt. Sein schmächtiger Leib mußte einen breiten Schatten werfen, in dessen Dunkel wir so allerhand Inkompetenz unserer alten Eliten verbergen konnten.
Wie man es auch dreht und wendet, die Habsburger und ihre Gefolgsleute erwiesen sich als eine einzige Katastrophe in dieser großen Katastrophe des 20. Jahrhunderts.
Publizist Gregor Mayer, mit der Region gut vertraut und auf dem Balkan seit Jahren sprach- wie sachkundig unterwegs, bietet in seinem schlanken Buch über Gavro Princip und dessen Milieu einen ganz unaufgeregten Blick auf diese aufregende Ära. Was mag einen Buben, der die Welt nur aus Büchern kannte, bewegt haben, sein kurzes Leben einzusetzen, um ein Imperium herauszufordern und dabei den sicheren Tod in Kauf zu nehmen?
Das Schicksal hatte den Gymnasiasten zu einem guten Pistolenschützen gemacht. Doch es bedurfte erst des brennenden Ehrgeizes von österreichischen Amtsträgern und erheblicher Inkompetenz etlicher Untergebener, um Franz Ferdinand und seine Frau Sophie vor die Waffe ihres Mörders zu bringen. Der hatte am „Vidovdan“ von 1914 eigentlich schon aufgesteckt, als ein gravierender Fehler des Fahrers doch eine Chance zu den tödlichen Schüssen schuf.
Dieser Teil der Geschichte ist hinlänglich bekannt. Mayer interessierte sich nun für die familiären Hintergründe des Attentäters, für prägende Momente im kurzen Leben Princips, für seine Motive.
Dadurch wird nicht bloß der Bursche selbst greifbarer. Mayer arbeitet eine deutliche Skizze jener enormen Kräftespiele heraus, in denen sich mehrere Dynastien auf europäischem Boden dem spürbaren Ende der Feudalzeit entgegenstemmten.
Als erstes mußten sich die Osmanen zurückziehen. In diesen Balkankrieg, von dem Leo Trotzki schockierende Berichte geliefert hat, wollte Princip ziehen, war aber als zu schwächlich zurückgewiesen worden. Dann fielen die Romanows, schließlich Habsburger und Hohenzollern von den Bühnen der Weltgeschichte.
Wie konnte der Sproß einer Familie slawischer Wehrbauern so in den Fokus dieser Ereignisse kommen?
Das Heraufdämmern moderner Nationalstaaten und das Ringen von Ethnien um kulturelle und politische Selbstbestimmung hatten Kaiser Franz Josef und seine Gefolgschaft mehr als nur überfordert. Die alten Eliten, längst am Ende ihrer Visionen und Kräfte, gingen mit dem Berliner Kongress (1878) daran, Europa neu unter sich aufzuteilen.
Mayer zeigt uns, wie der Teenager Princip sich an der Besatzungsmacht reibt, wie er mit seinen Freunden revolutionäres Gedankengut debattiert, während er mit Leidenschaft und Wißbegier Bücher verschlingt. Gavro träumt sich ein geeintes serbisches Volk, an das sich die Habsburger nicht mehr herantrauen würden.
Man ahnt, daß er in diesem Alter mit den Fragen nach der eigenen Identität befaßt gewesen sein mag, mit den Lasten der bescheidenen sozialen Herkunft und mit allem, was ein Pubertierender sonst noch in das aufkeimende Erwachsenenalter hineinschleppt.
Das war ein Aufwachsen vor dem Hintergrund der über Generationen gehabten Erfahrungen osmanischer Herrschaft, welche von den südslawischen Leuten als Fremdherrschaft empfunden wurde. Diese Fremdherrschaft löste das Haus Habsburg in Bosnien-Herzegowina mit einem unerbittlichen Kolonialisierungsschritt ab, welcher von großer Abschätzigkeit getragen war, wie man etwa in den Schriften des Ritter von Neupauer nachlesen kann.
Mayer sucht mit dem Buch die Intentionen Princips nachvollziehbar zu machen. Durch Gerichtsprotokolle und Aufzeichnungen von Gesprächen, die der Neurologe Martin Pappenheim mit dem Attentäter in Theresienstadt geführt hatte, sind detaillierte Aussagen Princips überliefert.
Mayer stellt die exponierte Person in die regionalen und politischen Zusammenhänge ihrer Zeit, zeigt einige der Relationen auf, in die der Bursche hineingegangen war.
Das Imperium ließ ihn dafür bitter büßen. Er mußte ein Jahr der Isolationshaft angekettet ertragen, wurde so knapp gehalten, daß er den Rest seines kurzen Lebens Hunger litt, während sein Körper von der Kälte und Feuchtigkeit der Zelle sowie von Knochentuberkulose zerfressen wurde. Princip verrottete in Einsamkeit, seinen seelischen und körperlichen Schmerzen weitgehend ungelindert ausgesetzt.
Mayer ermöglicht so auch einen Blick hinter unsere Klischees von muskulösen Helden, die sich mit großen Gesten in das Rad der Geschichte werfen. Es wurde bezüglich des Gefangenen in der Festung Theresienstadt oft gefragt: „Mörder oder Freiheitskämpfer“. Wieso „oder“?
Unsere selbstgewählten Regeln verbieten Mord. Unsere Kultur ermöglicht es, die Motive eines Mörders zu erforschen. Das Buch von Mayer regt nicht nur an, unsere Geschichtskenntnisse etwas zu verfeinern, es ist eigentlich auch ein Appell, für sich selbst zu klären, was man in menschlicher Gemeinschaft als politisches Wesen sein mag.
Gregor Mayer: Verschwörung in Sarajevo. Triumph und Tod des Attentäters Gavrilo Princip, Residenz Verlag, 160 Seiten


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