Zeitgeschichte
Der schmerzliche Stachel der Geschichte

Immer weider kommt es beim Haus Anichstraße 5 zu Schmieraktionen. | Foto: zeitungsfoto.at
  • Immer weider kommt es beim Haus Anichstraße 5 zu Schmieraktionen.
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INNSBRUCK. Freude, Stolz, Respekt, Demut, Trauer. Die Geschichte bringt viele Gefühle mit sich. Auch die Aufarbeitung der Geschichte ist auf vielen Ebenen emotionell. Besonders die "neuer Zeitgeschichte". Das Stadtblatt mit einer Serie über den Umgang mit der Aufarbeitung unserer Geschichte.

Umbenennungen

Im Innsbrucker Gemeinderat wurde der Antrag auf Umbenennung der Burghard-Breitner-Straße gestellt. Straßenumbenennungen sind ein Thema, mit dem sich nicht nur die Stadt Innsbruck beschäftigt. In Telfs stimmten 19 der 21 Mandatare für die Umbenennung der Franz-Stockmayer-Straße in Walter-Pichler-Straße und des Norbert-Wallner-Weges in Ruth-Drexel-Weg. Franz Stockmayer war während der NS-Zeit NSDAP-Ortsgruppenleiter und Bürgermeister in Telfs, der Volksliedsammler Nobert Wallner verfasste antisemitische und kriegsverherrlichende Lieder. In Graz wird keine der 82 „kritischen“ Straßennamen umbenannt, alle 793 personenbezogenen Straßen erhalten stattdessen Erklärungstafeln. In Meran wurde die über die Umbenennung der Cadornastraße diskutiert. Die Straße ist nach einem General, der mit seiner schonungslosen und blutigen Kriegsführung im Ersten Weltkrieg für zehntausende Kriegsopfer verantwortlich ist, benannt. Als neuer Name wurde der Namen von Elena Stern de Salvo vorgeschlagen. Das sechsjährige Mädchen wurde mit ihrer jüdischen Mutter im KZ Auschwitz von den Nazis ermordet. Im Gemeinderat gab es keine Mehrheit dafür. Auch in Innsbruck wird es keine Namensänderung der Burghard-Breitern-Straße geben.

Video der Gemeinderatssitzung

Burghard Breitner

In ihrer Zusammenfassung zu Burghard Breitner schreibt Ina Friedmann vom Institut für Zeitgeschichte: "Im Jahr seines zehnten Todestages wurde in der Innsbrucker Gemeinderatssitzung vom 21. Juli 1966, vermutlich anlässlich des Todestages, auf Vorschlag des Ausschusses für Kultur, Wissenschaft und Kunst die Benennung einer Straße nach Breitner beschlossen. Die Umsetzung, also die tatsächliche Straßenbenennung im Innsbrucker Stadtteil Reichenau, erfolgte bereits im August 1966. Bereits im März des Jahres war anlässlich Breitners Todestages eine Gedenkfeier in der Aula von der Innsbrucker Universität gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft vom Roten Kreuz veranstaltet worden. Beinahe genau ein Jahr zuvor war im Akademischen Senat bekannt gegeben worden, dass der Verein ehemaliger Kriegsgefangener in Mattsee ein Ehrenmal für Breitner errichtet hatte. Von dem gleichfalls angefertigten Ehrenbuch wurde dem Rektorat eine Kopie übermittelt. Auch Breitners Beisetzung war im März 1956 unter Ehrerbietung der Universität und ihrer Studierenden – eine Abbildung zeigt Corpsstudenten, die Breitners vor der Universität aufgebahrten Sarg flankieren – sowie des Roten Kreuzes erfolgt. Neben der Straßenbenennung ist es besonders die Umwandlung seiner Grabstätte am Innsbrucker Westfriedhof, für die bis dahin vom Roten Kreuz aufgekommen wurde, in ein städtisches Ehrengrab durch einen Stadtsenatsbeschluss am 1. April 1992, die die tief verankerte und fortdauernde (Ver)Ehrung des Chirurgen deutlich sichtbar machte – und auch noch immer macht. Das Ehrengrab existiert auch 2020, 28 Jahre später, noch. Neben der bereits erfolgten Streichung des Namenszusatzes beim „Kindergarten Burghard Breitner-Straße“, den aktuellen Diskussionen zum Umgang mit der nach ihm benannten Straße sowie der Erinnerungszeichen an der Innsbrucker Chirurgischen Klinik, sollte auch die weitere Erhaltung des Ehrengrabes durch die Stadt Innsbruck neu evaluiert werden." Nach den Überlegungen im gemeinderätlichen Kulturausschuß über die Zusatztafel zur Burghard-Breitner-Straße soll in den nächsten Wochen auch die Frage des Ehrengrabs diskutiert werden.

Beispiel Anichstraße

Aber nicht nur Straßen mit Namen von Personen, deren Wirken und Handeln auf Kritik stößt und im Laufe der Zeit als falsch beurteilt werden muss, sind ein Thema. Auch Straßen bzw. Häuser, in denen es zu geschichtlich bedeutenden Ereignissen gekommen ist, sind in der Darstellung des nötigen Gedenkens großen Herausforderungen ausgesetzt. Ein Beispiel dafür ist die Anichstraße in Innsbruck. Bei der Suche nach einem Bürgerbüro wurde die FPÖ Innsbruck in der Ansichstraße fündig. Genauer gesagt im 1. Stock im Haus Anichstraße 5. Zum damaligen Zeitpunkt war das jetzige Bürgerbüro eine Wohnung für eine Wohngemeinschaft. Die Wohnung spielte auch beim Novemberpogrom in Innsbruck eine große Rolle.

Schreiben von Gertrude Adler an die Israelitische Kultusgemeinde Innsbruck vom 17.2.1961 (DÖW E 18.451)
„In der Nacht vom 9. auf 10. November brach eine entmenschte Horde, zirka 10-12 Mann, in unsere Wohnung, Anichstraße 5, 1. Stock, stürmte unser Schlafzimmer, schlug meinen Mann und mich nieder. Soviel ich mich erinnern kann, kamen sie in dieser Nacht noch ein zweites Mal. Mein Mann konnte sich nicht mehr rühren, er trug eine Lähmung davon und ich eine Gehirnerschütterung. Am nächsten Morgen veranlaßte unser Hausarzt, Dr. Köllensberger, die Überführung meines Mannes in die Nervenklinik. Ich blieb zu Hause, weil ich die Wohnung nicht allein zurücklassen wollte. Eine goldene Schaffhauser Herrenuhr ließen die Banditen auch mitgehen. Wir hatten einen Termin, bis wann wir Innsbruck verlassen mußten, und so verließen wir am 3. Jänner 1939 mit der Ambulanz Innsbruck und fuhren nach Wien, wo mein Mann 3 Wochen später starb.“ Ing. Josef Adler war Oberbaurat der Bundebahnen, Mitglied des Israelitischen Kultusrates sowie Schwager des ermordeten Ing. Richard Berger. Beim Überfall war seine Frau Gertrude, geb. Weiss und sein Vater Itzig Adler in der Wohnung.

Gedenktafel

Die FPÖ Innsbruck hat im Jänner 2019 angekündigt, am Haus eine entsprechende Gedenktafel anbringen zu lassen. Die Hausfassade als auch der Eingangsbereich des Hauses Anichstraße 5 wurde bereits des öfteren Ziel von Schmieraktionen. FPÖ-Landesparteiobmanns Markus Abwerzger meinte nach dem erster Schmieraktion: "Ich fordere eine unmissverständliche Verurteilung dieser Taten sowie ein klares Bekenntnis zum Rechtsstaat von allen Parteien." ÖVP-Klubobmann  Jakob Wolf verurteilte die Schmieraktionen ebenfalls: "Solche politisch motivierten Schmieraktionen sind nicht nur strafrechtlich relevante Sachbeschädigungen, sondern sie beschädigen vor allem auch das politische Klima in unserem Land."

Antisemitismus und Arisierung

Die Anichstraße war Heimat zahlreiche Geschäftsleute und Bürger der jüdischen Gemeinde.
Bereits 1889 gab es im Wahlkampf ein antisemitisches Flugblatt. Die Gruppierung „Christlicher Mittelstand“ warb mit der Devise „Vorsicht vor Juden! Kauft nicht bei Juden.“, und führte das Geschäft von Jakob Picker, Hülsenfrüchte und Mehlhändler in der Anichstraße an.

In der Anichstraße 3 war ein Linoleum und Teppichgeschäft von A. Blum und G. Haas. Das Modehaus Julius Meisel war in der Anichstraße 3 beheimatet (als Nachbar von Blum und Haas). Am 2. Juni 1938 ging das Modehaus in arischen Besitz mit den neuen Inhabern Rabitsch und Richter über. Die Familie Meisel musste nach Wien übersiedeln und wurde 1942 nach Polen deponiert und ermordet.

In der Anichstraße 4 war das Wiener Kleiderhaus „Zum Matrosen“ von Leon Abrahmer beheimatet. Nach dem „Anschluss“ wurde das Geschäft von SS-Sturmbandführer Alois Schintlholzer, einer der Mörder in der Pogromnacht geführt und schließlich von Ludwig Schirmer arisiert. In der Anichstraße 4 war auch das Modehaus Stiassny & Schlesinger untergebracht. Wenige Wochen nach dem Anschluss wurde der Betrieb arisiert und hieß Alteneder & Co. Die Liegenschaft der Familie Stiassny, bestehend aus einem Gebäude mit acht Wohnungen und zwei Geschäftslokalen, wurde von der Gestapo am 24.6.1938 zugunsten des Landes Österreich beschlagnahmt.

Die Samuel Hacker OHG betrieb in der Anichstraße 6 ein Tuchhaus. Erich Hacker verweigerte im September 1938 die Unterschrift zum Verkauf des Betriebes und wurde von der Gestapo verhaftet und drei Monate eingesperrt. Nach der Arisierung des Betriebes musste Hacker zwangsweise nach Wien übersiedeln und konnte 1939 nach England emigrieren.

Die Familie Brüll hatte in der Anichstraße 7 ein Möbelhaus und Möbelfabrik. In der Pogromnacht wurde die Familie in ihrer Wohnung im selben Haus überfallen. Rudolf Brüll wurde mit einem Schlagring zu Boden geschlagen und ihm wurden 3 Rippen gebrochen. Seine Frau Julie wurde geschlagen und getreten und konnte sich durch einen Sprung über den Balkon auf das Hausdach retten. Rudolf wurde mit seinen Brüdern Franz und Josef am selben Tag von der Gestapo verhaftet. Nach einer kommissarischen Verwaltung wurde das Möbelhaus Brüll von Karl Zoglauer arisiert. 1949 wurde das Geschäft an die Familie Brüll zurückgegeben.

In der Anichstraße 13 gab es das Kinderkonfektionsgeschäft von Grete Berger. Grete Berger war die Schwester von Gertrude Adler. Grete Berger war mit Ing. Richard Berger verheiratet, der in der Pogromnacht erschlagen wurde. Grete Berger konnte mir ihrem Sohn Walter nach Palästina flüchten. Der zweite Sohn Fritz wanderte im August 1938 nach England aus.

Weitere Nachrichten aus Innsbruck finden Sie hier

Quellen: Nationalsozialismus und Faschismus in Tirol und Südtirol, Horst Schreiber, Studienverlag / Verfolgung und Widerstand in Tirol, Band I, DÖW / Innsbruck und seine Stadtteile in historischen Bildquellen, F. H. Hye, Heimat Verlag / Innsbruck im Spannungsfeld der Politik 1918 – 1938, F. H. Hye, Josefine Justic, Stadtmagistrat Innsbruck / Jüdische Geschäfte in Innsbruck, Horst Schreiber, Studienverlag

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