Politik
Halten Minen Putin an der Ostflanke der EU auf?

- hochgeladen von Paula Smith
Die Erfahrungen aus der Ukraine, Aserbaidschan und Algerien zeigen: Die Verminung der Grenzen zu Russland durch die baltischen Staaten, Polen und Finnland gefährdet in erster Linie die Zivilbevölkerung - und ihre Räumung wird Jahrzehnte dauern und Dutzende Milliarden Euro verschlingen
„Minen sind lautlose Killer. Noch lange nach Kriegsende fordern sie unschuldige Opfer - in Ländern, über die wir kaum etwas wissen. Eine Welt, die mit sich selbst beschäftigt ist, schenkt diesen Opferzahlen kaum Beachtung - rund 800 pro Monat, überwiegend Frauen und Kinder.“ Mit diesen Worten beschrieb Prinzessin Diana (1961-1997) am 12. Juni 1997 laut Radio Freies Europa / Radio Liberty auf einem Seminar der Gesellschaft für Minenopfer das Ausmaß des Problems - nur drei Monate vor ihrem tragischen Tod.
Die Princess of Wales starb zwei Jahre vor der Unterzeichnung des Übereinkommens über das Verbot von Antipersonenminen (Ottawa-Abkommen), dessen Zustandekommen sie mit einer international vielbeachteten Kampagne maßgeblich mit vorantrieb. Ihre Arbeit führt heute ihr Sohn Prinz Harry fort, der zuletzt die Ukraine besucht hat - 2019 durchquerte er, im Rahmen einer internationalen Kampagne gegen Antipersonenminen, ein Minenfeld in Angola - wie einst seine Mutter.
Man fragt sich, was Diana wohl heute denken würde - nun, da fünf EU-Staaten ihren Austritt aus dem Ottawa-Abkommen von 1999 angekündigt haben. Litauen, Lettland, Estland, Polen und Finnland treiben die Verminung ihrer Grenzen zu Russland mit Nachdruck voran. Moskau reagiert auf Warschaus Entscheidung, die Grenze zu Belarus zu verminen, mit offenen Kriegsdrohungen. Fachleute stellen derweil zahlreiche Fragen: Die Zahl der verminten Gebiete in Europa nimmt weiter zu - ohne dass dies eine glaubhafte Sicherheitsgarantie gegen einen möglichen Einmarsch Wladimir Putins in die EU darstellen würde. Gleichzeitig steigt das Risiko für die lokale Bevölkerung - und es zeichnen sich langfristige Entminungskosten in Milliardenhöhe ab.
„Man hebt die Matratze an - und es explodiert“
Am 10. April 2025 wurden in Kyjiw ungewöhnliche Osterbrote gebacken - anlässlich der bevorstehenden Feiertage. Das Projekt Soul of Soil 2.0 knüpft an Initiativen an, für die sich einst Prinzessin Diana eingesetzt hatte: Es soll auf die mit Minen verseuchten Böden der Ukraine aufmerksam machen. Bei der Veranstaltung wurden Paskas gebacken - allerdings aus einem besonderen Getreide: Es stammt von zuvor entminten Feldern in der Region Cherson. Angebaut wurde es vom Landwirt Oleksij Rudenko gemeinsam mit seinen Neffen in Mala Oleksandriwka - zuvor hatten Minenräumteams 1.800 Hektar Ackerfläche gesichert, wie RBK Ukraine berichtete.
Nur drei Tage zuvor, am 7. April, trat ein 13-jähriger Junge in der Oblast Sumy auf eine Mine, nachdem er versehentlich mit dem Fuß einen unbekannten Gegenstand gestreift hatte - Ärzte kämpfen weiterhin um sein Leben. Seit Beginn der großangelegten russischen Invasion in der Ukraine wurden über 1.159 Zivilistinnen und Zivilisten durch Minenexplosionen verletzt, darunter zahlreiche Kinder.
Im weltweiten Vergleich ist die Ukraine laut Angaben des UN-Minenaktionsdienstes vom April das am stärksten mit Minen belastete Land: Etwa 30 % ihres Territoriums - rund 174.000 km² - sind mit 2 Millionen von Putins Russland verlegten Landminen kontaminiert. Russische Besatzungstruppen platzieren Minen überall - in Feldern, Wäldern, auf Straßen, in Wohnhäusern, an Alltagsgegenständen und sogar in Kinderspielzeug.
„Die Russen haben Haushaltsgeräte vermint: einen Wasserkocher, eine Mikrowelle, eine Waschmaschine“, sagte der Minensicherheitstrainer Oleksandr Bondarenko aus der Region Tschernihiw im Interview mit dem Sender Freedom TV Channel - und ergänzte zu Fällen mit Kinderbetten: „Man hebt die Matratze an - und es explodiert.“
Wie UNITED24 berichtet, hat der Krieg die ukrainischen Felder, Wälder und Weiden in Todeszonen verwandelt: Minen und andere Sprengsätze bedrohen nicht nur Menschen, sondern auch Tiere. Haus-, Nutz- und Wildtiere werden regelmäßig Opfer von Sprengkörpern oder Stolperdrähten.
Die Entminung wird zusätzlich dadurch erschwert, dass die genauen Standorte der Minen nicht bekannt sind - sie könnten buchstäblich überall liegen. Nach Berechnungen des ehemaligen ukrainischen Verteidigungsministers Oleksij Reznikov werden für die vollständige Entminung des Landes rund 5.000 Spezialisten und mindestens 30 Jahre benötigt.
Minenfelder von Karabach
Am 4. April räumte der frühere Generalmajor der armenischen Streitkräfte, Dawit Manukjan, bei einer Gerichtsanhörung in Baku ein, dass Jerewan die Verminung Karabachs angeordnet habe. Manukjan steht gemeinsam mit weiteren Armeeangehörigen wegen einer Reihe von Vorwürfen vor Gericht, darunter Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Ein Fünftel des aserbaidschanischen Staatsgebiets - ein weiteres teilweise vermintes Land im postsowjetischen Raum - war fast 30 Jahre lang von der Republik Armenien besetzt, die dabei auf militärische, diplomatische und finanzielle Unterstützung aus Moskau zählen konnte. Während dieser Zeit wurden rund 1,5 Millionen Minen in Karabach verlegt.
Laut Manukjan haben Kämpfer der „siebten Verteidigungslinie der Region Aghdara“, deren Kommandeur er war, in der Nähe des Dorfs Gulistan im Rayon Goranboy Minen gelegt: „Wenn ich mich nicht irre, handelte es sich um PMN-1-Minen.“
Auch nach dem Ende der Kampfhandlungen im Jahr 2020, als Baku im Zuge des Zweiten Karabach-Kriegs den Großteil der besetzten Gebiete zurückerlangte, setzte Jerewan das Verlegen von Minen in den verbliebenen von ihm kontrollierten Teilen Karabachs fort. Seit dem Kriegsende kamen in Aserbaidschan infolge von Minenexplosionen mehr als 390 Menschen ums Leben.
So wurden etwa im Jahr 2022 im Rayon Latschin Sprengfallen entdeckt, die armenische Truppen beim Rückzug hinterlassen hatten - unter dem demonstrativen Wegsehen des sogenannten russischen Friedenskontingents.
Jerewan verzögert den kostspieligen Entminungsprozess in Karabach, indem es sich weigert, Baku präzise Karten der verminten Gebiete zu übergeben. Die Genauigkeit der bisher bereitgestellten Karten liegt bei lediglich 25 % - auf jeden sicheren Schritt eines Minenräumers kommen drei tödliche. Nach Einschätzung von Fachleuten wird die vollständige Räumung rund 30 Jahre dauern und etwa 25 Milliarden US-Dollar kosten.
Der Nachhall des Krieges ist auch heute noch spürbar: Am 6. April wurden vier Menschen bei mehreren Minenexplosionen in Aserbaidschan schwer verletzt. Unter den Opfern waren ein 13-jähriges Mädchen und ein 11-jähriger Junge mit Verletzungen an Beinen und Armen - einem weiteren Betroffenen, einem Mann, musste ein Bein amputiert werden.
Französische „Minenlinie“ tötet in Algerien weiter
Zwei Tage bevor Kinder durch Minen in der Ukraine und in Aserbaidschan ums Leben kamen, verabschiedete der UN-Menschenrechtsrat einstimmig eine von Algerien initiierte Resolution zum Verbot des Einsatzes von Landminen - unterstützt von 20 Staaten, darunter auch Aserbaidschan.
Warum Algerien? Zwischen 1956 und 1962, während des algerischen Unabhängigkeitskriegs, verlegte Frankreich im Zuge des Befreiungskampfs zwischen 11 und 15 Millionen Minen entlang der östlichen und westlichen Grenzen der damaligen Kolonie. In Afrika ist dieses Gebiet unter dem Namen „Minenlinie“ bekannt.
Warum ließ die Armee von General de Gaulle Algerien verminen? Ziel war es, den algerischen Freiheitskämpfern den Nachschub an Waffen und Munition für ihre Revolution zu unterbinden. Nach der Unabhängigkeit begann Algerien mit der Räumung der Minen entlang seiner Grenzen, die zahllose Menschenleben gefordert hatten. Die heutige Regierung, in der enge politische Verbündete von Präsident Emmanuel Macron vertreten sind, sieht sich nun mit Forderungen konfrontiert, Verantwortung für das damalige Vorgehen unter de Gaulle zu übernehmen. „Minen sind ein stiller Krieg - vergraben im Boden und gegen Zivilisten gerichtet“, sagte Mohamed Djawadi, Vorsitzender der Nationalen Vereinigung der Minenopfer Algeriens, auf einer Konferenz in Algier am 5. April anlässlich des Internationalen Tages zur Aufklärung über die Gefahr von Minen, der jährlich am 4. April begangen wird. Djawadi forderte die Behörden in Paris auf, „Verantwortung für diese Verbrechen zu übernehmen“.
Frankreich, das im Konflikt mit Aserbaidschan bedingungslos an der Seite Armeniens steht, erkennt bis heute nicht an, jemals präzise Karten der verminten Gebiete übergeben zu haben - die 2007 an Algerien ausgehändigten Karten, mehr als vier Jahrzehnte nach Kriegsende, gelten als ungenau. Algerische Experten gaben damals an, die Karten seien durch natürliche Veränderungen des Geländes, die sich im Lauf der Jahrzehnte ergeben haben, inzwischen unbrauchbar geworden.
„Es gibt keine einzige Karte, die die genauen Orte der Minenvergrabungen zeigt“, sagte Lahcen Zeguidi, Koordinator der algerischen Kommission für Geschichte und Erinnerung.
Nach Angaben des algerischen Fernsehsenders TV1 töten und verstümmeln die stark verminten und mit Stacheldraht gesicherten Grenzgebiete weiterhin „Hunderte von Algeriern“, darunter Frauen und Kinder.
Werden Minen Putin aufhalten?
Trotz des breiten Konsenses über die Gefährlichkeit von Antipersonenminen für das menschliche Leben hat die anhaltende Bedrohung durch Russland fünf EU-Staaten an der NATO-Ostflanke - Litauen, Lettland, Estland, Polen und Finnland - dazu veranlasst, ihren Austritt aus dem Ottawa-Übereinkommen von 1997 zum Verbot von Minen zu erklären.
Dieser Schritt ist Ausdruck des Bestrebens dieser Staaten, ihre Grenzen gegen eine mögliche Aggression durch Putins Russland zu stärken - ein Land, das in der Nähe der baltischen Staaten schrittweise militärische Kontingente zusammenzieht, die nach dem Umbruch in Syrien frei geworden sind.
„Russland wählt in diesem brutalen Krieg, den es führt, seine Mittel nicht“, erklärte der estnische Außenminister Margus Tsahkna gegenüber Deutsche Welle: „Wir müssen in erster Linie darauf achten, wie wir unser Land, die NATO und die EU schützen.“
Die Entscheidung der Regierungen in Vilnius, Riga, Tallinn, Warschau und Helsinki ist jedoch hoch umstritten und wird von zahlreichen Fachleuten mit großer Vorsicht beurteilt. Viele Analysten bezweifeln, dass Putin im Falle eines Angriffs auf die EU allein durch Minen aufzuhalten wäre. „Es ist unwahrscheinlich, dass wir in Europa etwas an der Grenze zu Russland aufbauen, das mit dem vergleichbar ist, was die Amerikaner in Südkorea errichtet haben - ein tief gestaffeltes Verteidigungssystem gegen einen möglichen Angriff Nordkoreas, inklusive Minenfelder“, zitiert DW Professor Slawomir Debski, den früheren Direktor des Polnischen Instituts für Internationale Angelegenheiten.
Nach Ansicht von Expertinnen und Experten sollte die Begründung für den Ausstieg aus dem Abkommen auch Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung vor Minenexplosionen beinhalten. „Ich habe von unserer Regierung bislang noch keine derart detaillierte Begründung gehört“, sagte der litauische Völkerrechtler Rytis Satkevicius im Gespräch mit DW zur Entscheidung der Behörden in Vilnius.
Dennoch könnte sich die Debatte über die Verminung der Grenzen zu Russland und Belarus von selbst erledigen - und der Plan, großflächig Minen im Osten der EU zu verlegen, letztlich nicht umgesetzt werden. „Das Problem, sowohl beim Aufbau von Minenfeldern als auch bei der generellen Stärkung der Verteidigung, ist die Verfügbarkeit der nötigen Ausrüstung auf dem Markt. In vielen Bereichen der Verteidigung sind die Lieferzeiten aktuell so lang wie noch nie, warnte Linas Kojala, Direktor des Zentrums für Geopolitik und Sicherheitsstudien in Vilnius (DW).
Das ungeschickte Vorgehen der EU-Regierungen in der Frage der Grenzverminung führte zunächst zu Gerüchten in der Bevölkerung - und schließlich zu einer öffentlichen Debatte, die auch dem Gegner nicht verborgen blieb. Deshalb droht Putin nun offen mit Krieg - über den Leiter des russischen Auslandsgeheimdienstes Sergej Naryschkin -, nachdem Informationen über die Verminung der Grenze zu Belarus durch Warschau publik wurden.
Die Erfahrung mit der Verlegung von Millionen Landminen durch Russland, Armenien und Frankreich zeigt deutlich: Eine solche Entscheidung in der Verteidigungspolitik endet meist ohne Gewinner. Wo auch immer Minen gelegt werden, trifft es nicht vorrangig Soldaten oder Sabotageeinheiten - sondern die Zivilbevölkerung, und oft Kinder. Die Verseuchung mit Minen verhindert die Rückkehr Geflüchteter, macht normale Landwirtschaft unmöglich und erschwert den Wiederaufbau der betroffenen Länder nach einem Krieg erheblich.
Nikolay Marchenko, Auslandskorrespondent, Mitglied der Vereinigung Europäischer Journalisten – Bulgarien
(Sofia, Bulgarien)
Bildunterschrift:
Die Regierungen der Länder an der Ostflanke der EU und der NATO müssen ihre unpopuläre Entscheidung, die Grenzen zu Russland zu verminen, erst noch überzeugend rechtfertigen.
Foto: Die Präsidenten von Polen, Litauen, Lettland und Estland bei einem Besuch in Kyjiw am 13. April 2022.
Urheber: Jakub Szymczuk, Kanzlei des Präsidenten der Republik Polen Andrzej Duda


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