Geburtstag am Schalttag
"Heuer werde ich endlich 21 Jahre alt"
Wilhelm Gürtler aus Gratwein-Straßengel wurde am 29. Februar 1940 geboren und ist damit ein "Schalttag-Geburtstagskind". Uns verrät er, warum er den Tag seiner Geburt eine ganz andere Bedeutung beimisst und wie man feiert, wenn man theoretisch nur alle vier Jahre älter wird. Außerdem teilt der bald 84-Jährige mit, wie er die Welt von heute sieht und was man gemeinsam daran verbessern könnte.
GRATWEIN-STRASSENGEL. Laut Statistik Austria gibt es österreichweit aktuell nur 4.835 Menschen, die an einem 29. Februar geboren wurden – in der Steiermark sind es insgesamt 711. Die Wahrscheinlichkeit, genau am Schalttag das Licht der Welt zu erblicken, liegt demnach bei 1:1.461 bzw. 0,07 Prozent. Einer, der heuer wieder feiern kann, ist Wilhelm Gürtler. Er wird 84 Jahre, oder wie er sagt: "Heuer werde ich endlich 21 Jahre alt."
Als Hitler den Schalttag stahl
Der Gratwein-Straßengler wurde am 29. Februar 1940 um 22.35 Uhr in Troppau – heute Opava in der Mährisch-Schlesischen Region in Tschechien – und damit in das nationalsozialistische Reichsgau Sudetenland geboren. Nicht nur der Tag seiner Geburt, auch die genaue Uhrzeit spielte dabei eine Rolle: "Eine Besonderheit war und ist meine Geburtsurkunde: Da damals dem Führer Hitler der Schalttag nicht gefiel, wurden die Urkunden auf seinem Befehl hin abgeändert. Der 29. Feber existierte einfach nicht. Bei Babys, welche am Schalttag vor 12 Uhr mittags geboren wurden, wurde der 28. Feber, bei Babys, die nach 12 Uhr mittags geboren wurden, der 1. März in die Geburtsurkunde eingetragen", sagt er. "Am Papier bin ich also am 1. März geboren. Naja, ich bin trotzdem ein Schalttagskind."
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Familie nach Österreich vertrieben, zuerst nach Wien, dann nach Graz. "Sudetendeutsche ohne Lebensberechtigung", hieß es. "Sämtliche Dokumente und das bisschen Bargeld wurden uns weggenommen, aber ohne Dokumente und Staatsbürgerschaftsnachweis hatten wir keine Lebensberechtigung. Dazu war mein Vater zu 70 Prozent Kriegsinvalide, daher gab es auch für mich Hunger, Armut und Krankheiten", berichtet Gürtler. Der Großvater holte die Familie schließlich nach Graz in eine kleine Untermieterwohnung bei fremden Leuten – 16 Quadratmeter Wohnfläche für drei Leute. Irgendwann konnte der Opa aber nicht mehr helfen, und so landete die Familie auf der Straße.
Weisheiten des Alters
Obwohl Gürtler eine beachtenswerte Karriere machte – vom Lehrling bei Humanic zum Berater für Management – und eine große, liebevolle Familie hat, prägten die kargen Jahre des Krieges und Nachkriegszeit sein Handeln und Denken. Heute ist er als Gemeinwohlpionier bekannt, als Motor der Gemeinwohl-Ökonomie. Darüber hinaus engagiert er sich für Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligungen. "Rückblickend war für mich diese Herausforderung des Lebens eine sehr sinnvolle Botschaft für die Bedeutung von Bescheidenheit und respektvoller Machtausübung. Heute, in einer Zeit, in der es uns so gut geht, gibt es so viel Neid, Zwist und Missgunst. Nach dem Krieg hatten wir wenig, aber das wurde geteilt", sagt er. "Dabei ist es so wichtig, dass wir unsere Werte erhalten, im Sinne des Gemeinwohls."
"Ich würde mir wünschen, dass wir miteinander in Frieden und Dankbarkeit leben. Wo bleibt die Dankbarkeit für das Leben. Menschen, die bescheiden gelebt haben, lebten in guten Kulturen. Wir sind am absteigenden Ast der Kultur, auch, wenn wir das nicht hören wollen. Es gibt nur entweder eine Revolution oder eine Evolution."
Willi Gürtler
Geburtstagsfeier an einem Schalttag
Den ersten Geburtstag, den Gürtler mit "feiern" in Verbindung bringt, war sein achter: "Mein Vater brachte mir 'Torte'. Das war das größte Geschenk meines Lebens und ich weinte vor Glück den ganzen Tag", erinnert er sich. Aber wie hat er sonst seine Geburtstage gefeiert, wollen wir wissen, feiert er am 28. Februar oder 1. März? "Ich feiere die ganze Woche", lacht er. "Früher war ich immer viel unterwegs, da konnte ich nicht so feiern, wie ich wollte. Man sagt ja, man soll die Feste feiern, wie sie fallen. In meinem Fall geht das so gesehen nicht, also gibt es eine ganze Geburtstagswoche."
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