Juli übertraf Weihnachten
Bei der Telefonseelsorge Wien laufen die Hörer heiß
Sorgenloser Sommer? Fehlanzeige, wenn es nach den Zahlen der Telefonseelsorge Wien geht. Denn die haben derzeit alle Hände voll zu tun. Allein im Juli verzeichnete sie rund 4.200 Gespräche – mehr noch als zu Weihnachten. Das hat einen ganz banalen Grund.
WIEN. Rund um die Uhr ist die Wiener Telefonseelsorge verfügbar, um Menschen mit Sorgenfalten ein offenes Ohr zu leihen, und das jahrein, jahraus. Mal sind es mehr, mal weniger. In der aktuellen Sommerzeit würde man eher meinen, dass weniger zu tun ist – falsch.
Wie die Telefonseelsorge Wien bekannt gab, laufen ihre Hörer derzeit heiß. Alleine im Monat Juli wurden rund 4.200 Gespräche gezählt. Damit liegen die Anruferzahlen im vergangenen Monat sogar vor jenen von Weihnachten im Dezember 2022, zu der traditionell viele Menschen die Nummer 142 anrufen.
Viele Ansprechpersonen auf Urlaub
Antonia Keßelring, Leiterin der Telefonseelsorge Wien, weiß, warum. "Sorgen fahren nicht auf Urlaub. Im Sommer fehlen unseren Anrufern die gewohnten Ansprechpartner für ihre Probleme und Ängste. Viele Entlastungsangebote wie Psychotherapeuten, Ärzte oder Selbsthilfegruppen machen Sommerpause. Oft wird auf die Telefonseelsorge verwiesen, um diese Zeit zu überbrücken. So haben wir jetzt eine Hoch-Zeit", erklärt sie.
Genauso wie in der dunklen Jahreszeit ist Einsamkeit der häufigste Grund, warum Menschen sich für einen Anruf bei der Telefonseelsorge entscheiden. "Unsere Anrufer machen keinen Urlaub, sie haben oftmals kein Budget dafür. Ihr Umfeld wie Freunde und Nachbarn jedoch schon. Jene, die sich keinen Urlaub leisten können, fühlen sich zurückgeblieben und alleine. Und wenn man einsam ist, wachsen Sorgen und Ängste", so Keßelring.
Hitze erschöpft nicht nur körperlich
Auch die heißen Temperaturen tragen ihren Teil dazu bei. So führe die Hitze nicht nur zur körperlichen, sondern bei manchen Anrufern auch zur psychischen Erschöpfung. Ebenso treten Beziehungsprobleme und Konflikte im Urlaub häufiger auf, da Partner bzw. Familienmitglieder für längere Zeit zusammen sind: "Der Urlaub ist eine Zäsur. Die Leute kommen aus dem Hamsterrad des Alltags heraus, verdrängte Probleme kommen ans Tageslicht".
Um jenen Menschen auf der anderen Leitung zu helfen, sei es deshalb wichtig einen "Wohlfühlraum" zu eröffnen: „Wir hören aufmerksam zu und versuchen, uns in das Leben und die Sorgen der Anrufer einzufühlen. Wir bauen Kontakt auf, denn Kontakt hilft gegen Einsamkeit“, erklärt Keßelring die Grundhaltung der Telefonseelsorge.
Dann wird gemeinsam mit den Anrufern nach Entlastungsstrategien gesucht. Das kann eine kleine Freude im Alltag sein, alternative Freizeitangebote, die nichts kosten, oder Bewegungsaktivitäten, die zur Entspannung beitragen. Bei besonders schwierigen Situationen und bei Bedarf weisen die Seelsorger auf weiterführende professionelle Hilfsangebote hin.
Verstärkung gesucht
Aktuell arbeiten über 170 Seelsorgerinnen und Seelsorger ehrenamtlich bei der Telefonseelsorge Wien und sind mit einer fundierten Ausbildung speziell für den Dienst am Notruf-Telefon geschult. Trotzdem suche man weiter nach Verstärkung. Gesucht werden Ehrenamtliche, die offen für Menschen und ihre Sorgen sind, ihnen zuhören und weiterhelfen wollen. Infos zu den Voraussetzungen der Mitarbeit und der Ausbildung findest du hier: www.erzdioezese-wien.at/telefonseelsorge
Die Telefonseelsorge, ein Angebot der Katholischen und Evangelischen Kirche in Österreich, ist österreichweit kostenlos unter der Notrufnummer 142 rund um die Uhr sowie per Mail- oder Chatberatung (16-23 Uhr) erreichbar.
Mehr dazu findest du unter: www.telefonseelsorge.at
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