Schöne Zeit am Pössnitzberg
Heidemarie Ithaler-Muster hat heuer im Jänner ihre Mutter verloren. Doch die Erinnerung lebt. Für die WOCHE erzählt sie.
Schattenzeiten gibt es genug in meinem Leben, aber es gibt auch viel Schönes. So erinnere ich mich sehr gerne an die Zeit der letzten Jahre, als ich Urlaub bei meiner Mama am Pössnitzberg machte. Meistens war ich im Haus Mariatrost so sehr nervlich angespannt, dass ich mich schon sehnte, auf meinem Lieblingsplatz am Hof meines Bruders zu verweilen. Hier war für mich immer ein Kraftplatz. Den Blick weit hin gerichtet gen Norden auf die sanften Hügel der Südsteiermark, gelang es mir, mich hier immer zu erholen und so richtig zu chillen. Es war eine schöne Zeit. Ein paarmal blieb ich sogar einige Wochen. Die zwei Katzen meines Bruders freundeten sich mit mir an und sie begrüßten Mama und mich schon am frühen Morgen mit der aufgehenden Sonne. Wir fütterten sie und dann verschwanden sie hinter dem hohem Gras der Weinberge. Als es meiner Mutter besser ging und sie noch gehen konnte, kochte sie für uns beide. Was sie zubereitete, war immer gut, einfach nach ihren alten Rezepten, die sie von unserer Großmutter übernommen hatte. Den Vormittag verbrachte ich meistens vorm Haus, windgeschützt auf einem alten Sessel, ein kleiner Tisch gehörte dazu. Hier fühlte ich mich wohl in dieser Stille. Im Frühling, wenn der Kirschbaum blühte, und im Sommer, wenn es duftete nach frisch gemähtem Gras. Im Herbst war hier Hauptsaison. Bernhard und meine Schwägerin Gerti hatten viel zu tun mit der Weinernte, mit dem Betrieb in der Buschenschänke und den Gästen, die hier nächtigten, um das besondere Flair zu genießen. Neugierig sah ich dem regen Treiben zu. Es hatte sich so viel am Hof verändert, als ich noch bei meinen Eltern hier wohnte. Eine neue Generation ist geboren, eine andere herangewachsen. Es wurde dazugebaut, erweitert und modernisiert. Meine Mama durfte den Wandel miterleben, leider ohne unseren Vater. Nach seinem Tod wollte sie nie mehr einen anderen Mann haben. Er war ihre einzige große Liebe geblieben. Sie sprach mit mir viel über die Vergangenheit. Manchmal spürte ich ihre Wehmut, aber auch ihren Stolz und den Respekt, was Bernhard und Gerti aus dem Trautenhof gemacht haben. Sie war nicht stehengeblieben, sie lebte mit dem Fortschritt mit. Oft genossen wir den Nachmittag im Freien bei Kaffee und Kuchen und die Katzen leisteten uns Gesellschaft. Wir bekamen auch Besuch von meinen Freunden aus Graz. Jeder Heimbewohner war willkommen und es gab selbst gemachten Saft. Wenn es jemanden nicht gut ging, zeigte sie immer viel Mitgefühl. Ihre Menschenkenntnis war überwältigend und zeugte von ihrer großen Weisheit. Als sie dann nicht mehr allein gehen konnte und einen Rollator brauchte, ermutigte ich sie, trotzdem ein paar Schritte zu tun, weil Bewegung gut für sie war. Das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Mit der Gehhilfe lief sie mir fast davon. Sie war schneller als ich und ihre Lieblingskatze trottete neben ihr her. Diese Frau hatte einen enormen Willen. Die Zeit, die ich in diesen Wochen mit ihr verbringen durfte, war für mich sehr wertvoll und aufschlussreich. Ich lernte meine Mutter schätzen und bekam erst das Bewusstsein, was sie geleistet und ausgehalten hat. Das macht ihr niemand so schnell nach. Parallelen zu unser beider Leben entstanden. Ich begann, wenn auch spät, zu meiner Mama eine intensive Beziehung herzustellen und sie zu verstehen. Es entstand über die letzten Jahre ein dickes Band. Sie war stolz auf meine Arbeiten und dass ich es im Leben zu etwas gebracht habe. Unsere gemeinsame Zeit war leider schon vorbestimmt. Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich und ich habe dann auch für sie gekocht, bis sie eine fremde Hilfe bekam. Das Schlimmste für sie war, dass sie nicht mehr arbeiten konnte und auf andere angewiesen war. Ich kam sie oft besuchen und wir telefonierten jeden Tag miteinander. Manchmal weinte sie ins Telefon und ich vermied es, ihr zu sagen, dass es mir auch nicht gut ging. Aber sie spürte es und sie sagte oft, ich soll mein Leben genießen, viel Urlaub machen und mir was Gutes gönnen. Das habe ich mir auch zu Herzen genommen und ich denke oft an diese Worte.
Heuer im Jänner musste ich von ihr Abschied nehmen. Ruhig schlief sie ein und verließ für immer diese Welt. Ich erlebte mit ihr am Trautenhof die verschiedenen Jahreszeiten, aber auch die Jahreszeiten eines erfüllten, manchmal sehr traurigen Lebens. Ich bin dankbar, gerade mit meiner Mama die schönste Zeit der letzten Jahre verbracht zu haben. Ich erinnere mich an den herrlichen Duft aus der Küche, wenn sie kochte, und an die zwei Katzen, die sie liebte. Damals war der Hof der einzige Platz, an den es mich zog und wo es mir gut ging. Manchmal schaue ich heute bei meinem Telefon auf ihre noch gespeicherte Nummer. Doch es läutet nicht mehr, es ist verstummt – für immer!
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.