Gesundheits-Interview
Ärztekammer-Präsident Herwig Lindner über Gesundheitssysteme, Ärztemangel und Kunstfehler

"Wir haben in der Steiermark ein exzellentes Gesundheitssystem", ist Ärztekammer-Präsident Herwig Lindner überzeugt. | Foto: Jörgler
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  • "Wir haben in der Steiermark ein exzellentes Gesundheitssystem", ist Ärztekammer-Präsident Herwig Lindner überzeugt.
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Debatten rund um Bereitschaftsdienste, Reformbedarf, Volksbefragungen, (vermeintliche) Behandlungsfehler und vieles mehr – durchaus turbulente Zeiten für das heimische Gesundheitssystem, könnte man meinen. Und ausreichend Stoff für ein Gespräch mit dem steirischen Ärztekammer-Präsidenten Herwig Lindner.

"Exzellentes Gesundheitssystem"

Er relativiert das –  zum Teil auch medial verursachte – Getöse mit dem Brustton der Überzeugung: "Unsere Altvorderen in der Politik, der Wissenschaft und der Ärzteschaft haben uns ein exzellentes Gesundheitssystem hinterlassen." Man sei in der Steiermark europaweit top, dies lasse sich an vielen Parameter nachvollziehen. So nennt Lindner etwa die Wartezeiten als Beispiel: "Wir haben europaweit nach Slowenien die kürzesten Wartezeiten auf dringend notwendige Operationen, oft hoch gelobte Länder wie Dänemark oder die Niederlande liegen deutlich dahinter." Diagnose also: "Der Zugang zur Versorgung ist ein sehr guter."

Probleme im Promille-Bereich

Dies gelte vor allem für die Qualität der heimischen Spitäler und des Personals. "Man muss sich das vor Augen halten: In den KAGes-Spitälern werden jährlich rund 1,2 Millionen Patienten behandelt, 130 bis 150 Fälle davon landen in der Schlichtungsstelle, das sind zwischen 0,01 und 0,05 Prozent ..."

Das Land nicht aufgeben

Dennoch erhebt er warnend seine Stimme: "Wir müssen gut aufpassen, dass uns dieses System nicht wegbricht." Ganz konkret spricht er den Ärztemangel an, der längst nicht mehr nur ein Thema entlegener Randregionen sei. "Es fehlen Kinderärzte in Deutschlandberg und Bruck, es fehlen Gynäkologen und Hausärzte." Deshalb auch seine Mahnung: "Wir dürfen das Land nicht aufgeben." Er sei froh, dass man hier mittlerweile mit Politik, Gemeinden und der Kasse an einem Strang ziehe, unter anderem soll hier ein Starthilfe-Paket (zwischen 70.000 und 105.000 Euro) für Unterstützung sorgen. Job-Sharing (zwei Ärzte teilen sich eine Kassenstelle) müsse noch mehr Thema werden, vor allem bei einem steigenden Frauenanteil und dem Wunsch nach Teilzeitbeschäftigung.
Nachfrage: Ist es überhaupt noch attraktiv, Hausarzt zu werden? "Ich denke, dass es ein schöner und erfüllender Beruf ist. Man begleitet Familien über Generationen hinweg, bekommt sehr viel zurück." Allerdings müssten die Rahmenbedingungen stimmen, die Regulative und Auflagen müssten wieder weniger werden. . Das berühmte "Mystery Shopping" in Arztpraxen, um "erschlichenen Krankenstände" nachzuweisen, ärgert zum Beispiel immer noch – ein enormer Aufwand, der letztendlich ein paar Tausende Euros gebracht hätte …

Spitalsambulanzen entlasten

Lindner spricht aber noch einen wesentlichen Punkt an: "Bei uns wird immer wieder die freie Arztwahl mit der freien Wahl der Ebenen verwechselt." Sprich: Die drei Säulen Hausarzt, Facharzt und Spitalsambulanz würden nicht in dieser Reihenfolge konsultiert, oft führe – selbst bei leichten Erkrankungen – der Weg sofort ins Spital. Lindner bringt hier ein Modell ins Spiel, das in Deutschland bereits mit Erfolg praktiziert wird, die "Portalordination". Bei diesen handelt es sich um eine der Spitalsambulanz vorgeschaltete Ordination, die von Allgemeinmedizinern geführt wird. Und die dafür sorgt, dass wirklich nur "richtigen" Patienten und keine "Männerschnupfen" im Spital landen. Lindner pocht massiv auf Umsetzung in der Steiermark, derzeit ist er auf der Suche nach Verbündeten in den steirischen Krankenanstalten.
In der Krankenkasse selbst spürt er derzeit nach vielen Jahren des Aushungerns einen "neuen Spirit". Der allerdings nur von kurzer Dauer sein könnte. "Nach der Überführung und Fusion wird sich die Frage stellen, was von der lokalen Hoheit überbleibt", befürchtet Lindner. Entscheidungen, die in Wien getroffen würden, seien meist nur für Wien gut, deshalb plädiere er dafür möglichst viel Entscheidungskompetenz vor Ort zu belassen. Sinnvoll wäre es jedenfalls, die Leistungskataloge österreichweit zu harmonisieren, die Honorarverhandlungen sollten im Bundesland bleiben. Und die Botschaft an die Ministerin ist auch eindeutig: "Die Patienten-Milliarde wurde versprochen, wir werden sehen, ob das Versprechen hält."

"Volksbefragung ist falsch"

Vom Bund nochmals zurück in die Steiermark: Unter Landesrat Christopher Drexler sei einiges weitergegangen, bei der Spitalsreform arbeite man mit Land, Fonds und Kasse Schulter an Schulter. Angesprochen auf die kommende Volksbefragung zum Leitspital Liezen hat er eine klare Meinung: "Die Befragung ist nicht nur überflüssig, sie ist schlichtweg falsch. Hier werden mit falschen Argumenten Hoffnungen geschürt, die Realität wird durch dieses Votum nicht außer Kraft gesetzt." Bedeutet aus seiner Sicht: Klein- und Kleinstspitäler seien in dieser Form nicht erhaltbar, weder seien dafür Ärzte zu finden noch könne man dort eine adäquate Ausbildung garantieren. "Für eine ordentliche Versorgung ist ein Leitspital notwendig."

"Das Wichtigste in fremde Hände geben"

Letzte Frage: Würden Sie einem jungen Menschen heute noch raten, Arzt zu werden? "Wen ihm bewusst ist, dass es mehr Berufung ist als Beruf, dann ja. Es ist ein sehr schöner Beruf, der erfüllend ist." Versehen mit einer hohen Verantwortung: "Menschen geben das Wichtigste, was sie haben – ihr Leben – in fremde Hände. Und man kann in den meisten Fällen auch wirklich helfen. Nicht immer kann man heilen, aber man kann Leiden lindern. Auch jemanden bis ans Lebensende zu begleiten, ist eine wichtige Aufgabe."

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