Innsbrucker Zeitgeschichte
Die Schwierigkeiten mit der Meinungsfreiheit

2014 hat der Gemeinderat eine Resolution über die Vermietung öffentlicher Räume beschlossen, jetzt steht das Thema Meinungsfreiheit wieder auf der Tagesordnung. | Foto: zeitungsfoto.at
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  • 2014 hat der Gemeinderat eine Resolution über die Vermietung öffentlicher Räume beschlossen, jetzt steht das Thema Meinungsfreiheit wieder auf der Tagesordnung.
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David Irving, Adolf Hitler, Grup Yorum, "Treffen deutscher Burschenschaften", Chaostage: Auftritte verschiedenster Personen und Gruppen sorgten in Innsbruck immer wieder für mediales Aufsehen und zur öffentlichen Diskussion über die Meinungsfreiheit und auch schon 1920 für mediale Schlagzeilen. Ein Blick auf einige Momentaufnahmen in der Stadt.

INNSBRUCK. Die Entscheidung von Bgm. Georg Willi, die Dogana für einen Vortrag nicht zu vermieten, sorgt für Kritik. Neben der FPÖ und dem Gerechten Innsbruck, hat sich auch der Buchautor und ehemalige Journalist Bernd Stracke zu Wort gemeldet. Die große Frage: "Wie geht man mit der Meinungsfreiheit und öffentlichen Räumen um?" Kein neues Thema für die Stadtpolitik. Das Treffen der "deutschen Burschafter" oder der Auftritt der türkischen Band "Grup Yorum" in der Messehalle sorgt in der jüngsten Vergangenheit für entsprechende Diskussionen. Mediale Schlagzeilen über Vorträge gab es auch schon vor 103 Jahren bei einem politischen Vortrag im Stadtsaal.

Demonstrationen im Jahr 2013 waren der Auslöser für die Resolution im Gemeinderat. | Foto: BezirksBlätter
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Die Meinungsfreiheit

In einer Anfragebeantwortung schreibt Bgm. Georg Willi am 11.3.2019: "Ich bediene mich bei der Beantwortung dieser Frage eines Textes, der seitens der von mir sehr geschätzten Demokratiewerkstatt des österreichischen Parlamentes angeboten wird. Dort heißt es zum abgefragten Thema: Eine der wichtigsten Grundlagen in einer Demokratie ist die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Du darfst sagen, was du dir denkst, und dich auch mit anderen zusammentun, um deine Meinung vielen anderen Menschen mitzuteilen. In Österreich ist die Meinungsfreiheit in der Verfassung festgeschrieben und sie ist ein wichtiger Teil der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.
Dort steht:

'Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht umfasst
die Freiheit, Meinungen unangefochten anzuhängen und Informationen
und Ideen mit allen Verständigungsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu
suchen, zu empfangen und zu verbreiten.' (Art. 19 der Al/gemeinen Erklärung der Menschenrechte)

Meinungsfreiheit bedeutet aber mehr als nur das Recht auf eine eigene Meinung. Es bedeutet auch, nach den eigenen Ansichten leben und handeln zu dürfen. Jeder darf, kann und soll so sein, wie es am besten zu ihm oder ihr passt. Aber natürlich nur, solange dabei niemand anderem geschadet wird. Meinungsfreiheit ist dabei die Grundlage, auf der weitere Grundrechte aufgebaut sind:

  • Die Medien können frei entscheiden, worüber sie berichten (Informations- und Pressefreiheit).
  • Jeder Mensch darf für sich bestimmen, ob und woran man glaubt (Religionsfreiheit).
  • Künstlerlnnen haben das Recht, sich durch ihre Kunstwerke frei auszudrücken
  • und ohne Beeinflussung zu arbeiten (künstlerische Freiheit)."

So wie Oppositionsparteien im lnnsbrucker Gemeinderat kritisch sein dürfen und sollen, darf es auch "Grup Yorum" sein. Ich halte es mit dem französischen Philosophen Voltaire, der gesagt hat: Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.

"Grup Yorum"

Die Band ist vor allem für ihre politischen Songtexte bekannt ist. Sie wurde 1985 in Istanbul im studentischen Umfeld gegründet und gehört zum sozialistisch-revolutionären Spektrum. Musikalisch stand die Gruppe zunächst in der Tradition der politischen türkischen Folkloremusik. Im Laufe der Zeit experimentierte sie auch mit klassischer Musik, Rock und Hip-Hop. In ihren Liedern wird auch zur politischen Gewalt aufgerufen. In Deutschland wird der Band vom Bundesinnenministerium eine Naheverhältnis zur einer Terrororganisation zugerechnet. Vom Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung wurde am 25. Jänner 2019 ein Bericht übermittelt wurde, von dem eine Zusammenfassung durch das städtische Amt Allgemeine Sicherheit und Veranstaltungen erstellt und vermittelt wurde. In diesem Bericht soll "aus Sicherheitsbedenken das Konzert nicht genehmigt werden". Im Vorfeld über das Konzert informiert war neben Bgm. Willi (GRÜNE) auch Vbgm. Gruber (ÖVP). Die zuständige Dienststelle wurde vom Bürgermeister ersucht, das Konzert zu genehmigen.

Nach dem Auftritt gab es eine politische Diskussion. | Foto: Grup Yorum
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Aktuelle Diskussion

Die damalige Stellungnahme von Bgm. Willi nimmt Vizebgm. Markus Lassenberger zum Anlass, die Nichtvermietung der Dogana für den Vortrag für Danielle Ganser zu kritisieren.

„Sich hinter einem Gemeinderatsbeschluss zu verstecken, um eine Veranstaltung in den Räumen des Congress Innsbruck zu verbieten, ist an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten“, so Lassenberger.

Auf Nachfrage von Lassenberger in der letzten Stadtsenatssitzung gab Bürgermeister Willi nämlich an, seine Begründung auf das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes zu stützen. Ob die Landespolizeidirektion Tirol oder der Verfassungsschutz zur Veranstaltung des Dr. Ganser befragt wurde, wurde von Willi nicht beantwortet und somit aus Sicht der FPÖ nicht durchgeführt. Das heißt, es gibt gar keine sicherheitsrelevante Beurteilung, die besorgniserregend wäre, sondern scheinbar nur ein Bezug auf einen Artikel des Standard. Aus einer offiziellen Mailbeantwortung an einen Bürger heißt es im Namen des Bürgermeisters:

„Dieser Mix aus Holocaustrelativierung,  Antisemitismus, Wissenschaftsfeindlichkeit sowie der nicht-vorhandenen Abgrenzung zu  Reichsbürgern und Rechtsextremisten steht den Werten, die Bürgermeister Georg Willi vertritt,  fundamental entgegen.“

Damit ist für die FPÖ belegt, dass es lediglich eine laienhafte  Einschätzung des grünen Bürgermeisters dazu gab, die nicht vom zuständigen  Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung stammt. Es hätte genug Zeit  bestanden, um eine derartige Stellungnahme einzuholen. Lassenberger abschließend „Es geht Willi gar nicht um eine professionelle Einschätzung,  sondern lediglich um seine ideologiegetriebene Agenda, dich sich allzu gerne der Zensur  bedient. Die Grünen machen Politik nach dem Credo einer berühmten schwedischen  Kunstfigur: Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt!“ Im nächsten Gemeinderat wird von der FPÖ gemeinsam mit dem Gerechten Innsbruck eine dringende Anfrage eingebracht. Bernd Stracke meint in seinem offenen Brief: "Im konkreten Fall steht ein derartiges Auftrittsverbot für Ganser in krassem Widerspruch zu der in Österreich gesetzlich garantierten Meinungsfreiheit. Wer einem internationalen Friedenskämpfer wie Ganser das Wort verbietet,  muss sich zwangsläufig dem Vorwurf aussetzen, selbst keineswegs Interesse an einem friedlichen Miteinander aller Menschen zu haben."

Ein Beispiel

Die Auftritte des Schweizers Danielle Ganser sind umstritten."Wir haben als Stadt hier eine klare Linie. Ganser verbreitet Verschwörungstheorien, relativiert die russische Aggression und scheut auch vor geschmacklosen Vergleichen rund um den Holocaust nicht zurück. So jemandem geben wir keine Bühne." So argumentierte Kulturstadträtin Katrin Auer im Dezember 2022 die Stornierung der Reservierung für Danielle Gansers geplanten Auftritt im Stadttheater von Steyr. Der Film mit dem Titel „Pandamned“ stammt vom niederländischen Filmemacher Marijn Poels. Daniele Ganser vergleicht im Film eine von ihm wahrgenommene Spaltung zwischen Geimpften und Ungeimpften mit dem „Dritten Reich“, in dem die Nazis den Holocaust an den Juden verübten. Die Frage von Poels, ob es so eine Spaltung wie jetzt in der Geschichte schon einmal gegeben habe, bejaht Ganser, um dann wörtlich anzufügen: "«Oder im Dritten Reich Juden und Nazis, da haben die Nazis gesagt, die Juden, das sind Tiere und haben sie vergast. Oder in Kambodscha hat Pol Pot eine Revolution gemacht und hat gesagt, alle, die Brille tragen, das sind die klugen Menschen, das ist die Oberschicht, die müssen wir umbringen, ‚killing fields‘. Das heißt, es gab immer lokal in einzelnen Ländern gab es (sic) Wahnsinn, ist ja Wahnsinn. Aber jetzt ist weltweit Wahnsinn. Also das ist neu, dass eigentlich jetzt in der ganzen Welt diese Spaltung zwischen geimpft und ungeimpft ist und dass die zwei Gruppen wie zwei Armeen gegeneinander ziehen."

Aktuelle Nachrichten aus der Stadtpolitik finden Sie im Polit-Ticker der BezirksBlätter Innsbruck

David Irving

Der Innsbrucker Politologe Reinhold Gärtner schrieb 2006 zum Thema Meinungsfreiheit:

"Meinungsfreiheit ist also nicht das Thema, wenn es um das Verbotsgesetz geht. Es ist vielmehr umgekehrt zu sehen: Meinungsfreiheit ist nur dann umfassend möglich, wenn verhindert wird, dass manche mit Berufung auf eben diese Meinungsfreiheit Ideologien vertreten, deren Ziel es unter anderem ist, die Meinungsfreiheit (und andere demokratische Freiheiten) abzuschaffen."

Anlass war die Verurteilung von David Irving. Für einen von der Burschenschaft Brixia am 10. November 1989 in Innsbruck organisierten Auftritt übersiedelte der britische Holocaust-Leugner David Irving aufgrund des zu dem Zeitpunkt schon bestehen Haftbefehls mit dem Vortrag kurzerhand nach Mittenwald.

Deutsche Burschenschaft

Auslöser für den Gemeinderatsbeschluss im Jahr 2014 war ein geplantes Treffen deutschen Burschenschafter in der Messe in Innsbruck im Jahr 2013. Politische Diskussionen und Demonstrationen prägten damals die Situation. "Für die Polizei in Tirol war rund um das Treffen des Dachverbandes „Deutsche Burschenschaft“ am 30.11.2013 in Innsbruck ein Großkampftag. Mehr als 300 Beamte standen im Einsatz. Unterstützung kam von Exekutivkräften aus Wien, Vorarlberg und Kärnten. „Wir sind gerüstet“, hieß es im Vorfeld." Rund 120 Personen setzten sich vor dem Haus der deutschnationalen Verbindung „Brixia“ über die Innstraße in Richtung Congress in Bewegung. Mit Transparenten wie „Achtung! Ich kann rechtsgültige Verträge auflösen!“ oder „Heute bei der Messe, morgen in der Verfassung. Ich bin die linke Gewalt“ protestierten sie gegen ihre kurzfristige Ausquartierung aus der Messehalle. Gegen Mittag versammelten sich rund 1300 Personen des „Aktionsbündnisses Innsbruck gegen Faschismus“. Die Teilnehmer marschierten vom Landhaus bis zur Messe. „Marokkanerliebe statt Burschenhiebe“ oder „Wir sind wach und wir sind viele“ stand auf Transparenten. Organisatorin Claudia Schütz forderte, dass in Zukunft keine rechtsextremen Gruppen mehr in öffentlichen Räumen in Innsbruck tagen dürfen.

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Chaostage

Das AKT war ein Kultur- und Kunstzentrum in der Ing-Etzel-Straße 16 (Viaduktbogen) und der erste Bogen der späteren Bogenmeile, der Alternativ- bzw. Subkultur Raum gab. Im Sommer 1986 lud man im AKT zu Chaostagen. Es kursierten im deutsch-österreichischen Raum zwei verschiedene Flyer mit unterschiedlichen Daten für die Veranstaltung, was über längere Zeit für ein erhöhtes Punkaufkommen in der Innsbrucker Innenstadt sorgte. Ursprünglich hätte das Treffen am Baggersee stattfinden sollen. Doch aufgrund des schlechten Wetters ist die Veranstaltung ins AKT verlegt worden und die Chaostage endeten in einer ausgedehnten Straßenschlacht in der Ing.-Etzel-Straße mit dem zum damaligen Zeitpunkt größten Tiroler Polizeieinsatz der Nachkriegszeit. 128 Verhaftungen, die Schließung des AKT mit sechsmonatiger Frist und viele Prozesse waren die Folgen dieses Wochenendes. 

Adolf Hitler im Stadtsaal

Ende September 1920 trat Adolf Hitler (in manchen Medien auch Hittler geschrieben) als Führer der bayrischen Nationalsozialisten das erste Mal im Stadtsaal in der Landeshauptstadt öffentlich auf. Während die deutschnationalen Innsbrucker Nachrichten sein Redetalent würdigten und den mehr als zweistündigen Vortrag als Programm mit „national, sozial und antisemitisch“ beschrieben, meinte die sozialdemokratische Volkszeitung über Hitler, der die spärlich erschienenen Besucherinnen und Besucher erst mit antisemitischen Tiraden aus der Reserve locken konnte, „so daß auch die glücklich Schlummernden erschrocken erwachten und ‚Hepp, hepp, Jud, Jud‘ brüllten. So sachlich der Redner begann, so unheimlich geistlos endete er. Aber das eine muß ihm auch der Neid lassen: Lungenkrank und asthmaleidend ist der gute Mann nicht. Der Überfluß an Lungenkraft kann aber trotzdem das Minus an geistiger Kraft nicht ersetzen.“ Hitler meinte damals in der an den Vortrag anschließenden Diskussion, dass die Nationalsozialisten im Gegensatz zum Programm der damaligen Großdeutschen eine klare Position zur Judenfrage bezogen hätten. Schlusssatz der Innsbrucker Nachrichten: "Hierauf wurde die Versammlung geschlossen. Es war Schlag 12 Uhr nachts."

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