Psychologie / Queer und Gender
Warum treten manche schwule Männer betont effeminiert auf?
Warum treten manche schwule Männer betont effeminiert auf und spielen ein Klischee?
Diese Frage stellen mir immer wieder Schüler*innen in Schulklassen.
Eine mögliche Antwort ist, dass manche Männer und manche Frauen einfach das Bedürfnis haben, „weiblicher“ bzw. „männlicher“ aufzutreten. In diesem Fall entspricht das Verhalten einem ureigenen inneren Bedürfnis und stellt einen authentischen Ausdruck innerer und äußerer Freiheit dar.
Ich bin jedoch auch auf ein wertvolles Zitat des Psychotherapeuten Udo Rauchfleisch gestoßen. Dieser schreibt:
„Das zweite - zumeist nur mehr oder weniger bewusste – Motiv hinter dem effeminierten Verhalten könnte man folgendermaßen umschreiben: »Wenn meine Umgebung mich schon nicht als „richtigen“ (nämlich heterosexuellen) Mann wahrnimmt und akzeptiert, will ich das durch ein provokativ „weibliches“ Verhalten bestätigen.« Es ist quasi eine Flucht nach vorne, ähnlich wie ja auch der Begriff »schwul« ursprünglich ein Schimpfwort war und von der homosexuellen Emanzipationsbewegung dann als Ausdruck einer trotzigen Dennoch-Identität verwendet wurde“
(Udo Rauchfleisch: Mein Kind liebt anders. Ein Ratgeber für Eltern homosexueller Kinder, Ostfildern 2012, S. 27f.)
In diesem Fall ist das affektierte Verhalten nicht authentisch, sondern psychodynamisch und stellt eine Coping-Strategie dar. Das Verhalten wirkt dann unecht, nervig, hysterisiert und gespielt. In der Psychotherapie spricht man dann von einem Fassadenselbst bzw. auch einem falschen Selbst. Ich lege Gefühle und Verhaltensweisen an den Tag, die mir nicht entsprechen und in meinem tiefsten Innersten nicht für mich stimmen.
Der soziale Druck von Etikettierungen und Rollenzuschreibungen kann so groß werden, dass die betroffenen Männer dann tatsächlich unhinterfragt eine klischeehaft-weibliche Rolle übernehmen und viele Jahre lang ein falsches Selbst leben, d.h. ein Leben führen, in dem sie ihre tatsächlichen Bedürfnisse nicht leben. Mitunter ist die Identifizierung mit diesen Rollenzuschreibungen so stark, dass die betroffenen Menschen ihre authentischen Bedürfnisse und ihre wahre Identität gar nicht mehr spüren und diese abspalten. Depressionen, Angststörungen aber auch die Flucht in Ersatzbefriedigungen (Drogen, Alkohol, Sexsucht) können die Folgen sein.
Übrigens: Auch bei heterosexuellen Menschen gibt es dieses Phänomen, etwa wenn eine junge Frau unbewusst alles tut, um sich wie eine sexistische, sexualisierte Klischeevorstellung zu stylen und dementsprechend aufzutreten und zu verhalten.
Autor: Florian Friedrich
Psychotherapeut in Ausbildung unter Supervision
(Logotherapie und Existenzanalyse)
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