Tierärztliche Versorgung in Gefahr
Eine große Lücke bei den Tierärzten tut sich auf

Rund 60.000 bis 70.000 Kilometer legen Walter Obritzhauser (im Bild) und seine Kollegin beruflich pro Jahr zurück; pro Tag erledigen sie 15 bis 17 Visiten. | Foto: KK
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Zwar gibt es in der Steiermark aktuell so viele Tierärzte wie noch nie, dennoch ist die tierärztliche Versorgung künftig in Gefahr, denn die Anzahl der selbständig Tätigen wird immer geringer – besonders die Versorgung außerhalb der üblichen Ordinationszeiten wird dadurch immer unsicherer.

BRUCK-MÜRZZUSCHLAG/STEIERMARK. Aktuell gibt es in der Steiermark (mit Stand 2022) laut Tierärztekammer Steiermark 434 Tierärztinnen und Tierärzte; diese Zahl hat sich in den letzten Jahren gut entwickelt, denn im Jahr 2013 waren es noch 409. Dennoch wird es in Zukunft ein Problem in der tierärztlichen Versorgung – vor allem was Nutztiere betrifft – geben, denn die Anzahl der selbständig Tätigen wird tendenziell geringer, während die Anzahl der unselbständig Tätigen stark steigt. Die Versorgung außerhalb der üblichen Ordinationszeiten - insbesondere in der Nacht und an den Wochenenden – ist somit inGefahr; Versorgungslücken und Klagen von Tierhaltern, einen Tierarzt bzw. eine Tierärztin für einen Notfall erst nach langem Suchen bzw. überhaupt nicht zu finden, nehmen immer mehr zu.

Walter Obritzhauser ist Präsident der Steirischen Tierärztekammer. | Foto: Reisinger
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Aber warum ist das so? Walter Obritzhauser, Präsident der Steirischen Tierärztekammer, erklärt: "War früher noch der Großteil der Tierärzte selbständig tätig, kann man seit etwa Mitte der Nullerjahre eine gegensätzliche Entwicklung beobachten. Mittlerweile ist bereits jeder dritte Tierarzt unselbständig tätig. Einer der Gründe: Die bis dahin üblichen Werkverträge wurden umqualifiziert und damit obsolet. Die Begründung für diesen Schritt: Mit den Werkverträgen würden Dienstverträge umgangen

Kurz zum Verständnis: Im Rahmen von Dienstverträgen müssen gewisse Ruhezeiten eingehalten werden, die Kosten für zusätzliche Noteinsätze in der Nacht oder am Wochenende steigen massiv. Dazu kommt, dass wenn jemand in der Nacht im Einsatz war, er am nächsten normalen Arbeitstag nicht verfügbar ist, weil er wie gesagt Ruhezeiten einhalten muss. Man braucht also wesentlich mehr Angestellte als früher, um den Betrieb rund um die Uhr aufrecht erhalten zu können. Eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung ist für die meisten kleinen Praxen rechtskonform nicht machbar.

Dazu kommt: Gab es früher in der Steiermark noch zehn Tierkliniken mit einer 24 Stunden-Versorgung, hat sich diese Zahl auf mittlerweile drei reduziert. "Viele Betreiberinnen und Betreiber haben den Klinikstatus zurückgelegt, weil es finanziell und arbeitsrechtlich nicht mehr zu stemmen war. Dadurch haben wir in der Steiermark jetzt nur noch drei Tierkliniken", so Obritzhauer. "Es gibt zwar noch viele Praxen, die dennoch rund um die Uhr erreichbar sind, aber denen kann man natürlich keine Verpflichtung umhängen."

Gemeinsam mit einer Kollegin betreibt Walter Obritzhauser eine Tierarztpraxis in Parschlug/Kapfenberg.
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Schlechtere Rahmenbedingungen

Insgesamt hat sich die Situation für die Tierärztinnen und Tierärzte in den letzten Jahren nicht unbedingt verbessert, das liegt an drei konkreten Entwicklungen: "Die Rahmenbedingungen für die Tierärztinnen und Tierärzte haben sich in den letzten massiv verändert. Der Berufsstand hat sich beispielsweise stark diversifiziert. Gab es früher mit einem Tierarzt und einer Tierärztin noch eine Allgemeinversorgung für alle Tiere, hat gerade in den letzten Jahren eine deutliche Spezialisierung eingesetzt. Es gibt jetzt Spezifizierungen hin zu Kleintieren, Nutztieren und Pferden."

Der zweite Punkt: die demografische Entwicklung. "Das Geschlechterverhältnis verschiebt sich immer stärker hin zu Tierärztinnen, was standesintern zu einer größeren Nachfrage nach unselbständiger tierärztlicher Teilzeittätigkeit führt. Der Wunsch vieler Tierärztinnen und Tierärzte, Beruf, Familie und Freizeit in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen, ist ein weiterer Grund für die rückläufige Bereitschaft, außerhalb üblicher Arbeitszeiten, damit auch während der Nachtstunden und an Wochenenden und Feiertagen für tierärztliche Dienstleistungen zur Verfügung zu stehen", so Obritzhauer.

Drittens: die Strukturbereinigung in der Landwirtschaft. "Die Anzahl der Betriebe wurde in den letzten Jahren massiv reduziert, dafür sind jene, die es noch gibt, wesentlich größer als früher, die Betriebe werden also immer größer. Die Landwirtinnen und Landwirte haben selber immer mehr Fachwissen und können viele Probleme selber lösen. Das bedeutet, dass immer weniger Tierärztinnen und Tierärzte im Nutztierbereich nötig sind", erklärt Obritzhauser.

Was außerdem dazu kommt: Der Anspruch der Tierhalterinnen und Tierhalter ist massiv gestiegen, vor allem im Kleintierbereich. Jeder möchte die bestmögliche Versorgung, und das am besten rund um die Uhr. Das können aber nur Kliniken und wenigen Praxen bieten", so Obritzhauser weiter.

Die Praxis der beiden Tierärzte befindet sich in Parschlug/Kapfenberg. | Foto: Kern
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Pensionierungswelle steht bevor

Das ist aber noch nicht alles: in den nächsten zehn bis 15 Jahren steht außerdem eine große Pensionierungswelle bei den Tierärztinnen und Tierärzten bevor, vor allem bei den selbständig Tätigen ist der Altersdurchschnitt relativ hoch – die meisten Tierärztinnen und Tierärzte sind zwischen 51 und 65 Jahre alt.
Es muss also eine Lösung her, auch wenn dies noch so schwierig scheint. "Wichtig wäre, dass sich wirklich alle an einen Tisch setzen und daran arbeiten: Die Landwirtinnen und Landwirte, die Tierärztinnen und Tierärzte und auch die Gebietskörperschaften gemeinsam. Eine Bedarfserhebung zeigt schon jetzt, dass die Lücke zwischen dem was gebraucht wird und dem was zur Verfügung steht immer größer wird." Und: die Rahmenbedingungen gehörten schnellstens verbessert. Die Arbeitsbelastung ist laut Obritzhauser enorm, der Druck steigt und damit auch die psychischen Probleme unter den Tierärztinnen und Tierärzten. Ganz wesentlich wäre auch, für genug Kinderbetreuungseinrichtungen zu sorgen, damit die überwiegend weiblichen Tierärzte ihren Nachwuchs gut versorgt wissen.

Eine Überlegung von Obritzhauser wäre, das früher übliche System von Landes-Bezirkstierärzten wiedereinzuführen. "Andere Länder wie Norwegen, Schweden oder Finnland bieten nach wie vor solche Teilzeitbeschäftigungen für praktizierende Tierärztinnen und Tierärzte, das würde vor allem in strukturschwachen Gebieten Vorteile bringen. Damit wäre die Versorgung auch in Zukunft gewährleistet."

Zur Person

Walter Obritzhauser ist Präsident der Steirischen Tierärztekammer und selbst seit 1986 als Tierarzt tätig. Gemeinsam mit einer Kollegin betreibt er eine Tierarztpraxis in Parschlug/Kapfenberg mit weiteren zwei Angestellten.
Durchschnittlich erledigen Obritzhauser und seine Kollegin 15 bis 17 Visiten pro Tag und legen auf diese Weise rund 60.000 bis 70.000 Kilometer im Jahr zurück. Pro Visite müssen rund 20 Kilometer zurückgelegt werden. Obritzhauser ist 65 Jahre alt.

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