Ein Aufschrei der zum Himmel dringt

Über unser Mit-Fühlen und Tragen am Tod der Flüchtlinge

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Es ist mir noch sehr lebendig im Gedächtnis, wie erschüttert und innerlich beteiligt unzählige Menschen waren als in Galtür eine Lawine, im Februar 1999, insgesamt 38 Todesopfer forderte. Tagelange Berichterstattung, die unermüdliche Einladung zu Unterstützung und Hilfe, besondere Rituale und Trauerfeiern begleiteten das unvermeidliche und unausweichliche katastrophale Ereignis.
An diesem Donnerstag, dem 27. August, ist auf der A4 im Burgenland am Vormittag ein Schlepperfahrzeug mit toten Flüchtlingen entdeckt worden. Die Polizei gab die Zahl der Toten vorerst zwischen 20 und 50 an. Die Personen dürften laut Medien in dem Lkw erstickt sein. Ein Mitarbeiter des Streckendienstes hatte die Beamten verständigt, weil der LKW bereits seit längerem auf dem Seitenstreifen stand. Die Polizisten nahmen bei dem Fahrzeug bereits Verwesungsgeruch wahr. Vermutlich Dutzende Flüchtlinge, die - aus dem Hexenkessel des Bürgerkrieges, der Gewalt und des Hungers entkommen – elendiglich im Laderaum eines LKWs im Herzen Europas erstickt sind.
Ein Massensterben, das vermeidbar gewesen wäre!
Wer ist der Verantwortliche für das Blut dieser Brüder und Schwestern? Niemand! Wir alle antworten so: Ich bin es nicht, ich habe nichts damit zu tun, es werden andere sein, sicher nicht ich.
Die wunderbar organisierte Pressekonferenz mit der Frau Innenministerin sprach von einer vorbildlichen und professionellen Handhabung der Situation durch die Polizei, der Schuld der Schlepper und von notwendigen Änderungen auf der europäischen Ebene.
Vor Trauer und vor Wut kamen mir angesichts der nüchternen Abhandlung und der inkonsequenten (und darum unglaubwürdigen) Betroffenheitsadresse die Tränen.
Und ich habe mich an die eindringlichen Worte des Papstes vor über zwei Jahren in Lampedusa erinnert: „Gott fragt einen jeden von uns: „Wo ist dein Bruder, dessen Blut zu mir schreit?“ Niemand in der Welt fühlt sich heute dafür verantwortlich; wir haben den Sinn für brüderliche Verantwortung verloren; wir sind in die heuchlerische Haltung des Priesters und des Leviten geraten, von der Jesus im Gleichnis vom barmherzigen Samariter sprach: Wir sehen den halbtoten Bruder am Straßenrand, vielleicht denken wir „Der Arme“ und gehen auf unserem Weg weiter; es ist nicht unsere Aufgabe; und damit beruhigen wir uns selbst und fühlen uns in Ordnung. Die Wohlstandskultur, die uns dazu bringt, an uns selbst zu denken, macht uns unempfindlich gegen die Schreie der anderen; sie lässt uns in Seifenblasen leben, die schön, aber nichts sind, die eine Illusion des Nichtigen, des Flüchtigen sind, die zur Gleichgültigkeit gegenüber den anderen führen, ja zur Globalisierung der Gleichgültigkeit. In dieser Welt der Globalisierung sind wir in die Globalisierung der Gleichgültigkeit geraten. Wir haben uns an das Leiden des anderen gewöhnt, es betrifft uns nicht, es interessiert uns nicht, es geht uns nichts an! …
„Adam, wo bist du?“, „Wo ist dein Bruder?“ sind die zwei Fragen, die Gott am Anfang der Geschichte der Menschheit stellt und die er ebenso an alle Menschen unserer Zeit, auch an uns richtet. Ich möchte aber, dass wir eine dritte Frage anfügen: „Wer von uns hat darüber und über Geschehen wie diese geweint?“ Wer hat geweint über den Tod dieser Brüder und Schwestern? … Um die jungen Mütter, die ihre Kinder mit sich trugen? Um diese Männer, die sich nach etwas sehnten, um ihre Familien unterhalten zu können? Wir sind eine Gesellschaft, die die Erfahrung des Weinens, des „Mit-Leidens“ vergessen hat: Die Globalisierung der Gleichgültigkeit hat uns die Fähigkeit zu weinen genommen! Im Evangelium haben wir das Geschrei, das Weinen, das laute Klagen gehört: „Rahel weinte um ihre Kinder … denn sie waren dahin“ (Mt 2,18). Herodes säte Tod, um sein eigenes Wohl zu verteidigen, seine Seifenblase. Und dies wiederholt sich weiter … Bitten wir den Herrn, dass er austilge, was von Herodes auch in unserem Herzen geblieben ist; bitten wir den Herrn um die Gnade, über unsere Gleichgültigkeit zu weinen, zu weinen über die Grausamkeit in der Welt, in uns, auch in denen, die in der Anonymität sozioökonomische Entscheidungen treffen, die den Weg bereiten zu Dramen wie diesem. „Wer hat geweint?“
Wer hat heute in der Welt geweint?“
Es ist höchste Zeit, aus der Kraft der Trauer und der Wut, Verantwortung zu übernehmen und der Menschlichkeit die Bahn zu bereiten!

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