Zeitgeschichte
Eine kleine Ausstellung über Judenhass weckt große Emotionen

Eine "kleine" Ausstellung mit enormer Wirkung: Judenhass in der Musik im zweiten Stock des Hauses der Musik. | Foto: BezirksBlätter
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  • Eine "kleine" Ausstellung mit enormer Wirkung: Judenhass in der Musik im zweiten Stock des Hauses der Musik.
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Der erste Blick auf die Ausstellung im zweiten Stock des Hauses der Musik lässt die gewaltige Dimension und den breiten Bogen vom Jahr 1486 bis ins heute kaum erwarten. "Judenhass in der Musikkontinuitäten über Jahrhunderte" nennt sich die Ausstellung, die in ihrer Aussagekraft und Thematik brandaktuell ist. Die BezirksBlätter Innsbruck sind gemeinsam mit Milijana Pavlović und Franz Gratl durch die Ausstellung spaziert.

INNSBRUCK. Obwohl die jüdische Minderheit in Tirol nur einen verschwindend kleinen Prozentsatz der Gesamtbevölkerung ausmachte, war sie über Jahrhunderte bis in die Gegenwart offenem Hass und tief verwurzelten Ressentiments ausgesetzt. Dieser Hass hatte viele Gesichter und manifestierte sich in der Musik auf vielfältige Weise. Im geistlichen Spiel des Mittelalters finden wir antijüdische Stereotype ebenso wie in Gesängen, die auf die verbreiteten Ritualmordlegenden Bezug nehmen. Spottlieder begegnen bereits im Mittelalter und sind heute noch präsent. Die Projektbeschreibung Milijana Pavlović (Institut für Musikwissenschaft der Universität Innsbruck) und Franz Gratl (Leiter der Musiksammlung der Tiroler Landesmuseen) lässt die enorme Bandbreite der Ausstellung erahnen.

Ein Blick auf "alte" Zeitungen | Foto: BezirksBlätter
  • Ein Blick auf "alte" Zeitungen
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Vier Bereiche

Mit einem Spottlied der Lienhard Pfarrkircher Passion Sterzing aus dem Jahre 1486 beginnt der Einstieg der unglaublichen Geschichte des Hasses und Verfolgung eines ganzen Volkes. In vier Bereichen gliedert sich die Ausstellung. In einem "Cáfebereich" ist der Blick auf "alte" Ausgabe lokaler Zeitungen möglich, in denen die unterschiedlichsten Hetzartikel zu finden sind. Am "Video"-Tisch stehen sich ein Propagandafilm aus dem Jahr 1942 und ein zeitgeschichtliches Interview gegenüber. Der dominierende Ausstellungsbereich beschäftigt sich mit unterschiedlichsten Beispielen und extremen Beispielen des Hasses gegenüber dem jüdischen Volk und beschränkt sich dabei nicht nur auf die Zeit des Nationalsozialismus, wie an der Entstehung des "Anderl von Rinn"-Kultes nachvollziehbar ist.

Die Ausstellung befindet sich um zweiten Stock des Hauses der Musik. | Foto: BezirksBlätter
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Bild des Judenhasses

"Der Antisemitismus im engeren Sinne, eine Reaktion auf die jüdischen Emanzipationsbestrebungen in der Spätaufklärung, verstärkt sich im Zuge der Nationalisierung und der Verbreitung völkischen Gedankenguts: Er kulminiert im Nationalsozialismus, der ihn zur Staatsdoktrin erhebt", wird in der Konzepterklärung der Ausstellung festgehalten.

"Auch Tiroler Komponisten schufen und edierten aggressiv antijüdische Gesänge. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges manifestiert sich weiterhin Hass gegen Juden, wie aktuelle Diskurse (Petrenko, Levit) zeigen", erklären Milijana Pavlović und Franz Gratl die Hintergründe der Ausstellung:

"Wir zeichnen in dieser Schau anhand ausgewählter Themenkomplexe und Objekte das Bild einer erschreckenden Kontinuität des Judenhasses in der Musik – in auffälligem Widerspruch zur marginalen Rolle der jüdischen Minderheit und des jüdischen Musiklebens in Tirol und seinen benachbarten Regionen."

Ein Thema: Anderl von Rinn | Foto: BezirksBlätter
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Aus dem Archiv: Der schmerzliche Stachel der Geschichte, BezirksBlätter Artikel

Jüdische Musik

In einem kleineren Bereich wird die Geschichte der jüdischen Musik erzählt. Aufgrund der Zerstörung der Synagoge in Innsbruck und der Vernichtung von zahlreichen Bild- und Archivmaterial muss in der Ausstellung auf Fotomaterial des Jüdischen Museums Hohenems zurückgegriffen werden. Eindrucksvoll zeigen zwei Plakate die rasante Entwicklung der nationalsozialistischen Propaganda und die freiwillige Akzeptanz der Innsbrucker Bevölkerung der Ablehnung jüdischer Kultur. Am 30.10.1926 fand ein Kammermusik-Abend mit Arnold Rosé im Stadtsaal statt. Vier Jahre später, am 16.10.1930 hätte die Geigerin Alma Rosé in Begleitung von Pianistin Hilde Löw, beide mit jüdischen Wurzeln, ein Konzert im Stadtsaal gegeben. Das Konzert wurde abgesagt, weil zu wenig Karten verkauft wurden.

Das geplante Konzert musste abgesagt werden. | Foto: BezirksBlätter
  • Das geplante Konzert musste abgesagt werden.
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In diesem Ausstellungsbereich wird auch an den Jazzmusiker Oscar Klein erinnert. 1930 geboren, war seine Kindheit von der Flucht vor den Nazis geprägt. 1963 gründete Klein eine Gitarrenschule in Innsbruck. Zu seinem 77. Geburtstag wollte Oscar Klein ein Konzert in Innsbruck geben, verstarb aber einen Monat davor.

Erinnerung an den Jazzmusiker Oscar Klein | Foto: BezirksBlätter
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Widerspruch

Im letzten Teil der Ausstellung stehen sich das "Lexikon der Juden in der Musik" und ein aktiver Widerspruch des "Anderl von Rinn"-Kultes aus dem Jahr 1911 gegenüber. Das Lexikon der Juden in der Musik wurde erstmals 1940 von Herbert Gerigk und Theophil Stengel im Verlag Bernhard Hahnefeld herausgegeben. Das Buch, das als Band 2 der Reihe Veröffentlichungen des Instituts der NSDAP zur Erforschung der Judenfrage erschien, wurde laut Untertitel „im Auftrag der Reichsleitung der NSDAP auf Grund behördlicher, parteiamtlich geprüfter Unterlagen“ zusammengestellt. Musiker, Musikwissenschaftler, Librettisten, Regisseure, Musikverleger und andere Personen, die mit Musik zu tun hatten und die nach der antisemitischen, nationalsozialistischen Definition der Nürnberger Gesetze als „jüdisch“ oder „halbjüdisch“ galten, sind darin verzeichnet. Darüber hinaus enthält es ein Titelverzeichnis mit „jüdischen“ Werken, die nicht aufgeführt werden durften.

Das "Lexikon der Juden in der Musik" | Foto: BezirksBlätter
  • Das "Lexikon der Juden in der Musik"
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Der Innsbrucker Rabbiner Josef Sagher veröffentlichte 1911 im Eigenverlag eine kritische Auseinandersetzung mit der Ritualmordlegende von Rinn. Seine Interventionen beim Papst und beim Bischof von Brixen blieben ohne Erfolg.

"Ist es an und für sich genug traurig, daß im XX. Jahrhundert, ein Zeitalter, das sich so stolz auf seine Kultur und Bildung gebärdet, es einer derartigen Eingabe zur Entfernung eines mittelalterlichen Überbleibsels bedurfte, so ward es um desto trauriger für den Verfasser, die kaum glaubhafte Wahrnehmung machen zu müssen, daß dieser abscheuliche Aberglaube noch sehr tief in den Köpfen der Masse steckt", schrieb Sagher in seinem Vorwort.

Widerspruch des "Anderl von Rinn"-Kultes aus dem Jahr 1911  | Foto: BezirksBlätter
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Starke Symbolik

Die Ausstellung wird von symbolischen Elementen begleitet. Der rote Faden steht für die Kontinuitäten: Ein dicker Strang für die Vehemenz des Judenhasses durch die Jahrhunderte, ein dünner Faden, der immer wieder abzureißen droht, für die Kontinuität des jüdischen Musiklebens, dessen geringe Intensität dadurch bestimmt wurde, dass die jüdische Minderheit in Tirol und den umgrenzenden Gebieten zahlenmäßig immer bescheiden blieb und dass diese Bevölkerungsgruppe anhaltenden Repressalien ausgesetzt war. Schmutzwäsche waschen, die Objekte hängen wie Wäsche an der Leine: "Wir waschen mit dieser Ausstellung gewissermaßen Schmutzwäsche – der Hass, die Vorurteile, die Stereotype und Anfeindungen sind schmutzig und niederträchtig. Braune Schmutzwäsche spricht für sich, weiße Wäsche steht für die Unschuld derjenigen, die zu Unrecht diffamiert, verleumdet und ermordet wurden." 

Das Schwarze Korps mit den Untertiteln Zeitung der Schutzstaffeln der NSDAP – Organ der Reichsführung SS galt als das Kampf- und Werbeblatt der SS. Diese Zeitung erschien jeden Mittwoch im freien Verkauf und jeder SS-Mann war verpflichtet, sie zu lesen und für deren Verbreitung zu sorgen.  | Foto: BezirksBlätter
  • Das Schwarze Korps mit den Untertiteln Zeitung der Schutzstaffeln der NSDAP – Organ der Reichsführung SS galt als das Kampf- und Werbeblatt der SS. Diese Zeitung erschien jeden Mittwoch im freien Verkauf und jeder SS-Mann war verpflichtet, sie zu lesen und für deren Verbreitung zu sorgen.
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Alle Objekte sind auf ausgepackte Archivschachteln geklebt: Sie symbolisieren das Auspacken der zu oft verdrängten und verschwiegenen Dinge: Die Konfrontation mit diesen Fakten ist notwendig. Die Reisekoffer stehen für Flucht, Vertreibung und Deportation: Die Verfolgung und die Ausbrüche des Hasses – bekanntlich war die Pogromnacht des 9. November 1938 in Innsbruck so gewalttätig wie nirgends sonst – trieben jüdische Menschen in das Exil. Diejenigen, denen die Flucht nicht gelang, wurden deportiert und ermordet.

Starke Symbolik in der Ausstellung, u. a. durch die Koffer als Zeichen der Vertreibung. | Foto: BezirksBlätter
  • Starke Symbolik in der Ausstellung, u. a. durch die Koffer als Zeichen der Vertreibung.
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Immer noch präsent

Die Zeitreise des vielseitigen Judenhasses hat zwar ein Beginndatum, aber kein Enddatum. Immer noch ist der Judenhass ein Thema, mit dem die Bevölkerung konfrontiert wird. Ob musikalisch, mit Texten und Liedern aus der weit rechts stehenden Musikszene oder mit Verspottungen, wie sie erst vor kurzem über die TV-Bildschirme bei der Liveübertragung eines israelischen Kommentators bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar zu sehen waren. Bei den vielen Beispielen der Verfolgung und des Hasses gibt es in den Gesprächen mit Milijana Pavlović und Franz Gratl auch kurze positive Momente. Die Auftritte der Vorarlberger Musikgruppe "Gebrider Moischele" in Innsbruck, ein Konzert im Stadtsaal wurde vom BezirksBlätter-Redakteur selbst veranstaltet, mehrere Auftritte im Treibhaus folgten und die auf Initiative von Manfred Mühlmann Konzertreihe der Akademie St. Blasius für Komponisten, die zur Zeit des Nationalsozialismus als „entartet“ verfemt und verfolgt wurden. So stand am 7. November 2021 im Vier und Einzig mit dem Wiener Oberkantor Shmuel Barzilai statt. Die Ausstellung selbst ist bis 8. Mai 2023 bei freiem Eintritt zu sehen. Im Jänner, März und April gibt es im Konzertveranstaltungen im Rahmen der Ausstellung.

Gegenüberstellung der Gesichte per Video | Foto: BezirksBlätter
  • Gegenüberstellung der Gesichte per Video
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Rahmenveranstaltungen

27. Jänner 2023, 19 Uhr, Haus der Musik Innsbruck, Großer Saal
Konzert SONATE 27. APRIL 1945
Werke von Karl Amadeus Hartmann und Charles Valentin Alkan
Michael Schöch (Klavier)
Der große deutsche Komponist Karl Amadeus Hartmann war 1945 in Bayern Augenzeuge einer der Todesmärsche aus dem Konzentrationslager Dachau Richtung Tirol/Seefeld geworden. Hartmann: „Am 27. und 28. April 1945 schleppte sich ein Menschenstrom von Dachauer »Schutzhäftlingen« an uns vorüber – unendlich war der Strom – unendlich war das Elend – unendlich war das Leid … Ein Mensch und besonders ein Künstler darf nicht in den grauen Alltag hineinleben, ohne gesprochen zu haben. Meine Musik wurde in letzter Zeit oft Bekenntnismusik genannt. Ich sehe darin eine Bestätigung meines künstlerischen Wollens. Es kam mir darauf an, meine humane Lebensauffassung in einem künstlerischen Organismus spürbar werden zu lassen.“ Der Tiroler Pianist Michael Schöch interpretiert Hartmanns bekenntnishafte Klaviersonate „27. April 1945“, die auf die Todesmärsche Bezug nimmt, und kombiniert sie mit der grandiosen Symphonie pour piano des französisch-jüdischen Komponisten Charles Valentin Alkan.

Nationalsozialistische Propaganda in der Tiroler und Innsbrucker Medienlandschaft in der Nazi-Zeit | Foto: BezirksBlätter
  • Nationalsozialistische Propaganda in der Tiroler und Innsbrucker Medienlandschaft in der Nazi-Zeit
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Ein Konzert der Reihe musikmuseum der Tiroler Landesmuseen
28. März 2023, 19 Uhr, Haus der Musik Innsbruck, Großer Saal
Konzert HOMMAGE À IGNAZ FRIEDMAN
Marlies Nussbaumer (Klavier)
Der polnisch-jüdische Pianist Ignaz Friedman (1882–1948) war einer der bedeutendsten Virtuosen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Meisterschüler von Theodor Leschetitzky in Wien lebte von 1930 bis 1937 mit seiner Frau Marie von Shidlowsky, einer Urenkelin des russischen Nationaldichters Leo Tolstoi, in der Villa Friedman in Seis am Schlern. 1939 floh er vor den zunehmenden Repressalien nach Australien, wo er seine Karriere unter anderen Vorzeichen fortsetzte. Die Tiroler Pianistin Marlies Nussbaumer gestaltet einen Abend zum Gedenken an den großen Pianisten.

Zeitdokumente zur Personalbesetzung der Lehrkanzel für Musikwissenschaft an der Universität Innsbruck im Jahre 1939. | Foto: BezirksBlätter
  • Zeitdokumente zur Personalbesetzung der Lehrkanzel für Musikwissenschaft an der Universität Innsbruck im Jahre 1939.
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Ein Konzert der Reihe musikmuseum der Tiroler Landesmuseen
25. April 2023 (genauer Termin wird noch bekanntgegeben)
Konzert MUSIK DER VERFOLGTEN
Studierende der Universität Mozarteum interpretieren unter der Anleitung von Prof. Isabel Gabbe Klaviermusik von Komponisten, die in der NS-Zeit Opfer von Vertreibung, Verfolgung und Ermordung wurden. Die Propagandatexte und -objekte, die in der Ausstellung zu sehen sind, dienen ausschließlich Bildungszwecken. Sie sind notwendig, um die Spielarten und die Intensität des Hasses zu illustrieren und Bewusstsein dafür zu schaffen.

Weitere Beiträge aus der Reihe Zeitgeschichte finden Sie hier

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