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Der schwierige Umgang mit der Zeitgeschichte

"Gebt demFührer euer Ja." Der schwierige Umgang mit der Zeitgeschichte. | Foto: Depaoli
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Ein Spaziergang im Spiegelkabinett ist oft unterhaltsam, manchmal schockierend und vereinzelt verstörend. Ähnlich ist auch mit der Aufarbeitung der jüngeren Zeitgeschichte in unserer Gesellschaft. Nicht alles, was man sieht und liest ist erfreulich. Der Schritt in eine andere Welt, in dem man aber jedes Haus und Straße und manchmal auch handelnde Personen erkennt, ist aber wichtig. 

"Gebt dem Führer Euer Ja", Ausstellung in der Stadtbibliothek, BezirksBlätter Innsbruck Artikel

In der Stadtbibliothek ist die Ausstellung "Gebt dem Fürhrer Euer Ja" zu sehen, Die Darstellung dieser Devise auf der Außenwand der Bibliothek sorgt für politische Diskussionen. GR Gerald Depoali meint in einer Aussendung: "„Das Gerechte Innsbruck distanziert sich von ‚Gebt dem Führer Euer Ja!‘, auf der Fassade der Stadtbibliothek und verwehrt sich strikt dagegen, dass es sich bei dem Zitat lediglich um eine ‚kleine Provokation‘ handelt!“ Eine Kritik, die nachvollziehbar erscheint. Die Darstellung des im März und April 1938 wohl millionenfach verbreiteten Aufrufs ohne weiteren Zusatz ist verstörend. Ein Wort wie Erinnerungskultur, Zeitgeschichte, Ausstellung oder Innsbrucks Vergangenheit, anschließend ein Doppelpunkt und unter Anführungszeichen "Gebt dem Führer Euer Ja" wäre der Ausstellung und der Zielsetzung wohl dienlicher gewesen. Auch der Ansatz, die alleinige Darstellung als Provokation zu sehen, bewegt sich auf einem schmalen Grat. Provokation macht so wie die Satire nur dann Sinn, wenn sie auch verstanden wird.   

„Diese Schau gibt die Gelegenheit, sich mit politischen Parolen, Propaganda, Zensur und Manipulation auseinanderzusetzen und den richtigen Umgang damit zu finden,“ erklärt Kurator Niko Hofinger: „Wir schlagen mit der Ausstellung eine Brücke von den manipulativen Stimmzetteln und Wahlplakaten von damals und ein spannendes Filmdokument unbekannter Herkunft vom 5. April 1938 bis zu den Wahlurnen aus der heutigen Zeit.“ 

Wer in die Ausstellung, die noch bis 13. August besucht werden kann, eintaucht und dabei seine heutige Selbstverständlichkeit an Facebook, Handy, Auswahl an tausend Fernsehsender ausblendet, wird eine spannenden, lehrreichen Rundgang durch ein Innsbruck in einer ganz anderen Zeit erleben. Es geht nicht um Vorverurteilung oder kollektiver Entschuldigung. Es geht um einen Blick auf eine andere Zeit der gesellschaftlichen, sozialen und politischen Kultur in seiner Heimatstadt, die durch andere Kommunikationsformen geprägt wurde.

Der Stimmzettel April 1938 | Foto: Wikipedia
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Die politische Abrechnung von GR Depaoli bewegt sich aber ebenfalls auch einem schmalen Grat. Rasch könnte der Eindruck entstehen, dass es sich nicht um eine Kritik an der Darstellung, sondern um eine Kritik an der inhaltlichen Umsetzung handelt. „Selbstverständlich wird das Gerechte Innsbruck umgehend eine Anzeige wegen des Verdachtes der NS-Wiederbetätigung etc. gegen Unbekannt einbringen, ungeachtet dessen, was die Staatsanwaltschaft lt. Medienberichten glaubt. Es kann auch nicht sein, dass es sich bei diesem widerlichen Zitat ohne Hinweis auf die Ausstellung lediglich um eine Fahrlässigkeit handelt, zumal hier Bürgermeister Georg Willi und Kulturstadträtin Schwarzl politisch höchstpersönlich verantwortlich zeichnen, und die Ausstellung auch von vermeintlich namhaften Historikern hoffentlich begleitet wird!“, meint Depaoli in seiner Aussendung. Depaoli erinnert an den Antrag des Gerechten Innsbruck für die Errichtung eines einzigen Stolpersteines beim Haydnplatz, der "auch unverständlicherweise von 37 von 40 Innsbrucker Gemeinderätinnen und Gemeinderäten noch im Dezember 2021 abgelehnt wurde".„Gerade Innsbruck hat eine besonders hohe moralische Verantwortung, Erinnerungskultur in vielerlei Hinsicht zu leben, und nicht nur davon zu reden! Das Gerechte Innsbruck fordert daher mit Nachdruck die sofortige Entfernung des Zitats ‚Gebt dem Führer euer Ja!‘ von der Fassade der Innsbrucker Stadtbibliothek“, schließt Gemeinderat Gerald Depaoli nachdenklich.

Statt des politischen Rundumschlags wäre wohl eine Initiative der raschen Lösung auf der Außenfassade (die schon seit 1. Juli sichtbar ist) und der Vorstoß, die Ausstellung, wie viele anderen Aktionen auch, zu dokumentieren und in Buchform und Formen der modernen Kommunikationsmöglichkeit längerfristig, barrierefrei und den Zielgruppen gerecht zugänglich zu machen, wohl spannender gewesen.

Die geschichtliche Aufarbeitung und sich vor dem Spiegel stehen, ist nicht immer leicht. Horst Schreiber und Sabine Pitscheider haben dazu ebenso wichtige Beiträge geleistet, wie Meril Schindler mit ihrem Buch "Cafe Schindler" oder Christoph W. Bauer mit Graubard Boulevard. In den letzten Jahren hat sich der Mantel des Schweigens und das schwarze Loch der Geschichte immer weiter geöffnet. So wie für viele andere, auch für Innsbruck die Chance, aus der Geschichte zu lernen und die nötige Sensibilität für Entwicklungen, die in unserem demokratischen modernen Leben keinen Raum haben, zu bekommen.

Georg Herrmann 

Zeitdokument, die Innsbrucker Nachrichten vom 5. April 1938 | Foto: Herrmann
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