Im Gespräch mit Hans Seitinger
Der "Briefträger" will partout nicht zur Muppet-Show

Eine persönliche Bilanz zu 20 Jahre Landespolitik: Hans Seitinger erzählt über umgesetzte Schwerpunkte, vergisst aber auf die Rückschläge nicht. | Foto: Ekatarina Paller
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  • Eine persönliche Bilanz zu 20 Jahre Landespolitik: Hans Seitinger erzählt über umgesetzte Schwerpunkte, vergisst aber auf die Rückschläge nicht.
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In dieser kurzlebigen Zeit sei es dahingestellt, ob es je wieder einen Politiker bzw. Politikerin geben wird, den es zwei Jahrzehnte in einer Regierung hält. Der Obersteirer Johann "Hans" Seitinger hat es getan.

BRUCK-MÜRZZUSCHLAG. Der Frauenberger Hans Seitinger hat als aktuell längstdienender Landespoltiker – 20 Jahre als Agrarlandesrat – entscheidend auch die Entwicklung des Bezirks Bruck-Mürzzuschlag geprägt. In seinem Rückblick streicht er besonders die Kraft der Region heraus. Krankjammern lässt er nicht gelten.

Im September 2003 wurde er für viele überraschend ins Grazer Landhaus geholt. Im Oktober 2023 hat er – ebenso für viele überraschend seinen Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen vollzogen.

Die Bilanz 20 Jahre Landesrat haben wir uns unter anderen Vorzeichen vorgestellt. Wie aber fällt ihre persönliche Bilanz über 20 Jahre Landesregierung aus?
HANS SEITINGER: Ich bin der damaligen Landeshauptfrau Waltraud Klasnic immer noch dankbar, dass sie den Mut hatte, mich nach Graz zu holen. Gerade der Einstieg war eine Riesenherausforderung für mich. Als kleiner Bürgermeister war ich mit dem großen Amt zu Anfang doch sehr überfordert. In den 20 Jahren habe ich vier Landeshauptleute und sieben Kanzler "überstanden". 2003, ich war erst wenige Tage im Amt, gab es die große Dürre und mehr als 100 Bürgermeister waren bei mir, die kein Wasser mehr hatten. In Folge konnten wir dann das Wassernetzwerk Steiermark bauen – mit der Versorgung vom Hochschwab ausgehend bis in die Süd- und Südoststeiermark.

Hans Seitinger: "Die Region hat sich in den vergangenen dreißig Jahren vom Problemkind zum absoluten Musterbezirk gewandelt." | Foto: Ekatarina Paller
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Was folgte nach diesem ersten, großen Akt?
Die Holzwirtschaft ist ja meine persönliche Leidenschaft. Es ist gelungen, die Steiermark von einem klassischen Rundholzexporteur zu einem hochentwickelten Holzveredler zu machen, mit Vorzeigeprodukten im Holzbau und in verschiedensten Anwendungsgebieten. Mittlerweile beschäftigen wir 55.000 Menschen in dieser Sparte. Dritter Punkt ist die Ressourcensicherung für unsere Industrie, um von globalen Krisen nicht so abhängig zu sein. Mein Anspruch war es, von den tausenden Fertigprodukten und Rohstoffe, die wir importieren, wegzukommen und in Recycling, also der Wiederaufbereitung von Altstoffen zu investieren. Zuerst wurde ich als Fantast belächelt, jetzt freuen wir uns über einen funktionierenden Materialkreislauf. Als Agrarlandesrat darf ich von mir behaupten, dass wir stark auf die Kulinarik mit ihren regionalen Produkten gesetzt haben. Das beginnt bei den Bauern, geht weiter zu den Veredlern und endet bei der Vermarktung.

Was tut Ihnen weh, weil es nicht gelungen ist, bzw. was konnte nicht umgesetzt werden?
Weh tut mir, wenn ich beispielsweise nur an die Bezirkshauptstadt Bruck denke, wobei es kein steirisches Phänomen darstellt, dass wir geglaubt haben, dass wir, wenn wir unsere Einkaufs- und Businesszentren an die Stadtränder auf die grüne Wiese setzen, dadurch Arbeitsplätze sichern und mehr Wertschöpfung generieren. Passiert ist das Gegenteil. Die Städte wurden ausgehöhlt, die Innenstädte sind leer. Wir wollten eine Trendumkehr erreichen, zum Beispiel mit einer Innenstadtoffensive für den Wohnbau. Wir aber brauchen das Gewerbe in der Stadt, diese Herausforderung hat meine Nachfolgerin zu stemmen. Kleine, gute Beispiele zeigen uns, dass eine Trendwende möglich ist. Letztendlich bleiben auch nach 20 Jahren immer noch Dinge liegen, die man gerne fertig gemacht hätte. Eine perfekte Übergabe an die Nachfolger wird es nie geben, da wird es nie den richtigen Zeitpunkt dafür geben.

Was wir verloren haben, das ist die Zeit. Zeit, miteinander zu reden. | Foto: Ekatarina Paller

Was hat sich in 20 Jahren politischer Arbeit gravierend verändert?
Das Wort ist zu einem Instrument verkommen, das zum Teil nicht mehr zumutbar ist und oft sehr beleidigend ist. Man hat sich früher auch gematcht, aber die Sache und Inhalt standen stets im Vordergrund. Ja, es gab auch verbale Schwenker über die Parteigrenzen hinweg, aber es gab den Respekt untereinander, und die Freundschaft wurde dadurch nicht getrübt. Danach hat man sich auf ein Glaserl Bier oder Wein getroffen. Ich selbst habe versucht, meinem persönlichen Stil treu zu bleiben und respektvoll mit allen Vertretern verschiedensten Couleurs umzugehen. Erst dann kann man erwarten, dass dieser Respekt auch zurückkommt. Diese Wertschätzung habe ich auch bei meinem Rücktritt gespürt und das macht mich auf ein bisserl stolz.

Wenn wir zurückblicken auf den September 2003: Hat Sie die Anfrage aus Graz nicht wie ein Blitz getroffen? Und wie lange haben Sie damals für eine Entscheidung gebraucht?
In der Politik hat man nicht die Zeit, sich monatelang auf ein Amt vorzubereiten. Es kommt ein Anruf, wo dir mitgeteilt wird, was zu tun ist und dir bleiben vier Stunden Zeit zur Entscheidung. Man berät sich mit der Familie, führt unzählige Telefonate, um sich Ratschläge zu holen. Man beginnt ernsthaft an seinen eigenen Fähigkeiten zu zweifeln. "Kann ich das jemals schaffen?", so die unentwegte Frage. Letztendlich fügte ich mich dem Tenor "Hans, diese Chance kannst du dir nicht durch die Finger gleiten lassen." Ich habe zugesagt und habe diese Entscheidung nicht bereut, wobei es viele schwierige Stunden und Herausforderungen zu bewältigen gab. Ich danke da an die Unwetterkatastrophen, so manche ungerechtfertigten Angriffe – zumindest aus meiner Sicht. Dazugekommen ist, dass alles viel, viel hektischer geworden ist, die Medienwelt ist zu einer Sekundenwelt geworden. Über die sozialen Medien ist man sozusagen in jeder Phase des Lebens live geschaltet. Früher hat man eindeutig mehr Zeit gehabt. Dazu kommt der schwerverdauliche anonyme Widerhall. Aber generell: So wie im Leben gab es auch hier schöne und weniger schöne Momente. Das alles 20 Jahre auszuhalten ist doch eine Marathonleistung.

"Die Medien sind eine Sekundenwelt geworden. Das Handy gibt den Takt vor – mit allen Vor- und Nachteilen." | Foto: Ekatarina Paller
  • "Die Medien sind eine Sekundenwelt geworden. Das Handy gibt den Takt vor – mit allen Vor- und Nachteilen."
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In 20 Jahren Landesregierung und auch die Jahre zuvor haben sie den Bezirk und die Region entscheidend mitgeprägt. Wie positiv hat sich der Bezirk in den vergangenen Jahren entwickelt?
Ich bin wahrlich stolz auf die Leistungen der Menschen im Bezirk. Hervorgerufen durch die Krise der verstaatlichen Industrie hat sich die Region in 30 Jahren zu einem echten Zukunftsbezirk gewandelt. Dazu beigetragen hat natürlich die enorme Entwicklung der Industrie, mitgewachsen ist dadurch auch die notwendige Infrastruktur rundherum. Mit dem Semmeringtunnel wurde zudem ein großen Hoffnungszeichen gesetzt, das weitere Impulse ermöglicht hat. Wir haben hervorragende Ausbildungsstätten im Bezirk, gepaart mit einer außergewöhnlich hohen Lebensqualität. Aufbauend auf diese große positive Bewegung passieren milliardenschwere Investitionen, die uns internationale Aufmerksamkeit einbringt. Ich denke da an Pankl, Voestalpine, Mayr-Melnhof, AT&S, Knapp Logistics und habe bei weitem noch nicht alle genannt. Und ein bisschen durfte ich hier an so manchen Schräubchen drehen, zum Beispiel Hochwasserschutz- oder Infrastrukturmaßnahmen. Zudem war ich ja stets ein eifriger Briefträger in Richtung, Graz, Wien und Brüssel. Das sind Aufgaben im Hintergrund, die man nicht sieht und auch nicht verkauft.

Was fehlt der Region? Wir haben Industrie, hochbezahlte Arbeitsplätze, beste Ausbildungsstätten, eine intakte Natur- und Landwirtschaftszone. Warum sind wir immer noch eine Abwanderungsregion?

Die Abwanderung ist auch auf die demografische Entwicklung zurückzuführen. Faktum ist, dass wir ein alternder Bezirk sind, Jugend ist nicht in dem Ausmaß nachgekommen, wie es notwendig wäre. Unumstritten brauchen wir eine gezielte und geordnete Zuwanderung. Es wäre Zeit für eine "Rückholaktion". Menschen, die abgewandert sind, wieder in die Region zu holen. Gerade weil sich in den vergangenen Jahren so vieles zum Positiven gewendet hat. Zurück zu den Abwanderungsdaten: Sich rein auf statistisches Material zu verlassen, greift zu kurz. Man muss dieses Zahlenwerk auch richtig interpretieren können.

Eine fast so nüchterne Gesprächslandschaft, wie bei den ORF-Sommergesprächen: Hans Seitinger in der MeinBezirk-Redaktion in Bruck. | Foto: Ekatarina Paller
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Zur ÖVP-Bezirkspartei. Mittlerweile gibt es acht ÖVP-Bürgermeister von insgesamt 19 Gemeinden. Die ÖVP ist zu einer beachtlichen Größe in einer einst roten Hochburg gewachsen. Eine Entwicklung, die sie zufrieden macht?
Ja, sicherlich. Wir waren und sind fleißig in der politischen Arbeit und wir haben gute Leute. Eine Bürgermeisterwahl hat stets eine Besonderheit: Da wird die Persönlichkeit gewählt, die Partei steht nicht so sehr im Vordergrund. Aber generell ist die ÖVP im Bezirk zu einer beachtlichen Größe angewachsen. Auch im Bezirk bin ich meinem Stil treu geblieben, große Dinge gemeinsam über Parteigrenzen hinweg anzugehen. Auch hier durfte ich manchmal Briefträger nach Graz spielen, um die Sorgen und Anliegen der Bürgermeister zu transportieren.

Weichenstellung innerhalb der Bezirks-Partei: Was wird sich ändern?
In einer Bezirksparteivorstandssitzung habe ich meine Funktion zur Verfügung gestellt. Zu Beginn des Jahres wird es einen Parteitag geben, wo die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Ich muss mich in nächster Zeit aus allem Stress heraushalten, das hat mir der Arzt dringend angeraten. Vielleicht bleibe ich ein kleiner, mitdenkender Geist in der ÖVP – sofern man mich will. Auch bei der Feuerwehr will ich mich weiterhin engagieren.

Abgang von der politischen Bühne. "Wenn man mich will, dann bleibe ich ein kleiner, mitdenkender Geist." | Foto: Ekatarina Paller
  • Abgang von der politischen Bühne. "Wenn man mich will, dann bleibe ich ein kleiner, mitdenkender Geist."
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Einen Ratschlag an Ihre Nachfolgerin im Agrarressort?
Ich werde sicherlich nicht zu Waldorf und Statler von den Muppets werden, die aus der Obersteiermark vom Balkon herunter maulen und Ratschläge geben, wie man es besser machen könnte, im Wissen, dass ich es selbst auch besser hätte erledigen können. Ein Ratschlag sei erlaubt: Tu das Beste für Dein Land und die Menschen – vergiss aber dabei auf Deine eigene Gesundheit nicht.

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