Lena Schilling
Von der Aktivistin zur EU-Spitzenkandidatin der Grünen
Nur noch wenige Tage, dann stellt sich die 23-jährige Lena Schilling dem grünen Bundeskongress. Erhält sie breite Zustimmung, wird sie offiziell Spitzenkandidatin der Grünen bei der kommenden EU-Wahl. Warum die bekannte Klimaaktivistin Politikerin werden will, weshalb weitere Proteste gegen den Lobautunnel nicht ausgeschlossen sind und warum der Begriff "Klimaterroristen" fatal ist.
WIEN. Mit mehr als 9.600 Hektar ist der Nationalpark Donau-Auen einer der letzten intakten Auen Europas. Die Lobau, jener Teil des Nationalparks, der zu Wien gehört, nimmt dabei etwa 2.300 Hektar ein. Während der Corona-Pandemie zählte die Lobau bis zu 30.000 Besuchende täglich. Hier leben Wildschweine und Rehe ebenso wie Seeadler, rund 20 verschiedene Orchideenarten gibt es zu bestaunen.
Seit Jahren herrscht ein erbitterter Streit um die Lobau: Auf der einen Seite die Stadt Wien und das Land Niederösterreich, die Teile der Lobau untertunneln möchten, um den letzten Abschnitt des Autobahnrings rund um die Hauptstadt zu schließen. Daran gekoppelt ist auch die in Bau befindliche Stadtstraße, die die Seestadt Aspern mit der Tangente (A23) verbinden soll. Auf der anderen Seite das derzeit von den Grünen geführte Verkehrsressort unter Bundesministerin Leonore Gewessler, die das geplante Projekt (vorerst) gestoppt hat, sowie zahlreiche Klimaschützerinnen und Klimaschützer.
Von der Aktivistin zur Politikerin
Die „LobauBleibt“-Bewegung wuchs während der Pandemie rasant an - inklusive mehrerer Protestcamps, die teilweise von der Polizei geräumt wurden. Das bekannteste Gesicht der Bewegung ist Lena Schilling. Die 23-Jährige lebt seit mehr als zehn Jahren vegetarisch, ist Gründerin des Wiener Jugendrats und seit Kurzem designierte Spitzenkandidatin der Grünen für die kommende EU-Wahl. Wie wird man von der Klimaaktivistin zur Politikerin? Welche Ziele hat die junge Frau, deren politische Mitbewerber allesamt Männer und deutlich älter sind? Warum Brüssel und nicht Wien? Darüber und noch mehr haben wir mit ihr gesprochen.
Wir treffen Schilling in der Lobau. Zu einer „politischen Wanderung“, wie es auf Einladung der Wiener Landesorganisation heißt. Schilling befindet sich derzeit auf parteiinterner Wahlkampftour. Auch wenn mit Konkurrenz nicht zu rechnen ist, muss die 23-Jährige beim Bundeskongress der Grünen am 24. Februar erst zur Spitzenkandidatin gewählt werden.
Parteimitglied ist Schilling nicht und hat es auch künftig nicht vor, wie sie sagt. Sie sei in erster Linie Aktivistin, nicht Politikerin. Doch mit Brüssel gäbe es für sie die Chance, dorthin zu gehen, wo die Entscheidungen gefällt werden. „Im Moment werden fast 80 Prozent der Gesetze auf EU-Ebene gemacht, die dann bei uns beschlossen werden“, sagt sie zu ihren Beweggründen. Der Kampf gegen den Klimawandel sei die größte und wichtigste Aufgabe unserer Zeit, diesem Kampf habe sie sich verschrieben.
Für das Klima, gegen Rechts
Auf dem Spaziergang wirkt Schilling gelöst, macht Selfies mit der Wiener Landespartei-Doppelspitze Judith Pühringer und Peter Kraus. Plaudert hier, posiert da für den Fotografen. Sie lacht viel und antwortet schnell. Spricht man sie auf Inhalte an, wird sie ernst, das junge, unbekümmerte Lachen verschwindet. Neben der Rettung des Planeten will sie dem Rechtsruck in Europa entgegentreten. „Entschieden“, wie sie unterstreicht.
„Ich stehe für ein sozialgerechtes, feministisches Europa und ganz klar gegen rechts“, so die 23-Jährige. Unterlegen fühle sie sich ihren männlichen Mitstreitern, die jahrelange Erfahrung am politischen Parkett haben, nicht. Und einschüchtern lasse sie sich davon erst recht nicht. „Ich glaube, dass genauso junge Frauen in die Politik gehen können, wie alte Männer.“ Sie wisse, was sie wolle und dafür setze sie sich ein. Ihr gehe es um Inhalte, nicht um persönlichen Hickhack. „Ich bin nicht so der Typ, der Menschen etwas über die Medien ausrichtet.“
"Politik aus dem letzten Jahrtausend"
Einer ihrer Beweggründe in die Politik zu gehen, sei die Absage des Lobautunnels durch Bundesministerin Gewessler gewesen. Wie lange dieses Veto aufrechterhalten werden kann, wird sich wohl nach der Nationalratswahl - die voraussichtlich im Herbst sein wird - zeigen. Verlieren die Grünen das Ressort, steht dem Projekt wohl nichts mehr im Weg.
Dann wird es wieder Proteste geben, ist Schilling überzeugt. Ob sie vor Ort erneut in ihre Rolle als Aktivistin schlüpfen wird, lässt sie offen. Gegen die Untertunnelung des Nationalparks sowie der Stadtstraße sei sei aber nach wie vor vehement. „Das ist Politik aus dem letzten Jahrtausend. Es schafft für niemanden eine bessere Lebensrealität, sondern für die allermeisten Menschen mehr Belastung“, ist Schilling überzeugt. Statt an den Plänen festzuhalten, müsse man die Stadt so konzipieren, dass man kein Auto braucht. „Wir müssen Querverbindungen verbessern und die Öffis ausbauen“, sagt sie.
Dass manch einer Klimaaktivisten als Terroristen bezeichnet, sei „fatal“. Man habe in anderen Fällen gesehen, was Terror wirklich bedeutet. Menschen, die auf die Straße gehen und sich für etwas einsetzen, als Terroristen zu bezeichnen, würde alles andere verharmlosen, so die Wienerin.
Schilling "hoffnungsvolles Zeichen"
Schilling ist eloquent und kann ihre Standpunkte untermauern. Das sehen auch Judith Pühringer und Peter Kraus so, deren Unterstützung Schilling hat. "Sie ist ein fantastisches, hoffnungsvolles Zeichen“, so Pühringer. Die EU sei oft „weit weg“, Schilling aber sei nahbar und schaffe es, die EU einfach zu erklären und den Menschen näherzubringen.
Dass das „Naturjuwel Lobau“ erhalten bleibe, sei etwas, dass die junge Aktivistin und die Grünen Wien gemeinsam haben, ergänzt Kraus. Das Bewundernswerte an der 23-Jährigen sei nicht nur ihr Einsatz für den Klimaschutz als Aktivistin, sondern auch ihr Mut, jetzt dahingehen zu wollen, wo die politischen Entscheidungen getroffen werden. Ob Schilling es tatsächlich nach Brüssel schafft, wird sich an der Wahlurne entscheiden - eine laute Stimme hat sie aber allemal.
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