"Kufstein schreibt Stadtgeschichte"
Halbzeitbilanz für Festungsstädter Buchprojekt

Zeitzeugen und Interessierte wie Brigitte Perterer (Jg 1954), Marju Jurschick-Bäumel (Jg 1941) und Raimund Feher (Jg 1950) sind mit Enthusiasmus am Projekt beteiligt.
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  • Zeitzeugen und Interessierte wie Brigitte Perterer (Jg 1954), Marju Jurschick-Bäumel (Jg 1941) und Raimund Feher (Jg 1950) sind mit Enthusiasmus am Projekt beteiligt.
  • hochgeladen von Sebastian Noggler

Das großangelegte, mehrphasige Projekt "Kufstein schreibt Stadtgeschichte" kann zur Halbzeit auf einen respektablen Verlauf verweisen. Die "Erzählcafés" werden immer beliebter und begeistern Zuhörende wie auch Erzählende. Das erste Manuskript zur Edition-Reihe ist bereits im Lektorat – die Organisatoren freut's.

KUFSTEIN (nos). Am 27. Februar 2018 präsentierte sich das Projekt "Kufstein schreibt Stadtgeschichte" erstmals breit den Interessierten in der Festungststadt. Schon vorab erklärten Bgm Martin Krumschnabel, Initiator Andreas Falschlunger und Koordinator Richard Schwarz gemeinsam mit einem Großteil der ausgewählten Autoren die Absichten und Herangehensweisen des mehrstufigen Prozesses, der bis 2021 in einem "Kufsteinbuch" zur Stadtgeschichte im 20. Jahrhundert sowie einer "Edition Kufstein"-Reihe münden soll – die BEZIRKSBLÄTTER berichteten.
Am 4. April zogen die Organisatoren nun Bilanz über die erste Hälfte der Projektphase, die neben regelmäßigen Treffen mit den wissenschaftlichen Autoren, der Präsentation besonderer "Fundstücke" im Stadtmagazin, zahlreichen Zeitzeugeninterviews auch zahlreiche spannende "Erzählcafés"beinhaltete.

Resonanz immer besser

"Das sind für mich Highlights, wenn ich sehe, wie begeistert die Leute in dieses Projekt hineingehen", freute sich Bgm Krumschnabel über die positive Resonanz aus der Festungsstädter Bevölkerung. Auch Falschlunger zeigte sich "guter Dinge" ob des wachsenden Projekt-"Babys" und des Enthusiasmus der Teilnehmer:

"Sobald die Kufsteiner merken, dass es jemanden gibt, der ihre Geschichte hören will, gibt es auch Viele, die sie erzählen wollen."

Immer mehr Materialien gesammelt

Die gesammelten Fotos, Unterlagen, Dokumente und Interviews werden, wie Richard Schwarz erklärt, nicht nur von den Autoren in regelmäßigen Treffen gesichtet und ausgewertet, sondern auch im Anschluss dem Stadtarchiv zur Verfügung gestellt: "Wir sammeln die Sachen so, dass sie danach zugänglich werden."
Zahlreiche Interviews mit Zeitzeugen haben die Projektmitarbeiter mittlerweile bereits geführt, etwa mit Raimund Feher, Jahrgang 1950, der aus seiner Kindheit in der Barackensiedlung des UNRRA-Lagers erzählte. Das Camp, ein Auffanglager für Geflüchtete, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in Kufstein an der Weißachstraße errichtet und beherbergte teilweise mehr Einwohner als die Stadt selbst, wie sich Feher errinnert: 13.000 Menschen lebten dort in kargen Verhältnissen und unter Quarantäne, was etwa zu regelmäßigen Untersuchungen der Kinder führte, um ihre Schultauglichkeit zu bescheinigen.
Im Lager der Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen, kurz UNRRA, (von engl. United Nations Relief and Rehabilitation Administration) gab es auch ein Auswanderungsbüro der Alliierten, das die Vertriebenen auch nach Neuseeland oder Kanada vermittelte, wie sich Marju Jurschick-Bäumel, Jahrgang 1941, erinnert. "Uns haben die Kufsteiner damals gut aufgenommen", entsinnt sich die alte Dame, die als Fünfjährige mit ihrer damals 25-jährigen Mutter aus dem Baltikum durch ein zufälliges Zusammentreffen mit einem Thierseer Wehrmachtssoldaten während des Trecks der "Displaced Persons" bis nach Kufstein kam.

Brigitte Perterer erzählte von ihrer Begegnung mit dem Kufsteiner Original "Lachi-Lachi", der viele Festungsstädter in den 50-er und 60-er Jahren vor seine Kameralinse bekam und an den sich zahlreiche erinnern, allerdings kannte beinah niemand dessen echten Namen – die Historiker konnten diesen schließlich ebenso ausfindig machen, wie seinen Grabstein, wo sie auf ein neues Rätsel stießen: dort stand zu lesen "Hauptmann der Ukrainischen Armee". An dieser Stelle wird nun weiter geforscht.

"Die Leute wollen gar nicht mehr aufhören"

Neben den Interviews sind es besonders die Erzählcafés, die viele interessante Details zur Stadtgeschichte ans Licht bringen und immer mehr Kufsteiner zum Zuhören und Erzählen animieren – so gut, dass sie oft nicht mehr aufhören wollen, wie die Organisatoren schmunzelnd feststellen mussten. Einer der regelmäßigen Besucher ist etwa auch Georg Hetzenauer: "Das Erzählcafé gefällt mir sehr gut, weil hier viel Wissen zusammenkommt." Für das Gesamtprojekt treffe sich hier "eine Menge Leute, die dazu beitragen und ihr Wissen teilen". Geschichte-Student Manuel Dopsch begleitet und dokumentiert die Cafés für das Stadtgeschichte-Projekt und ist seit Beginn nachhaltig begeistert:

"So schaut lebendige Geschichte aus! Die Leute wollen am Ende gar nicht mehr aufstehen, sondern immer weiter erzählen."

Die Erzählcafés dienen dem Projekt dabei auch als Filter, um eine Gewichtung der Themen und Einzelgeschichten vorzunehmen.

Erster Teil der "Edition" schon im Lektorat

Arnold Klotz hat seinen Beitrag zur "städtebaulichen Entwicklung der Stadt Kufstein im 20. Jahrhundert" bereits fertiggestellt, dafür leistete er bereits vor rund 30 Jahren die Vorarbeit mit einem Buch. Kufstein weise baulich einige Besonderheiten und Alleinstellungsmerkmale auf, berichtete Klotz. So kam die Stadt bereits 1904 zu einem von Otto Lasne umgesetzten, und 1930 nochmals adaptierten, farbig gedruckten "Regulierungsplan", basierend auf zeitgenössischer Vermessungstechnik. Der ehemalige Vizerektor für Infrastruktur an der Universität Innsbruck hält fest:

"Ich kenne keine österreichische Stadt, auch nicht Wien, die bereits 1904 einen solchen Plan hatte."

Auch architektonisch sei die Stadtgestaltung durchaus interessant, meint Klotz. "Kufstein hatte um die Jahrhundertwende noch keine Architekten, darum haben hier viele Auswärtige gebaut." Aus München, Innsbruck, Salzburg, oder auch Chemnitz kommend hinterließen diese ihre Spuren in der Festungsstadt.

Die nächsten Veranstaltungen

Am 27. April findet das nächste Erzählcafé statt, Thema ist dann "Vom Kommen, Bleiben und Gehen", also Migrationsgeschichte(n) – ab 10 Uhr im Zeller "Kirchenwirt".
Am 23. Mai um 19 Uhr hält Edith Hessenberger, Leiterin der Ötztaler Museen, einen Vortrag "zum Potential von Oral-History-Projekten" iM Bürgersaal des Rathauses. Dies ist der Auftakt zu einer dreiteiligen Vortragsreihe unter dem Motto "Wie andere Geschichte schreiben". Der Eintritt ist frei.
Im September möchten die Projektorganisatoren ein "Büro für Stadtgeschichte" im Zentrum eröffnen, wo sich Interessierte einmal wöchentlich informieren können und auch zum Erzählen eingeladen sind.

Mehr zum Projekt "Kufstein schreibt Stadtgeschichte"

Das Projektteam lädt auch weiterhin Interessierte zur Teilnahme ein und ist am einfachsten via E-Mail erreichbar.
Weitere Informationen zu "Kufstein schreibt Stadtgeschichte" finden Sie online auf der Projekthomepage.
Den Beitrag zur ersten Projektpräsentation finden Sie hier.

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