Reserve-Astronautin
Kärntnerin Carmen Possnig will auf den Mars fliegen

- Carmen Possnig verbrachte ein Jahr auf der Südpolstation Concordia - in ihrer Schneebrille spiegelt sich die Station wider.
- Foto: PNRA&IPEV/Marco Buttu
- hochgeladen von Mag. Maria Jelenko-Benedikt
Die Klagenfurterin Carmen Possnig ist Reserveastronautin für die Europäische Weltraumorganisation (ESA). Im Gespräch mit MeinBezirk spricht die 35-Jährige über ihre Träume, ihre Erfahrungen, und was sie Frauen für ihren Karriereweg empfiehlt.
ÖSTERREICH. Als eine von über 22.500 Bewerberinnen und Bewerbern stellte sich die Kärntner Medizinerin Carmen Possnig dem Auswahlprozess für die neue Generation der ESA-Astronautinnen und Astronauten. 18 Monate später wurde sie als Mitglied in die ESA-Astronautenreserve aufgenommen. Derzeit arbeitet sie an der Uni Innsbruck, wo sie ihr Doktorat in Weltraummedizin macht, und wartet auf ihr erstes Training im All.
MeinBezirk: Frau Possnig, Sie haben sich 2022 gegen 22.500 Bewerberinnen und Bewerber durchgesetzt und sind jetzt als Mitglied des Astronautencorps Reserveastronautin. Wohin soll es dann gehen, wenn Sie einberufen werden?
Carmen Possnig: Im Moment geht es für alle ESA-Astronaut:innen auf die internationale Raumstation, also die ISS, die seit 24 Jahren ein Kollaborationsprojekt zwischen NASA, also USA, ESA, also Europa, und dann noch Kanada, Japan und Russland, ist. Diese Zusammenarbeit wird es hoffentlich auch noch länger geben.
Sie haben kürzlich auf einer Bühne anklingen lassen, dass das Ziel dieser Kollaboration ist, in 20 Jahren auf den Mars zu fliegen. Können Sie sich vorstellen, dass Sie da auch dabei sind?
Wenn ich träumen darf, auf jeden Fall. Ich finde, der Mars ist ein wahnsinnig spannendes Ziel. Der erste Schritt ist aber, dass wir zum Mond zurückfliegen, um am Mond zu lernen, wie wir weitergehen können, tiefer ins Sonnensystem hinein. Weil man am Mond dadurch, dass er relativ nahe ist, auch noch Fehler machen kann – man die Astronaut:innen relativ rasch zurückholen. Das ist der Ort, an dem wir proben können, um zum Mars zu gelangen. Ich würde auf jeden Fall gerne mitfliegen, aber die 20 Jahre brauchen wir noch, um genug Forschungen zu machen, um sicherzustellen, dass die Astronaut:innen gesund und sicher zurückkommen.
Das heißt, auf dem Mars darf man sich dann keine Fehler erlauben?
Naja, man muss mit allen Fehlern zurechtkommen können.
Wie wird man überhaupt Astronautin?
Dorthin gibt es eigentlich keinen geraden Weg. Für das letzte Auswahlverfahren der ESA war die Grundvoraussetzungen relativ einfach: ein Masterabschluss, möglichst in einem naturwissenschaftlichen Studium, und dann ein paar Jahre Arbeitserfahrung. Wobei man sagen muss, es ist nicht so wichtig, was man studiert oder was man lernt, sondern, dass man etwas macht, was einem wirklich liegt, was einem wirklich Spaß macht, wo die eigene Leidenschaft oder die Talente liegen, weil man es dann auch besser machen wird. Und dann ist es natürlich wichtig, verschiedenste Erfahrungen zu sammeln. Bei mir war das zum Beispiel der Forschungsaufenthalt in der Antarktis, oder dass ich gerne bergsteigen gehe. Einfach Dinge tun, die einen selbst ein bisschen herausfordern, wo man ausprobieren kann: Ist dieser Astronautenberuf überhaupt etwas für mich, weil man ja doch unter Umständen monatelang in einer kleinen Kapsel mit anderen Leuten eingesperrt ist. Da muss man auch sehr kommunikativ sein. Man muss gut mit Stress umgehen können, unter Druck gut arbeiten können. Man muss damit leben, dass es manchmal unbequem wird.
Braucht es da auch medizinische Tests?
Ja, natürlich. Wir hatten in diesem Auswahlverfahren eine Woche lang nur medizinische Tests, wo wirklich alles durchgecheckt wurde. Einerseits um sicherzustellen, dass wir so gesund wie möglich sind, und nicht riskieren müssen, eine Weltraum typische Erkrankung zu bekommen, weil das doch für den Körper ein riesiger Stress ist, wenn man die Schwerkraft wegnimmt.
Wie schwer ist es tatsächlich, sich als Frau in dem Beruf gegen Männer durchzusetzen?
Bei dem Bewerbungsverfahren glaube ich nicht, dass das ein großer Faktor war, welches Geschlecht wir haben. Da ging es primär um den Charakter, also die Persönlichkeit, also um die Frage, ob die Person zu dem Beruf passt, ob das jemand ist, der diese extremen Umgebungen gut aushalten kann oder nicht. Es geht natürlich auch um die Qualifikation, also was ist der berufliche Hintergrund, ist dieser Person bereit, wirklich sehr viel Zeit in weitere Jahre des Trainings zu investieren.
Gab es schon vorher Astronautinnen?
Drei europäische Astronautinnen sind bereits geflogen. Die erste europäische Frau, das war eine Britin, Helen Sharman. Die erste ESA-Astronautin war eine Französin, Claudie Haigneré. Und derzeit aktiv ist Samantha Cristoforetti – eine Italienerin. Sie wurde beim letzten Auswahlverfahren 2008 ausgewählt und zwölf Jahre lang die einzige weibliche, europäische, aktive Astronautin. Damals habe ich gerade zu studieren begonnen. Da habe ich aktiv nachgeschaut, und mich gefreut, dass eine Frau dabei war. Andererseits war ich enttäuscht, dass nur eine einzige Frau dabei war. Da war ein Zwiespalt zwischen Freude und Enttäuschung. Bei der aktuellen Auswahl wurden schon zur Hälfte weibliche Frauen ausgewählt. Ich denke, das ist schon ein sehr effektives Vorbild für junge Mädchen.
War es immer schon Ihr Traum, Astronautin zu werden, oder hat sich das einfach ergeben?
Das war ein Kindheitstraum, wie so viele Kinder ihn haben.
Aber Sie haben ihn realisiert!
Ja, tatsächlich, der Beruf war schon immer so ein bisschen im Hinterkopf, auch, bevor ich mich dazu entschlossen habe, Medizin zu studieren. Ich wollte mir aber nicht den Weg zum Medizinstudium verbauen – das war auch eine Leidenschaft von mir. Und dann hat sich das irgendwie ergeben. Da gab es auch sehr viele Zufälle, dass ich in die Antarktis gekommen bin, dann weiter in die Forschung und dann zu den Astronauten, zu dem Auswahlverfahren. Es gibt keinen geraden Weg dorthin.

- Ein Traum könnte für die Kärntnerin Carmen Possnig Wirklichkeit werden.
- hochgeladen von Mag. Maria Jelenko-Benedikt
Sie waren auch als Medizinerin im Auftrag der ESA als Forschungsärztin in der Concordia Station in der Antarktis, wo Sie für die Durchführung biomedizinischer und psychosozialer Forschungsexperimente der ESA verantwortlich waren, und haben auch das medizinische Rettungsteam geleitet. Dabei haben Sie untersucht, wie sich Menschen an extreme Umgebungen anpassen. Wie kann man sich das genau vorstellen?
Ich habe mir dort dieses Zusammenspiel der extremen Bedingungen angeschaut. Diese Experimente sind zuvor jahrelang von verschiedenen Unis in ganz Europa designt worden. Ich war dann diejenige, die das Ganze dort durchgeführt hat. Ich habe zum Beispiel meinen Kollegen sehr oft Blut abgenommen und dann die Zellen darin analysiert und, wie sich diese über das Jahr verändern. Wir hatten auch Feinmotorik-Tests, bei denen die Kolleg:innen eine Art Computerspiel spielen mussten. Bei dem Spiel mussten sie ein Raumschiff an der Raumstation andocken und ich habe mir angesehen, wie sich diese Fähigkeiten über die Isolation hinweg verändern. Es war immer ein bisschen im Hinblick darauf, was dieses Jahr in Einsamkeit, in Kälte, in dieser extremen Höhe und in völliger Isolation, mit den Menschen macht. Was diese lange Phase der Dunkelheit macht. Denn es ist vier Monate lang komplett finster. Was macht das mit den Menschen körperlich, aber auch psychisch?
Sie haben auch ein Buch geschrieben über Ihre Erfahrungen am Südpol: „Südlich am Ende der Welt“. Worum geht es in dem Buch?
Es geht um das, was ich und meine 13-köpfige Crew in der Antarktis erlebt haben. Das ist eine Mischung aus persönlichem Tagebuch und Erklärung, warum wir eigentlich dort waren, warum es in der Antarktis Forschungsstationen gibt, und was dort genau erforscht wird. Und es ist auch ein bisschen ein Rückblick auf die ersten Menschen, die die Antarktis erforscht haben, also Robert Falcon Scott und Shackleton und Amundsen, diese heroischen Entdeckungsgeschichten, und wie sie das erlebt haben im Vergleich zu dem, wie wir das heute erleben.
Was testen Sie derzeit an der Universität Innsbruck konkret?
Ich teste die Auswirkungen von Schwerelosigkeit auf den menschlichen Körper. Es geht ein bisschen darum, wie sich das Gehirn und wie sich die Augen verändern. Einerseits ist das sehr sinnvoll für Astronauten, die in 20 Jahren vielleicht einmal zum Mars fliegen werden, weil man gesehen hat, dass es da negative Veränderungen gibt, gerade in den Augen. Die Astronauten werden mit der Zeit weitsichtig und da ist es wichtig herauszufinden, warum, was wir dagegen tun können, um sicherzustellen, dass sie nicht erblindet sind, wenn sie am Mars ankommen. Das wollen wir natürlich verhindern. Wir erforschen das mithilfe von sogenannten „Bettruhestudien“. Das heißt, meine Probanden liegen Tage, Wochen, Monate im Bett und dürfen nicht aufstehen. Und die Veränderungen im Körper sind dann ganz ähnlich, wie in der Schwerelosigkeit. Mit der Erforschung kann man zusätzlich auch den normalen Alterungsprozess auf der Erde erforschen. Man sagt immer, Astronauten im All altern ungefähr zehnmal so schnell wie wir auf der Erde. Ja, weil die körperlichen Veränderungen eben ähnlich sind. Hier erforschen wir gleichzeitig die Veränderungen bei Menschen, die aufgrund einer akuten oder chronischen Erkrankung das Bett nicht verlassen können, oder die einen sehr, sehr inaktiven Lebensstil haben. Da kann man schöne Parallelen ziehen, was ganz interessant ist.
Welche Charaktereigenschaften muss man mitbringen für diesen Beruf?
Im Vergleich zu den ersten Astronauten, die ja mehr so die Cowboy-Testpiloten vom amerikanischen Militär waren, sucht man inzwischen Teamplayer, weil das extrem wichtig ist. Die meisten Missionen dauern sechs Monate in dieser kleinen Raumstation. Die Astronaut:innen sehen sich täglich, 24 Stunden am Tag, die können am Abend nicht einfach nach Hause gehen. Das sind gleichzeitig Kollegen, Familie und Freunde. Mit dieser Situation muss man gut zurechtkommen können. Das heißt, man braucht Leute, die gut kommunizieren können, die Teamplayer sind, die gut unter Stress arbeiten können, die sich gut mit sich selbst beschäftigen können, also Hobbys haben, die man auch im All anwenden kann. Wenn jemand Stress abbaut, indem er täglich tanzen oder in den Wald spazieren geht, solche Strategien kann man im All nicht anwenden. Da werden Leute mit Hobbys gesucht, die man im All auch machen könnte. Das ist ähnlich wie in der Antarktis.
Was empfehlen Sie jungen Frauen, die ebenfalls diesen Karriereweg planen?
Es ist eben nicht wichtig, in was für ein Berufsfeld man geht, sondern dass man sich vorher überlegt, was mache ich wirklich gerne, wo habe ich vielleicht Talente, wo liegt meine Leidenschaft und dass man das dann auch gut macht. Es ist ein relativ langer Weg, bis man tatsächlich diesen Karriereweg einschlagen kann. Man muss auf das Bewerbungsverfahren warten. Man muss dafür hart arbeiten. Und man muss ab und zu Dinge machen, die vielleicht die eigene Komfortzone überschreiten, die eigenen Grenzen überschreiten. Das kann zum Beispiel Bergsteigen oder Tauchen sein, weil das der Schwerlosigkeit sehr ähnlich ist. Und ich glaube, wichtig ist auch, dass man sich nicht völlig darauf versteift, weil es ist einfach extrem unwahrscheinlich, dass man tatsächlich Astronaut werden kann – es werden schließlich nur so wenige ausgewählt! Wenn man aber einen Job hat, den man sehr gerne ausführt, ist das ein guter Plan B, sollte es nicht klappen.
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