EU-Lieferkettengesetz
Kocher will sich enthalten und erntet Kritik

Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) kündigte an, sich beim Lieferkettengesetz enthalten zu wollen. | Foto: Andy Wenzel/bka
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Am Freitag wird in Brüssel über das EU-Lieferkettengesetz abgestimmt. Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) kündigte an, sich enthalten zu wollen. Das sorgt am Donnerstag für emotionale Kritik. Sowohl der grüne Koalitionspartner als auch Menschenrechtsorganisationen kritisierten Kochers Haltung scharf.

ÖSTERREICH/EU. Das am Freitag in Brüssel zur Abstimmung stehende EU-Lieferkettengesetz lässt die Wogen hochgehen. Kocher solle "endlich Farbe bekennen und sich zu diesem wichtigen europäischen Vorhaben erklären", so Justizministerin Alma Zadic (Grüne). Zuvor hatte der Wirtschaftsminister wissen lassen, dass er den erarbeiteten Kompromissvorschlag für "nicht zustimmungsfähig" hält und sich daher bei der anstehenden Abstimmung enthalten wird. Er unterstütze zwar die Ziele der Richtlinie, aber mit dem Gesetz würden Pflichten und Haftungsrisiken auf kleine und mittlere Unternehmen überwälzt.

Nicht nur von den Grünen und der SPÖ kam daraufhin scharfe Kritik. Auch Gewerkschaft, Arbeiterkammer, Menschenrechtsorganisationen und Umweltschützer unterstützen das Vorhaben. Sie werfen dem Minister u. a. Scheinargumente und Industrie Lobbying vor. Demgegenüber sind Vertreter der Wirtschaftskammer (WKO) und Industriellenvereinigung (IV) dagegen und warnen vor einer Überregulierung.

Zadic: Chance gegen Ausbeutung und Zerstörung

"Wir können es uns nicht leisten, auf altes Denken zu hören, das fadenscheinige Gründe sucht, warum es hier keine Verbesserungen geben soll", sagte Zadic in einem Statement gegenüber der APA. "Mit einem starken Lieferkettengesetz könnten wir endlich wirksam gegen die Ausbeutung von Millionen Kindern vorgehen", so die Justizministerin.

Das Gesetz, das sie "mit aller Kraft unterstützen" wolle, biete "eine einmalige Chance, unseren Planeten und seine Artenvielfalt vor weiterer Zerstörung zu schützen und für unsere Kinder und Enkelkinder zu bewahren". Zudem schaffe man damit faire Wettbewerbsbedingungen, kleine Unternehmen und Familienbetriebe, die regional wirtschaften, würden gestärkt.

Kleine Betriebe in Gefahr?

Zuvor argumentierten Wirtschaft und Industrie, dass durch das Gesetz Pflichten und Risiken auf kleine und mittlere Unternehmen überwälzt werden würden. In dasselbe Horn blies schließlich auch Kocher: "Es besteht die Gefahr, dass kleine und mittlere Unternehmen weltweit aus internationalen Lieferketten gedrängt werden. Wir dürfen Europas Position in der Weltwirtschaft nicht schwächen", so der Minister. 

Der Darstellung, wonach das Gesetz vor allem kleine Unternehmen gefährde, widersprach Sabine Jungwirth, Chefin der Grünen Wirtschaft: "Das Lieferkettengesetz betrifft Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bzw. in Risikosektoren Unternehmen mit mindestens 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern." Ganz im Gegenteil sei ein Lieferkettengesetz "für die kleinen, regional und verantwortungsvoll wirtschaftenden Betriebe enorm wichtig. Sie verdienen sich faire Bedingungen und die Unterstützung der Politik im Kampf gegen rücksichtslose Billigstkonkurrenz."

NGO kritisieren "Industrie-Lobbying"

Deutlich emotionaler in ihrer Kritik äußerten sich Menschenrechtsorganisationen und Umweltschützer. "Die Enthaltung von Wirtschaftsminister Kocher basiert auf Scheinargumenten und ist eine inakzeptable und demokratiepolitische Farce, die die Gesetzgebungsprozesse der EU infrage stellt. Hier wird Industrie-Lobbying vor die Interessen der Bevölkerung und jener Unternehmen gestellt, die bereits nachhaltig produzieren und gleiche Spielregeln für alle fordern", sagte etwa Konrad Rehling, Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Südwind.

Auch von Attac Österreich kam Kritik: Der Wirtschaftsminister zeige, "dass ihm die kurzsichtigen Interessen von Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer wichtiger sind als Menschenrechte, Klima- und Umweltschutz." Global 2000 hält Kochers Vorgehen für "demokratiepolitisch bedenklich". Die Behauptung, dass das Lieferkettengesetz kleinen Unternehmen schaden würde, hält die Umweltschutzorganisation für "vollkommen haltlos".

SPÖ ebenfalls für Gesetz – FPÖ dagegen

Ebenfalls für das EU-Lieferkettengesetz ist die SPÖ. Das Gesetz sei im Interesse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, der Umwelt und der europäischen Wirtschaft, erklärte SPÖ-Europasprecher Jörg Leichtfried am Donnerstag. "Ich fordere daher ein klares österreichisches Bekenntnis dazu und insbesondere Wirtschaftsminister Kocher auf, diesem Gesetz zuzustimmen und sich nicht der Stimme zu enthalten", so der Sozialdemokrat. 

Ganz anders die FPÖ: Die schwarz-grüne Bundesregierung müsse sich gegen das EU-Lieferkettengesetz aussprechen, "um Österreich als Wirtschaftsstandort nicht noch unattraktiver zu machen", hieß es in einem Statement der Freiheitlichen. Sie warnen vor Rechtsunsicherheit und "noch mehr Bürokratie". 

"Gut gemeint ist nicht gut gemacht"

Eine Gegenposition bezieht auch der wirtschafts- und industrienahe Verein oecolutio. "Auch beim Lieferkettengesetz zeigt sich wieder: Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht. Der vorliegende Entwurf ist ein weiterer Angriff auf die europäische Wettbewerbsfähigkeit und bedarf einer grundlegenden Überarbeitung", so oecolution-Geschäftsführerin Elisabeth Zehetner.

Gesetz nimmt Unternehmen in die Pflicht

Ursprünglich hatten sich Unterhändler der 27 EU-Staaten Mitte Dezember auf die Lieferkettenrichtlinie geeinigt. Danach müssten Unternehmen ab einer bestimmten Größe künftig negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf Menschenrechte und Umwelt ermitteln und die Folgen beheben. Außerdem würden sie verpflichtet, die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards auch bei Partnerunternehmen in Drittländern zu überwachen. Sprich: mehr Verantwortung der Unternehmen für die Umwelt und Menschenrechte.

Vor Österreich hatte bereits Deutschland bekannt gegeben, sich bei der finalen Abstimmung über das Gesetz enthalten zu wollen. Mit der FDP blockiert dort einer der drei Koalitionspartner das Gesetz. Die Partei folgte, ähnlich zur ÖVP, den Beschwerden aus Industrie und Wirtschaft, die die neuen Regeln als zu streng und bürokratisch ablehnten. Die Verabschiedung des Gesetzes steht damit nun auf der Kippe.

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